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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Afghanistan und die Afghanen.

als Eigentum des Stammes. Die Jusofsi, die in alter Zeit in Beludschistan
wohnten, dann aber als Eroberer in die Landschaften am obern Kabul ein¬
drangen, haben diese Sitte am treuesten bewahrt. Das Land wird hier teils
von den Herren selbst bestellt, teils von seinen ehemaligen Besitzern, die von
den Eroberern zu "Fakirs," d. h. Pächtern, herabgedrückt wurden und nun
schwere Abgaben vom Ernteertrag, sowie Frohndienste leisten müssen. Der Herr
hat das Recht, seinen Fakir zu züchtigen, ja ihn zu töten, dagegen darf dieser
ihn jederzeit verlassen, um anderswo Dienst oder Erwerb zu suchen. Ähnlich
sind die "Basaars" oder Tagelöhner bei den Durani gestellt, und so werden
diese wie jene durchschnittlich sehr mild behandelt. Neben ihnen existiren noch
die Klasse der "Ditkan," Leute, die sich als freiwillige Arbeiter unter den Ju¬
sofsi niedergelassen haben, und die "Hamsajeh" oder Nachbarn, Hintersassen, die
oft aus Afghanen bestehen, welche ans Armut ihren angestammten Airs oder
Chan verlassen haben und sich nun zu einem andern halten. Sie gelten im
Unterschiede von den Fakirs und Basgars als freie Leute und sogar als Eben¬
bürtige, die bei den Beratungen der Gemeine und der Markgenossenschaft an¬
stimmen.

Nur wenige Afghanen treiben städtische Gewerbe oder Handel. Der letztere
ist fast ganz in den Händen der Tadschiks, der Hindki und der Armenier.
Die Tadschiks, welche ungefähr den zehnten Teil der Bevölkerung Afghanistans
ausmachen, sind eingewanderte und ansässig gewordne Perser und finden sich
besonders häufig in Herat und andern westlichen Gegenden des Landes. Auch
sie sind meist große Leute von starkem Knochenbau und schwarzhaarig. Ihre
Bezeichnung kommt von den hohen, kegelförmigen Lammfellmützen, mit denen sie
den Kopf bedecken. Sie leben vorwiegend, fast ausschließlich in den Städten
oder in deren Umgebung, und zwar nähren sie sich neben ihren kaufmännischen
Geschäften, bei denen sie Verbindungen bis über den Ann-Darja hinaus unter¬
halten, auch vom Handwerke. Man schreibt ihnen die schlechtesten Eigenschaften,
allerlei Betrug und Arglist, Neigung zum Diebstahl, Verlogenheit, Kriecherei
und Verstellung zu. Sie sollen unnatürlichen Lastern fröhnen und in Sachen
der Religion arge Heuchler sein. Aus diesen Gründen werden sie von den Af¬
ghanen vielfach verabscheut, wozu auch der Umstand beiträgt, daß diese Tadschiks
Schiiten sind. Früher hatten sie viel von Bedrückung zu leiden, und Verfolgung
und Mißhandlung derselben durch fanatische Sunniten waren nichts seltenes.
Im Verlauf der letzten Jahrzehnte aber ist man duldsamer geworden, und selbst
Wechselheiraten zwischen Afghanen und Tadschiks kommen ziemlich häufig vor.
Die Hindki Afghanistans sind, wie ihr Name besagt, Hindus. Sie befinden
sich vorzüglich in den vstafghanischen Städten, in deren Bazaren sie als Hand¬
werker und Kaufleute thätig sind, besonders oft aber Geldgeschäfte betreiben, wie
denn fast alle Wechsler, die kleinen auf der Straße wie die großen in den Läden,
dieser Klasse der Bevölkerung angehören. Die Kisilbaschi sind Usbeken oder


Afghanistan und die Afghanen.

als Eigentum des Stammes. Die Jusofsi, die in alter Zeit in Beludschistan
wohnten, dann aber als Eroberer in die Landschaften am obern Kabul ein¬
drangen, haben diese Sitte am treuesten bewahrt. Das Land wird hier teils
von den Herren selbst bestellt, teils von seinen ehemaligen Besitzern, die von
den Eroberern zu „Fakirs," d. h. Pächtern, herabgedrückt wurden und nun
schwere Abgaben vom Ernteertrag, sowie Frohndienste leisten müssen. Der Herr
hat das Recht, seinen Fakir zu züchtigen, ja ihn zu töten, dagegen darf dieser
ihn jederzeit verlassen, um anderswo Dienst oder Erwerb zu suchen. Ähnlich
sind die „Basaars" oder Tagelöhner bei den Durani gestellt, und so werden
diese wie jene durchschnittlich sehr mild behandelt. Neben ihnen existiren noch
die Klasse der „Ditkan," Leute, die sich als freiwillige Arbeiter unter den Ju¬
sofsi niedergelassen haben, und die „Hamsajeh" oder Nachbarn, Hintersassen, die
oft aus Afghanen bestehen, welche ans Armut ihren angestammten Airs oder
Chan verlassen haben und sich nun zu einem andern halten. Sie gelten im
Unterschiede von den Fakirs und Basgars als freie Leute und sogar als Eben¬
bürtige, die bei den Beratungen der Gemeine und der Markgenossenschaft an¬
stimmen.

Nur wenige Afghanen treiben städtische Gewerbe oder Handel. Der letztere
ist fast ganz in den Händen der Tadschiks, der Hindki und der Armenier.
Die Tadschiks, welche ungefähr den zehnten Teil der Bevölkerung Afghanistans
ausmachen, sind eingewanderte und ansässig gewordne Perser und finden sich
besonders häufig in Herat und andern westlichen Gegenden des Landes. Auch
sie sind meist große Leute von starkem Knochenbau und schwarzhaarig. Ihre
Bezeichnung kommt von den hohen, kegelförmigen Lammfellmützen, mit denen sie
den Kopf bedecken. Sie leben vorwiegend, fast ausschließlich in den Städten
oder in deren Umgebung, und zwar nähren sie sich neben ihren kaufmännischen
Geschäften, bei denen sie Verbindungen bis über den Ann-Darja hinaus unter¬
halten, auch vom Handwerke. Man schreibt ihnen die schlechtesten Eigenschaften,
allerlei Betrug und Arglist, Neigung zum Diebstahl, Verlogenheit, Kriecherei
und Verstellung zu. Sie sollen unnatürlichen Lastern fröhnen und in Sachen
der Religion arge Heuchler sein. Aus diesen Gründen werden sie von den Af¬
ghanen vielfach verabscheut, wozu auch der Umstand beiträgt, daß diese Tadschiks
Schiiten sind. Früher hatten sie viel von Bedrückung zu leiden, und Verfolgung
und Mißhandlung derselben durch fanatische Sunniten waren nichts seltenes.
Im Verlauf der letzten Jahrzehnte aber ist man duldsamer geworden, und selbst
Wechselheiraten zwischen Afghanen und Tadschiks kommen ziemlich häufig vor.
Die Hindki Afghanistans sind, wie ihr Name besagt, Hindus. Sie befinden
sich vorzüglich in den vstafghanischen Städten, in deren Bazaren sie als Hand¬
werker und Kaufleute thätig sind, besonders oft aber Geldgeschäfte betreiben, wie
denn fast alle Wechsler, die kleinen auf der Straße wie die großen in den Läden,
dieser Klasse der Bevölkerung angehören. Die Kisilbaschi sind Usbeken oder


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[0605] Afghanistan und die Afghanen. als Eigentum des Stammes. Die Jusofsi, die in alter Zeit in Beludschistan wohnten, dann aber als Eroberer in die Landschaften am obern Kabul ein¬ drangen, haben diese Sitte am treuesten bewahrt. Das Land wird hier teils von den Herren selbst bestellt, teils von seinen ehemaligen Besitzern, die von den Eroberern zu „Fakirs," d. h. Pächtern, herabgedrückt wurden und nun schwere Abgaben vom Ernteertrag, sowie Frohndienste leisten müssen. Der Herr hat das Recht, seinen Fakir zu züchtigen, ja ihn zu töten, dagegen darf dieser ihn jederzeit verlassen, um anderswo Dienst oder Erwerb zu suchen. Ähnlich sind die „Basaars" oder Tagelöhner bei den Durani gestellt, und so werden diese wie jene durchschnittlich sehr mild behandelt. Neben ihnen existiren noch die Klasse der „Ditkan," Leute, die sich als freiwillige Arbeiter unter den Ju¬ sofsi niedergelassen haben, und die „Hamsajeh" oder Nachbarn, Hintersassen, die oft aus Afghanen bestehen, welche ans Armut ihren angestammten Airs oder Chan verlassen haben und sich nun zu einem andern halten. Sie gelten im Unterschiede von den Fakirs und Basgars als freie Leute und sogar als Eben¬ bürtige, die bei den Beratungen der Gemeine und der Markgenossenschaft an¬ stimmen. Nur wenige Afghanen treiben städtische Gewerbe oder Handel. Der letztere ist fast ganz in den Händen der Tadschiks, der Hindki und der Armenier. Die Tadschiks, welche ungefähr den zehnten Teil der Bevölkerung Afghanistans ausmachen, sind eingewanderte und ansässig gewordne Perser und finden sich besonders häufig in Herat und andern westlichen Gegenden des Landes. Auch sie sind meist große Leute von starkem Knochenbau und schwarzhaarig. Ihre Bezeichnung kommt von den hohen, kegelförmigen Lammfellmützen, mit denen sie den Kopf bedecken. Sie leben vorwiegend, fast ausschließlich in den Städten oder in deren Umgebung, und zwar nähren sie sich neben ihren kaufmännischen Geschäften, bei denen sie Verbindungen bis über den Ann-Darja hinaus unter¬ halten, auch vom Handwerke. Man schreibt ihnen die schlechtesten Eigenschaften, allerlei Betrug und Arglist, Neigung zum Diebstahl, Verlogenheit, Kriecherei und Verstellung zu. Sie sollen unnatürlichen Lastern fröhnen und in Sachen der Religion arge Heuchler sein. Aus diesen Gründen werden sie von den Af¬ ghanen vielfach verabscheut, wozu auch der Umstand beiträgt, daß diese Tadschiks Schiiten sind. Früher hatten sie viel von Bedrückung zu leiden, und Verfolgung und Mißhandlung derselben durch fanatische Sunniten waren nichts seltenes. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte aber ist man duldsamer geworden, und selbst Wechselheiraten zwischen Afghanen und Tadschiks kommen ziemlich häufig vor. Die Hindki Afghanistans sind, wie ihr Name besagt, Hindus. Sie befinden sich vorzüglich in den vstafghanischen Städten, in deren Bazaren sie als Hand¬ werker und Kaufleute thätig sind, besonders oft aber Geldgeschäfte betreiben, wie denn fast alle Wechsler, die kleinen auf der Straße wie die großen in den Läden, dieser Klasse der Bevölkerung angehören. Die Kisilbaschi sind Usbeken oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/605>, abgerufen am 22.07.2024.