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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Sollen wir unsre Statuen bemalen?

Himmel entstanden und kann sich bei uns nicht einbürgern, wie dort. Ans dem
Beispiel Griechenlands und Italiens folgt daher nichts für die absolute Durch¬
führbarkeit der Polychromie, wie denn überhaupt immer wieder darauf hin¬
gewiesen werden muß, daß die antike und mittelalterliche Skulptur auf durchaus
andern Grundlagen ruht als die moderne Plastik seit der Renaissance, und daß,
was für eine breite, ideale Formbehandlung, wie die griechische, uicht schädlich,
für eine naiv unbeholfene, wie die mittelalterliche, nicht entbehrlich, für unsre
naturalistische und technisch raffinirte Richtung der Skulptur ein verderbliches
Zuviel ist, welches die ästhetische Wirkung in ihr Gegenteil verkehrt. Wer wollte
sich wohl einreden, an den unsrer Zeit vielleicht allein zu vergleichenden italienischen
Porträtskulpturcu des fünfzehnten Jahrhunderts und ihrer naturalistischen
Frechheit ein rein ästhetisches Wohlgefallen zu empfinden? Und doch ist die
Porträtbüste die einzige Kunstgcittnug, wo wir einen stärkern naturalistischen
Zug in der Skulptur billigen und genießbar finden können. Anders dagegen
die Statue, die, durch das Postament aus der sie umgebenden buntfarbigen
Wirklichkeit herausgehoben, eine farblose Oberfläche bieten und selbst bei Porträt-
darstellnngen ihrem monumentalen Charakter entsprechend die wechselnde, von
der farbigen Umgebung abhängige Farbe des Lebens abstreifen muß, um uns
deu unveränderlichen wesentlichen Kern des dargestellten Charakters vou klein¬
lichen Äußerlichkeiten befreit zu zeigen. Giebclstulpturen als Teile einer farbigen
Architektur können eine diskrete Bemalung erhalten, jedoch immer so, daß sie
sich der Architektur harmonisch unterordnen, da sie ja nnr dieser zur Belebung
in tektonischen Sinne dienen. Naturalistisch bemalte Skulpturen an dieser Stelle
würden die komische Vorstellung erwecken, als bewegten sich dort oben im Giebel-
felde einige Menschlein zu ihrem Vergnügen, etwa der schönen Aussicht wegen. Sie
würden den Gesamteindruck des Baues stören und die Aufmerksamkeit des Be¬
schauers ablenken. Reliefs und namentlich Basreliefs vertragen Bemalung, weil
sie ein Mischgebilde aus Fläche und körperlicher Form sind. Hier kann eine
Verschmelzung vou Malerei und Plastik eintreten, und ich darf für eine solche nur
an die Thonrelicfs der italienischen Frührenaissance erinnern. Bedenklich erscheint
die Polychromie jedoch auch hier, wenn das Relief ein tektonisches Glied der
Architektur bildet. Dem scheint zwar der Umstand zu widersprechen, daß die
Hellenen z. B. den Relieffries des ionischen Tempels bemalten; doch bleibt zu
bedenken, daß dies an wenig beleuchtete" Stelle" der Cellawand der Deutlichkeit
zuliebe geschah, und daß sie deu Fries als wirkliches Bild betrachtet wissen
wollten, welches das Architekturglied verkleiden sollte, ohne es zu symbolisiren.
Wohl haben farbige Reliefs ihre volle Berechtigung für den Schmuck unsrer
Innenarchitektur, wo sie in der farbige" Dekoration und andern kunstgewerb¬
lichen Schmuckgegenständen des Zimmers harmonische Umgebung finden. Für
kunstgewerbliche Plastik und ihre Produkte ist überhaupt die Polychromie nie¬
mals beanstandet wordeu. Nur verschone man die monumentale Bildnerei damit.


Sollen wir unsre Statuen bemalen?

Himmel entstanden und kann sich bei uns nicht einbürgern, wie dort. Ans dem
Beispiel Griechenlands und Italiens folgt daher nichts für die absolute Durch¬
führbarkeit der Polychromie, wie denn überhaupt immer wieder darauf hin¬
gewiesen werden muß, daß die antike und mittelalterliche Skulptur auf durchaus
andern Grundlagen ruht als die moderne Plastik seit der Renaissance, und daß,
was für eine breite, ideale Formbehandlung, wie die griechische, uicht schädlich,
für eine naiv unbeholfene, wie die mittelalterliche, nicht entbehrlich, für unsre
naturalistische und technisch raffinirte Richtung der Skulptur ein verderbliches
Zuviel ist, welches die ästhetische Wirkung in ihr Gegenteil verkehrt. Wer wollte
sich wohl einreden, an den unsrer Zeit vielleicht allein zu vergleichenden italienischen
Porträtskulpturcu des fünfzehnten Jahrhunderts und ihrer naturalistischen
Frechheit ein rein ästhetisches Wohlgefallen zu empfinden? Und doch ist die
Porträtbüste die einzige Kunstgcittnug, wo wir einen stärkern naturalistischen
Zug in der Skulptur billigen und genießbar finden können. Anders dagegen
die Statue, die, durch das Postament aus der sie umgebenden buntfarbigen
Wirklichkeit herausgehoben, eine farblose Oberfläche bieten und selbst bei Porträt-
darstellnngen ihrem monumentalen Charakter entsprechend die wechselnde, von
der farbigen Umgebung abhängige Farbe des Lebens abstreifen muß, um uns
deu unveränderlichen wesentlichen Kern des dargestellten Charakters vou klein¬
lichen Äußerlichkeiten befreit zu zeigen. Giebclstulpturen als Teile einer farbigen
Architektur können eine diskrete Bemalung erhalten, jedoch immer so, daß sie
sich der Architektur harmonisch unterordnen, da sie ja nnr dieser zur Belebung
in tektonischen Sinne dienen. Naturalistisch bemalte Skulpturen an dieser Stelle
würden die komische Vorstellung erwecken, als bewegten sich dort oben im Giebel-
felde einige Menschlein zu ihrem Vergnügen, etwa der schönen Aussicht wegen. Sie
würden den Gesamteindruck des Baues stören und die Aufmerksamkeit des Be¬
schauers ablenken. Reliefs und namentlich Basreliefs vertragen Bemalung, weil
sie ein Mischgebilde aus Fläche und körperlicher Form sind. Hier kann eine
Verschmelzung vou Malerei und Plastik eintreten, und ich darf für eine solche nur
an die Thonrelicfs der italienischen Frührenaissance erinnern. Bedenklich erscheint
die Polychromie jedoch auch hier, wenn das Relief ein tektonisches Glied der
Architektur bildet. Dem scheint zwar der Umstand zu widersprechen, daß die
Hellenen z. B. den Relieffries des ionischen Tempels bemalten; doch bleibt zu
bedenken, daß dies an wenig beleuchtete» Stelle» der Cellawand der Deutlichkeit
zuliebe geschah, und daß sie deu Fries als wirkliches Bild betrachtet wissen
wollten, welches das Architekturglied verkleiden sollte, ohne es zu symbolisiren.
Wohl haben farbige Reliefs ihre volle Berechtigung für den Schmuck unsrer
Innenarchitektur, wo sie in der farbige» Dekoration und andern kunstgewerb¬
lichen Schmuckgegenständen des Zimmers harmonische Umgebung finden. Für
kunstgewerbliche Plastik und ihre Produkte ist überhaupt die Polychromie nie¬
mals beanstandet wordeu. Nur verschone man die monumentale Bildnerei damit.


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[0636] Sollen wir unsre Statuen bemalen? Himmel entstanden und kann sich bei uns nicht einbürgern, wie dort. Ans dem Beispiel Griechenlands und Italiens folgt daher nichts für die absolute Durch¬ führbarkeit der Polychromie, wie denn überhaupt immer wieder darauf hin¬ gewiesen werden muß, daß die antike und mittelalterliche Skulptur auf durchaus andern Grundlagen ruht als die moderne Plastik seit der Renaissance, und daß, was für eine breite, ideale Formbehandlung, wie die griechische, uicht schädlich, für eine naiv unbeholfene, wie die mittelalterliche, nicht entbehrlich, für unsre naturalistische und technisch raffinirte Richtung der Skulptur ein verderbliches Zuviel ist, welches die ästhetische Wirkung in ihr Gegenteil verkehrt. Wer wollte sich wohl einreden, an den unsrer Zeit vielleicht allein zu vergleichenden italienischen Porträtskulpturcu des fünfzehnten Jahrhunderts und ihrer naturalistischen Frechheit ein rein ästhetisches Wohlgefallen zu empfinden? Und doch ist die Porträtbüste die einzige Kunstgcittnug, wo wir einen stärkern naturalistischen Zug in der Skulptur billigen und genießbar finden können. Anders dagegen die Statue, die, durch das Postament aus der sie umgebenden buntfarbigen Wirklichkeit herausgehoben, eine farblose Oberfläche bieten und selbst bei Porträt- darstellnngen ihrem monumentalen Charakter entsprechend die wechselnde, von der farbigen Umgebung abhängige Farbe des Lebens abstreifen muß, um uns deu unveränderlichen wesentlichen Kern des dargestellten Charakters vou klein¬ lichen Äußerlichkeiten befreit zu zeigen. Giebclstulpturen als Teile einer farbigen Architektur können eine diskrete Bemalung erhalten, jedoch immer so, daß sie sich der Architektur harmonisch unterordnen, da sie ja nnr dieser zur Belebung in tektonischen Sinne dienen. Naturalistisch bemalte Skulpturen an dieser Stelle würden die komische Vorstellung erwecken, als bewegten sich dort oben im Giebel- felde einige Menschlein zu ihrem Vergnügen, etwa der schönen Aussicht wegen. Sie würden den Gesamteindruck des Baues stören und die Aufmerksamkeit des Be¬ schauers ablenken. Reliefs und namentlich Basreliefs vertragen Bemalung, weil sie ein Mischgebilde aus Fläche und körperlicher Form sind. Hier kann eine Verschmelzung vou Malerei und Plastik eintreten, und ich darf für eine solche nur an die Thonrelicfs der italienischen Frührenaissance erinnern. Bedenklich erscheint die Polychromie jedoch auch hier, wenn das Relief ein tektonisches Glied der Architektur bildet. Dem scheint zwar der Umstand zu widersprechen, daß die Hellenen z. B. den Relieffries des ionischen Tempels bemalten; doch bleibt zu bedenken, daß dies an wenig beleuchtete» Stelle» der Cellawand der Deutlichkeit zuliebe geschah, und daß sie deu Fries als wirkliches Bild betrachtet wissen wollten, welches das Architekturglied verkleiden sollte, ohne es zu symbolisiren. Wohl haben farbige Reliefs ihre volle Berechtigung für den Schmuck unsrer Innenarchitektur, wo sie in der farbige» Dekoration und andern kunstgewerb¬ lichen Schmuckgegenständen des Zimmers harmonische Umgebung finden. Für kunstgewerbliche Plastik und ihre Produkte ist überhaupt die Polychromie nie¬ mals beanstandet wordeu. Nur verschone man die monumentale Bildnerei damit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/636>, abgerufen am 22.07.2024.