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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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nicht sehr bedeutenden Söldnerschaar, in Afghanistan keine stehenden Trappen
gegeben, und jene Söldner ließen sich mit regulären Soldaten europäischer
Armeen nicht vergleichen. Die Landwehr trat nur in Notfällen zusammen und
war weder wohlgeübt uoch gut bewaffnet. Die wilde Tapferkeit der "Gahl"
(der Glaubenskämpfcr, die sich gleich den Derwischen des Mahdi todesmutig
und die Freuden des Paradieses im Auge in den Kampf mit den fremden Kafirs
stürzten) vermochte diese Mängel nicht auszugleichen. Der Emir gedachte sich
eine Armee nach europäischem Muster zu schaffen, hatte aber weder die dazu
gehörigen Waffen und Jnstrnktoren noch das nötige Geld, und da er an die
Hilfe Rußlands damals (1870) nicht wohl denken konnte, weil dieses seinein
bisherigen Rivalen Abdnrrachmcm in Snmnrkand ein AM und Subsidien (25 000
Rubel Jahrcspension) gewährte, so mußte er sich Wohl oder übel an seine alten
Gegner, die Engländer, wenden. Diese zeigten sich jetzt, wo er über die von
Kalkutta her protegirten Rebellen die Oberhand erlangt hatte, zum Beistande
bereit, sie erblickten in seiner Bitte eine gute Gelegenheit, Einfluß auf ihn zu
gewinnen und sich ihn zu verbinden. So beglückwünschten sie ihn zu seiner
Thronbesteigung und trugen ihm ihr Bündnis an. Gleichzeitig erhielt der Emir
von ihnen eine halbe Million Rupien, eine Anzahl Gewehre und einige Lehr¬
meister zur Einübung seiner TrnPPen. Besseres wurde ihm für die Zukunft
in Aussicht gestellt, auch dieses Verspreche" nicht lange nachher erfüllt. schir
Ali folgte der Einladung des Vizetvnigs von Indien, mit ihm in Umbata zu¬
sammenzutreffen, und es schien hier, als wolle er ganz nach dessen Wünschen
handeln. Es war aber nur Schein, er wußte, was ihm von den "Firindschis"
bevorstand, wenn er sich mit ihnen aufrichtig verbündete, er erinnerte sich des
Verfahrens derselben gegen die Glaubensgenossen der Afghanen am Indus, er
dachte, als er sich in Umbata einstellte, nur an weitere Subsidien und Waffen¬
lieferungen für seine Freundschaft, und während er zum Bundesgenossen gewonnen
und dann zum Vasallen gemacht werden sollte, gewann er neue Mittel, seine
Macht gegen englisches Umsichgreifen zu stärken. Ob das jetzt bei Abdurrach-
mcins Besuch in Rank Pindi ähnlich gewesen ist, wird man in einiger Zeit,
vielleicht bald, innewerden.

Nach seiner Rückkehr ging der Emir mit Eiser an die Reorganisation seines
Heeres. Das englische Militärreglement wurde in die Paschtusprache übersetzt
und bei den afghanischen Truppen eingeführt. Dieselben wurden nach Mög¬
lichkeit wie die indischen Sipoys allsgerüstet und eingeteilt. Ein Hauptmangel
der einheimischen Regimenter Indiens, ihre Schwerfälligkeit, der ungeheure Train
und Troß, den sie bedürfen, wurde von den Afghanen vermieden; sie waren
leichter zu mobilisireu, beweglicher und rascher. schir Ali wußte aus Er¬
fahrung, daß die Rekrutirung der Armee durch die Werbetrommel schwierig lind
unzuverlässig ist, er suchte deshalb die allgemeine und gleiche Wehrpflicht ein¬
zuführen, jeder eingeborne Muslim sollte hinfort nach Erreichung eines gewissen


nicht sehr bedeutenden Söldnerschaar, in Afghanistan keine stehenden Trappen
gegeben, und jene Söldner ließen sich mit regulären Soldaten europäischer
Armeen nicht vergleichen. Die Landwehr trat nur in Notfällen zusammen und
war weder wohlgeübt uoch gut bewaffnet. Die wilde Tapferkeit der „Gahl"
(der Glaubenskämpfcr, die sich gleich den Derwischen des Mahdi todesmutig
und die Freuden des Paradieses im Auge in den Kampf mit den fremden Kafirs
stürzten) vermochte diese Mängel nicht auszugleichen. Der Emir gedachte sich
eine Armee nach europäischem Muster zu schaffen, hatte aber weder die dazu
gehörigen Waffen und Jnstrnktoren noch das nötige Geld, und da er an die
Hilfe Rußlands damals (1870) nicht wohl denken konnte, weil dieses seinein
bisherigen Rivalen Abdnrrachmcm in Snmnrkand ein AM und Subsidien (25 000
Rubel Jahrcspension) gewährte, so mußte er sich Wohl oder übel an seine alten
Gegner, die Engländer, wenden. Diese zeigten sich jetzt, wo er über die von
Kalkutta her protegirten Rebellen die Oberhand erlangt hatte, zum Beistande
bereit, sie erblickten in seiner Bitte eine gute Gelegenheit, Einfluß auf ihn zu
gewinnen und sich ihn zu verbinden. So beglückwünschten sie ihn zu seiner
Thronbesteigung und trugen ihm ihr Bündnis an. Gleichzeitig erhielt der Emir
von ihnen eine halbe Million Rupien, eine Anzahl Gewehre und einige Lehr¬
meister zur Einübung seiner TrnPPen. Besseres wurde ihm für die Zukunft
in Aussicht gestellt, auch dieses Verspreche» nicht lange nachher erfüllt. schir
Ali folgte der Einladung des Vizetvnigs von Indien, mit ihm in Umbata zu¬
sammenzutreffen, und es schien hier, als wolle er ganz nach dessen Wünschen
handeln. Es war aber nur Schein, er wußte, was ihm von den „Firindschis"
bevorstand, wenn er sich mit ihnen aufrichtig verbündete, er erinnerte sich des
Verfahrens derselben gegen die Glaubensgenossen der Afghanen am Indus, er
dachte, als er sich in Umbata einstellte, nur an weitere Subsidien und Waffen¬
lieferungen für seine Freundschaft, und während er zum Bundesgenossen gewonnen
und dann zum Vasallen gemacht werden sollte, gewann er neue Mittel, seine
Macht gegen englisches Umsichgreifen zu stärken. Ob das jetzt bei Abdurrach-
mcins Besuch in Rank Pindi ähnlich gewesen ist, wird man in einiger Zeit,
vielleicht bald, innewerden.

Nach seiner Rückkehr ging der Emir mit Eiser an die Reorganisation seines
Heeres. Das englische Militärreglement wurde in die Paschtusprache übersetzt
und bei den afghanischen Truppen eingeführt. Dieselben wurden nach Mög¬
lichkeit wie die indischen Sipoys allsgerüstet und eingeteilt. Ein Hauptmangel
der einheimischen Regimenter Indiens, ihre Schwerfälligkeit, der ungeheure Train
und Troß, den sie bedürfen, wurde von den Afghanen vermieden; sie waren
leichter zu mobilisireu, beweglicher und rascher. schir Ali wußte aus Er¬
fahrung, daß die Rekrutirung der Armee durch die Werbetrommel schwierig lind
unzuverlässig ist, er suchte deshalb die allgemeine und gleiche Wehrpflicht ein¬
zuführen, jeder eingeborne Muslim sollte hinfort nach Erreichung eines gewissen


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[0660] nicht sehr bedeutenden Söldnerschaar, in Afghanistan keine stehenden Trappen gegeben, und jene Söldner ließen sich mit regulären Soldaten europäischer Armeen nicht vergleichen. Die Landwehr trat nur in Notfällen zusammen und war weder wohlgeübt uoch gut bewaffnet. Die wilde Tapferkeit der „Gahl" (der Glaubenskämpfcr, die sich gleich den Derwischen des Mahdi todesmutig und die Freuden des Paradieses im Auge in den Kampf mit den fremden Kafirs stürzten) vermochte diese Mängel nicht auszugleichen. Der Emir gedachte sich eine Armee nach europäischem Muster zu schaffen, hatte aber weder die dazu gehörigen Waffen und Jnstrnktoren noch das nötige Geld, und da er an die Hilfe Rußlands damals (1870) nicht wohl denken konnte, weil dieses seinein bisherigen Rivalen Abdnrrachmcm in Snmnrkand ein AM und Subsidien (25 000 Rubel Jahrcspension) gewährte, so mußte er sich Wohl oder übel an seine alten Gegner, die Engländer, wenden. Diese zeigten sich jetzt, wo er über die von Kalkutta her protegirten Rebellen die Oberhand erlangt hatte, zum Beistande bereit, sie erblickten in seiner Bitte eine gute Gelegenheit, Einfluß auf ihn zu gewinnen und sich ihn zu verbinden. So beglückwünschten sie ihn zu seiner Thronbesteigung und trugen ihm ihr Bündnis an. Gleichzeitig erhielt der Emir von ihnen eine halbe Million Rupien, eine Anzahl Gewehre und einige Lehr¬ meister zur Einübung seiner TrnPPen. Besseres wurde ihm für die Zukunft in Aussicht gestellt, auch dieses Verspreche» nicht lange nachher erfüllt. schir Ali folgte der Einladung des Vizetvnigs von Indien, mit ihm in Umbata zu¬ sammenzutreffen, und es schien hier, als wolle er ganz nach dessen Wünschen handeln. Es war aber nur Schein, er wußte, was ihm von den „Firindschis" bevorstand, wenn er sich mit ihnen aufrichtig verbündete, er erinnerte sich des Verfahrens derselben gegen die Glaubensgenossen der Afghanen am Indus, er dachte, als er sich in Umbata einstellte, nur an weitere Subsidien und Waffen¬ lieferungen für seine Freundschaft, und während er zum Bundesgenossen gewonnen und dann zum Vasallen gemacht werden sollte, gewann er neue Mittel, seine Macht gegen englisches Umsichgreifen zu stärken. Ob das jetzt bei Abdurrach- mcins Besuch in Rank Pindi ähnlich gewesen ist, wird man in einiger Zeit, vielleicht bald, innewerden. Nach seiner Rückkehr ging der Emir mit Eiser an die Reorganisation seines Heeres. Das englische Militärreglement wurde in die Paschtusprache übersetzt und bei den afghanischen Truppen eingeführt. Dieselben wurden nach Mög¬ lichkeit wie die indischen Sipoys allsgerüstet und eingeteilt. Ein Hauptmangel der einheimischen Regimenter Indiens, ihre Schwerfälligkeit, der ungeheure Train und Troß, den sie bedürfen, wurde von den Afghanen vermieden; sie waren leichter zu mobilisireu, beweglicher und rascher. schir Ali wußte aus Er¬ fahrung, daß die Rekrutirung der Armee durch die Werbetrommel schwierig lind unzuverlässig ist, er suchte deshalb die allgemeine und gleiche Wehrpflicht ein¬ zuführen, jeder eingeborne Muslim sollte hinfort nach Erreichung eines gewissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/660>, abgerufen am 22.07.2024.