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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Soziologie.

le exakten Wissenschaften beginnen ihr Herrschaftsgebiet zu er¬
weitern, und insbesondre die Anschauung, welche der Darwinismus
in dem Bereiche der Naturwissenschaften vertritt, fängt auch da
zu wirken an, wo man es am allerwenigsten erwarten sollte. Das
geistige Leben des Menschen hat man bisher nur in abstrakten
Studien zu erforschen gesucht; Geist und Seele des Menschen, die man doch
lediglich in ihren Neflexwirknngen erkennt, wie sie sich in den Handlungen und
Thaten der Einzelnen und der Gattungen zeigen, hat man stets in Spekulationen
zu erforschen und zu ergründen gesucht. Die Motoren jener Wirkungen konnte
man weder unter das Sezirmesser noch unter das Mikroskop legen, und die
Experimentirmethode wie die Vivisektion verboten sich von selbst. Daher kam
es, daß alle philosophischen Systeme nur ebensoviel? verschiedne Anschauungs¬
weisen waren, daß der Subjektivismus vorherrschend blieb und nur die mehr
oder minder bestrickende Dialektik es war, welche einem neuen Philosophischen
System Anhänger erwarb.

Auch der Darwinismus ist, wenn man will, eine neue Anschauungsweise,
welche das ganze Leben durchtränkt, aber er unterscheidet sich dadurch, daß er
auf gewissen exakten Forschungen und Gesetzen beruht, die in einzelnen Gebieten
gefunden, durch Hypothese und Phantasie verallgemeinert werden. Der Dar¬
winismus ist eine Methode, und zwar -- wer wollte es leugnen -- eine be¬
strickende. Nicht das letzte Rätsel, aber doch diejenigen Probleme, welche
demselben unmittelbar vorhergehen, scheinen ihre Lösung gefunden zu haben.
Man braucht dabei nicht einmal soweit zu gehen, als es die deutschen Darwinisten
mit Häckel an der Spitze gethan haben.


Grenzboten II. 1885. 82


Soziologie.

le exakten Wissenschaften beginnen ihr Herrschaftsgebiet zu er¬
weitern, und insbesondre die Anschauung, welche der Darwinismus
in dem Bereiche der Naturwissenschaften vertritt, fängt auch da
zu wirken an, wo man es am allerwenigsten erwarten sollte. Das
geistige Leben des Menschen hat man bisher nur in abstrakten
Studien zu erforschen gesucht; Geist und Seele des Menschen, die man doch
lediglich in ihren Neflexwirknngen erkennt, wie sie sich in den Handlungen und
Thaten der Einzelnen und der Gattungen zeigen, hat man stets in Spekulationen
zu erforschen und zu ergründen gesucht. Die Motoren jener Wirkungen konnte
man weder unter das Sezirmesser noch unter das Mikroskop legen, und die
Experimentirmethode wie die Vivisektion verboten sich von selbst. Daher kam
es, daß alle philosophischen Systeme nur ebensoviel? verschiedne Anschauungs¬
weisen waren, daß der Subjektivismus vorherrschend blieb und nur die mehr
oder minder bestrickende Dialektik es war, welche einem neuen Philosophischen
System Anhänger erwarb.

Auch der Darwinismus ist, wenn man will, eine neue Anschauungsweise,
welche das ganze Leben durchtränkt, aber er unterscheidet sich dadurch, daß er
auf gewissen exakten Forschungen und Gesetzen beruht, die in einzelnen Gebieten
gefunden, durch Hypothese und Phantasie verallgemeinert werden. Der Dar¬
winismus ist eine Methode, und zwar — wer wollte es leugnen — eine be¬
strickende. Nicht das letzte Rätsel, aber doch diejenigen Probleme, welche
demselben unmittelbar vorhergehen, scheinen ihre Lösung gefunden zu haben.
Man braucht dabei nicht einmal soweit zu gehen, als es die deutschen Darwinisten
mit Häckel an der Spitze gethan haben.


Grenzboten II. 1885. 82
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[0654] [Abbildung] Soziologie. le exakten Wissenschaften beginnen ihr Herrschaftsgebiet zu er¬ weitern, und insbesondre die Anschauung, welche der Darwinismus in dem Bereiche der Naturwissenschaften vertritt, fängt auch da zu wirken an, wo man es am allerwenigsten erwarten sollte. Das geistige Leben des Menschen hat man bisher nur in abstrakten Studien zu erforschen gesucht; Geist und Seele des Menschen, die man doch lediglich in ihren Neflexwirknngen erkennt, wie sie sich in den Handlungen und Thaten der Einzelnen und der Gattungen zeigen, hat man stets in Spekulationen zu erforschen und zu ergründen gesucht. Die Motoren jener Wirkungen konnte man weder unter das Sezirmesser noch unter das Mikroskop legen, und die Experimentirmethode wie die Vivisektion verboten sich von selbst. Daher kam es, daß alle philosophischen Systeme nur ebensoviel? verschiedne Anschauungs¬ weisen waren, daß der Subjektivismus vorherrschend blieb und nur die mehr oder minder bestrickende Dialektik es war, welche einem neuen Philosophischen System Anhänger erwarb. Auch der Darwinismus ist, wenn man will, eine neue Anschauungsweise, welche das ganze Leben durchtränkt, aber er unterscheidet sich dadurch, daß er auf gewissen exakten Forschungen und Gesetzen beruht, die in einzelnen Gebieten gefunden, durch Hypothese und Phantasie verallgemeinert werden. Der Dar¬ winismus ist eine Methode, und zwar — wer wollte es leugnen — eine be¬ strickende. Nicht das letzte Rätsel, aber doch diejenigen Probleme, welche demselben unmittelbar vorhergehen, scheinen ihre Lösung gefunden zu haben. Man braucht dabei nicht einmal soweit zu gehen, als es die deutschen Darwinisten mit Häckel an der Spitze gethan haben. Grenzboten II. 1885. 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/654>, abgerufen am 22.07.2024.