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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die österreichischen Wahlen.

bisher in die Öffentlichkeit hervorgetreten sind, nicht eben durch Klarheit der An¬
schauungen aus. Sie werden daher von den Altliberalcn kaum gefürchtet; umso-
mehr die "Jungdeutschen," da diese wahrscheinlich Anziehungskraft auf manche
Abgeordnete ausüben werden, welche bisher ziemlich widerwillig der Fahne der
"Vereinigten Linken" gefolgt sind. Fast dieselbe Erscheinung haben wir bereits
einmal erlebt. Um das Jahr 1870 sagte sich eine Schaar jüngerer Abgeordneten
von der Linken los, weil diese ihnen nicht entschieden genug deutsch und zu sehr
mit den Gcldmächten "verhandelt" war. Die Presse der Mehrheit beehrte diese
"Jungen" mit dem kräftigsten Hasse, umsomehr, als sie es wagten, ein eignes
Blatts die "Deutsche Zeitung," zu gründen, die namentlich auch in wirtschaft¬
lichen Fragen unabhängig sein sollte und das wirklich längere Zeit hindurch
gewesen ist. Während des Hohenwartschcn Regiments wurden die Vervehmten
zu Gnaden angenommen, man konnte ihre frischen Kräfte und ihre resolute
Opposition gut verwenden. Zwei Böhmen, die sich nicht kaptiviren lassen wollten,
wurden ans dem Reichsrate verdrängt. Von diesen hat einer, Pickert in Leit-
meritz, jetzt Genugthuung genommen, indem er den Gewaltherrscher, den "greisen
Führer der Deutschböhmen," Geheimrat Herbst, aus dem Sattel gehoben hat.
Mit ihm kehrt Dr. Knvtz zurück, dessen leidenschaftlicher Protest gegen die
Unterdrückung der Deutschen in Böhmen so großes Aufsehen gemacht hat, und
ihnen werden sich zunächst verschiedne Neue aus Böhmen, Niederösterreich,
Steiermnrk anschließen. Sie bilden die Partei der "schärfern Tonart," die
Partei, welche das Deutschtum ohne diplomatische Rücksichten ebenso geltend
machen will wie die verschiednen Slawen ihr Slawentum. Sie werden also un¬
gefähr zu den Altliberaleu stehen wie die Jnngtschecheu zu den Alttschcchen.
Die Blätter der alten Verfassungspartci greifen sie mit großer Erbitterung an.
vorgeblich nur im Interesse der Einheit und der Regierungsfähig^ der Deut¬
schen. Sie haben indessen noch einen andern Grund. Das Zentrum der Deutsch-
nationaleu bildet nämlich der "Deutsche Verein" in Wien, und dieser hat den
guten Gedanken gehabt, ein "Politisches Wörterbuch für die Deutschen in Öster¬
reich" (Wien, Piasters Verlag) herauszugeben, in welchem über alle Fragen
und Schlagwörter des politischen Lebens in Österreich kurz, sachlich, verständ¬
lich und verständig Auskunft erteilt wird. Da findet sich denn unter dem
Schlagwort "Presse" ein (abgesehen von der zu glimpflichen Behandlung der
.Deutschen Zeitung") leider sehr treues Bild dieser Zustände; unverhohlen
wird einmal dem Leser gesagt, wessen Eigentum die "unabhängigen" Zeitungen
find und welche Interessen sie vertreten. Kann mau es diesen verargen, wenn
ihnen der Gedanke, daß so gefährliche Menschen im künftigen Neichsrate
sitzen, wohl gar eine nicht totzuschweigende Fraktion bilden werden, unerträglich
ist? Zu alledem lastete noch auf ihnen die Sorge, daß es Herrn Lienbacher
gelingen könne, eine dentschkvnservative Partei zu bilden, wovor ihnen augen¬
scheinlich noch mehr graut als vor dem künftigen "Deutschen Klub." Der ge-


Die österreichischen Wahlen.

bisher in die Öffentlichkeit hervorgetreten sind, nicht eben durch Klarheit der An¬
schauungen aus. Sie werden daher von den Altliberalcn kaum gefürchtet; umso-
mehr die „Jungdeutschen," da diese wahrscheinlich Anziehungskraft auf manche
Abgeordnete ausüben werden, welche bisher ziemlich widerwillig der Fahne der
„Vereinigten Linken" gefolgt sind. Fast dieselbe Erscheinung haben wir bereits
einmal erlebt. Um das Jahr 1870 sagte sich eine Schaar jüngerer Abgeordneten
von der Linken los, weil diese ihnen nicht entschieden genug deutsch und zu sehr
mit den Gcldmächten „verhandelt" war. Die Presse der Mehrheit beehrte diese
„Jungen" mit dem kräftigsten Hasse, umsomehr, als sie es wagten, ein eignes
Blatts die „Deutsche Zeitung," zu gründen, die namentlich auch in wirtschaft¬
lichen Fragen unabhängig sein sollte und das wirklich längere Zeit hindurch
gewesen ist. Während des Hohenwartschcn Regiments wurden die Vervehmten
zu Gnaden angenommen, man konnte ihre frischen Kräfte und ihre resolute
Opposition gut verwenden. Zwei Böhmen, die sich nicht kaptiviren lassen wollten,
wurden ans dem Reichsrate verdrängt. Von diesen hat einer, Pickert in Leit-
meritz, jetzt Genugthuung genommen, indem er den Gewaltherrscher, den „greisen
Führer der Deutschböhmen," Geheimrat Herbst, aus dem Sattel gehoben hat.
Mit ihm kehrt Dr. Knvtz zurück, dessen leidenschaftlicher Protest gegen die
Unterdrückung der Deutschen in Böhmen so großes Aufsehen gemacht hat, und
ihnen werden sich zunächst verschiedne Neue aus Böhmen, Niederösterreich,
Steiermnrk anschließen. Sie bilden die Partei der „schärfern Tonart," die
Partei, welche das Deutschtum ohne diplomatische Rücksichten ebenso geltend
machen will wie die verschiednen Slawen ihr Slawentum. Sie werden also un¬
gefähr zu den Altliberaleu stehen wie die Jnngtschecheu zu den Alttschcchen.
Die Blätter der alten Verfassungspartci greifen sie mit großer Erbitterung an.
vorgeblich nur im Interesse der Einheit und der Regierungsfähig^ der Deut¬
schen. Sie haben indessen noch einen andern Grund. Das Zentrum der Deutsch-
nationaleu bildet nämlich der „Deutsche Verein" in Wien, und dieser hat den
guten Gedanken gehabt, ein „Politisches Wörterbuch für die Deutschen in Öster¬
reich" (Wien, Piasters Verlag) herauszugeben, in welchem über alle Fragen
und Schlagwörter des politischen Lebens in Österreich kurz, sachlich, verständ¬
lich und verständig Auskunft erteilt wird. Da findet sich denn unter dem
Schlagwort „Presse" ein (abgesehen von der zu glimpflichen Behandlung der
.Deutschen Zeitung") leider sehr treues Bild dieser Zustände; unverhohlen
wird einmal dem Leser gesagt, wessen Eigentum die „unabhängigen" Zeitungen
find und welche Interessen sie vertreten. Kann mau es diesen verargen, wenn
ihnen der Gedanke, daß so gefährliche Menschen im künftigen Neichsrate
sitzen, wohl gar eine nicht totzuschweigende Fraktion bilden werden, unerträglich
ist? Zu alledem lastete noch auf ihnen die Sorge, daß es Herrn Lienbacher
gelingen könne, eine dentschkvnservative Partei zu bilden, wovor ihnen augen¬
scheinlich noch mehr graut als vor dem künftigen „Deutschen Klub." Der ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/640>, abgerufen am 22.07.2024.