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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Anarchisten in Bern.

prahlerisch in die Welt posaunten schweizerischen Anarchistcnprozeß mit so arm¬
seligen Mitteln inszenirt, daß man bereits die Urheber kennt, und die Entrüstung
über die Anarchisten in Spott und Verachtung gegen die elenden Agenten
fremder Staaten umschlägt, welche die Schweiz zum Schauplatz ihrer polizeilichen
Komödien gemacht haben. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht! Bei dem
ersten Eingreifen der schweizerischen Behörden konnte man annehmen, es handle
sich um ernste Dinge. In Zukunft wird man auch der haarsträubendsten Tar-
tarennachricht gegenüber gut thun, die vollkommenste Ruhe zu bewahren und
sich nur zu fragen: Wo ist der geheime Agent?"

Für Leute dieses Schlages existiren die zweifellosen anarchistischen Schand¬
thaten auf dem Niederwalde, in Stuttgart, München, Wien, London u. s. w.
nicht; für sie ist es vollkommen gleichgiltig, daß diese Thaten alsbald in der
anarchistischen Presse ruhmreich gefeiert worden sind; für sie sind die offenen
Anhänger der internationalen Mörder- und Verbrecherbande mit Unrecht ver¬
folgte unschuldige, Sympathie und Mitleid verdienende Menschen, wenn es
gilt, der Negierung Opposition zu machen und sie bei dein Volte zu verdächtigen.
Für derartige Leute giebt es keine Belehrung als die Gewalt, und diese könnte
ihrem Begriffsvermögen vielleicht früher nachhelfen, als ihre dicken Schädel
ahnen; von einem Nachbarstaate aber, der mit uns in Frieden und gutem
Einvernehmen leben will, sollte man erwarten, daß er endlich einmal Ernst
machte mit energischen Maßregeln gegen die gemeingefährliche Anarchistenbandc,
daß er sich zum Bewußtsein brächte, daß im völkerrechtlichen Verkehre sowenig
als in demjenigen der Individuen nur selbstsüchtige Motive zur Richtschnur
dienen diirfen, daß es Pflichten gegen den Nachbarstaat giebt, welche kein Staat
ohne schließliche Gefährdung der eignen Existenz verletzen kann, daß kein Staat
in seinem Gebiete Bestrebungen, die auf den Umsturz des Nachbarstaates ge¬
richtet sind, ungestörte Entwicklung lassen darf, solange diese Bestrebungen nur
nicht gegen ihn selbst gerichtet werden, und daß es für gemeine Verbrecher -- was
die Anarchisten sind kein Asyl geben kann.




Die Anarchisten in Bern.

prahlerisch in die Welt posaunten schweizerischen Anarchistcnprozeß mit so arm¬
seligen Mitteln inszenirt, daß man bereits die Urheber kennt, und die Entrüstung
über die Anarchisten in Spott und Verachtung gegen die elenden Agenten
fremder Staaten umschlägt, welche die Schweiz zum Schauplatz ihrer polizeilichen
Komödien gemacht haben. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht! Bei dem
ersten Eingreifen der schweizerischen Behörden konnte man annehmen, es handle
sich um ernste Dinge. In Zukunft wird man auch der haarsträubendsten Tar-
tarennachricht gegenüber gut thun, die vollkommenste Ruhe zu bewahren und
sich nur zu fragen: Wo ist der geheime Agent?"

Für Leute dieses Schlages existiren die zweifellosen anarchistischen Schand¬
thaten auf dem Niederwalde, in Stuttgart, München, Wien, London u. s. w.
nicht; für sie ist es vollkommen gleichgiltig, daß diese Thaten alsbald in der
anarchistischen Presse ruhmreich gefeiert worden sind; für sie sind die offenen
Anhänger der internationalen Mörder- und Verbrecherbande mit Unrecht ver¬
folgte unschuldige, Sympathie und Mitleid verdienende Menschen, wenn es
gilt, der Negierung Opposition zu machen und sie bei dein Volte zu verdächtigen.
Für derartige Leute giebt es keine Belehrung als die Gewalt, und diese könnte
ihrem Begriffsvermögen vielleicht früher nachhelfen, als ihre dicken Schädel
ahnen; von einem Nachbarstaate aber, der mit uns in Frieden und gutem
Einvernehmen leben will, sollte man erwarten, daß er endlich einmal Ernst
machte mit energischen Maßregeln gegen die gemeingefährliche Anarchistenbandc,
daß er sich zum Bewußtsein brächte, daß im völkerrechtlichen Verkehre sowenig
als in demjenigen der Individuen nur selbstsüchtige Motive zur Richtschnur
dienen diirfen, daß es Pflichten gegen den Nachbarstaat giebt, welche kein Staat
ohne schließliche Gefährdung der eignen Existenz verletzen kann, daß kein Staat
in seinem Gebiete Bestrebungen, die auf den Umsturz des Nachbarstaates ge¬
richtet sind, ungestörte Entwicklung lassen darf, solange diese Bestrebungen nur
nicht gegen ihn selbst gerichtet werden, und daß es für gemeine Verbrecher — was
die Anarchisten sind kein Asyl geben kann.




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[0064] Die Anarchisten in Bern. prahlerisch in die Welt posaunten schweizerischen Anarchistcnprozeß mit so arm¬ seligen Mitteln inszenirt, daß man bereits die Urheber kennt, und die Entrüstung über die Anarchisten in Spott und Verachtung gegen die elenden Agenten fremder Staaten umschlägt, welche die Schweiz zum Schauplatz ihrer polizeilichen Komödien gemacht haben. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht! Bei dem ersten Eingreifen der schweizerischen Behörden konnte man annehmen, es handle sich um ernste Dinge. In Zukunft wird man auch der haarsträubendsten Tar- tarennachricht gegenüber gut thun, die vollkommenste Ruhe zu bewahren und sich nur zu fragen: Wo ist der geheime Agent?" Für Leute dieses Schlages existiren die zweifellosen anarchistischen Schand¬ thaten auf dem Niederwalde, in Stuttgart, München, Wien, London u. s. w. nicht; für sie ist es vollkommen gleichgiltig, daß diese Thaten alsbald in der anarchistischen Presse ruhmreich gefeiert worden sind; für sie sind die offenen Anhänger der internationalen Mörder- und Verbrecherbande mit Unrecht ver¬ folgte unschuldige, Sympathie und Mitleid verdienende Menschen, wenn es gilt, der Negierung Opposition zu machen und sie bei dein Volte zu verdächtigen. Für derartige Leute giebt es keine Belehrung als die Gewalt, und diese könnte ihrem Begriffsvermögen vielleicht früher nachhelfen, als ihre dicken Schädel ahnen; von einem Nachbarstaate aber, der mit uns in Frieden und gutem Einvernehmen leben will, sollte man erwarten, daß er endlich einmal Ernst machte mit energischen Maßregeln gegen die gemeingefährliche Anarchistenbandc, daß er sich zum Bewußtsein brächte, daß im völkerrechtlichen Verkehre sowenig als in demjenigen der Individuen nur selbstsüchtige Motive zur Richtschnur dienen diirfen, daß es Pflichten gegen den Nachbarstaat giebt, welche kein Staat ohne schließliche Gefährdung der eignen Existenz verletzen kann, daß kein Staat in seinem Gebiete Bestrebungen, die auf den Umsturz des Nachbarstaates ge¬ richtet sind, ungestörte Entwicklung lassen darf, solange diese Bestrebungen nur nicht gegen ihn selbst gerichtet werden, und daß es für gemeine Verbrecher — was die Anarchisten sind kein Asyl geben kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/64>, abgerufen am 22.07.2024.