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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Afghanistan und die Afghanen.

der Afghanen verdient keine Widerlegung, obwohl die ausgeprägt jüdischen Ge¬
sichtszüge, denen man häufig unter ihnen begegnet, und die unter den Afghanen
wie unter den alten Jsraeliten herrschende Sitte, die Frau des verstorbenen
Bruders zu heiraten, dafür angeführt werden können. Doch möge eine Sage,
welche sie davon erzählen, als charakteristisch hier Platz finden. Saul, so be¬
richtet dieselbe, fühlte, als er den Schatten Samuels heraufbeschwor, tiefe Reue
wegen des ruchlosen Lebens, das er geführt hatte. Seufzend fragte er den
Propheten: "Wie kann der Missethäter selig werden?" Der Seher erwiederte:
"Der Allbarmherzige nimmt deine Reue gnädig auf. Überlasse David deine
Krone und ziehe mit deinen zehn Söhnen gegen die Ungläubigen. Ihr werdet
im Kampfe fallen und als Blutzeugen der Religion in das Paradies eingehen.
Dein Stamm aber wird nicht aussterben. Du wirst zwei gesegnete Frauen
hinterlassen, die Söhne gebären werden, Bcirchia sBaruch) und Ermia (Jeremia)
genannt, deren Nachkommenschaft im Buche der Zeiten eingeschrieben steht bis
zum Tage der Auferstehung; sie werden tapfer sein und hochherzig, gewaltig
und gerecht und zu Herren werden über weite Gebiete." Und siehe da, es ge¬
schah, was der Prophet verkündigt hatte. Barchias Sohn hieß Asif und der
Sohn des Ermia Afghcm, der eine wurde der Großwessir Salomos und der
andre sein Feldhauptmann. Einige Zeit nachher aber gestattete Gott, daß
Nebukadnezar sich die Länder Syriens unterwarf und die Kinder Israels ge¬
fangen wegführte. Sie wurden in Ghor, Kabul, Kandahar und Firuskuh an¬
gesiedelt, wo sie zahlreich wurden wie Sand am Meer und unaufhörlich gegen
die Götzendiener kämpften. Unter ihnen waren auch die Nachkommen Asifs
und Afghans. Andre aber suchten sich in Arabien neue Wohnsitze und verehrten
hier den Tempel in Mekka, den Abraham erbaut hatte, und bei dem der letzte
der Propheten geboren werden sollte. Fünfzehnhundert Jahre nach Salomos
Tode erglänzte die Sonne der Schönheit Muhammeds. Der Jude Chaled aus
dem Stamme Afghans erschien, nachdem er lange gegen ihn gestritten, vor
seinem Angesichte und sprach das Glaubensbekenntnis: "Ich bekenne, es ist kein
Gott außer Allah, und Muhammed ist der Gesandte Allahs." Muhammed
antwortete: "Gelobt sei Gott, der dich zum Islam geführt hat! Schon lange,
o Chaled, hoffte ich, du werdest mein vornehmster Jünger werden." Und hin¬
fort erwies ihm der Prophet unbedingtes Vertrauen, in allen wichtigen Dingen
nahm er zu ihm seine Zuflucht und mehr als irgendeinen andern feiner Be¬
gleiter erhob er diesen. Und wahrlich, er täuschte sich damit uicht. Noch im
Jahre seiner Bekehrung gewann Chaled die Schlacht bei Mulas, die erste, in
welcher der Islam außerhalb Arabiens siegte, weshalb der Prophet ihn mit
den Worten segnete: "O Schöpfer, gewähre ihm deinen Beistand! Chaled ist
das Schwert Gottes." Chaled sandte hierauf einen Brief an seine Brüder in
den Bergen Ghors und verkündete ihnen: "Der letzte der Propheten ist er¬
schienen." Und die Fürsten und Edeln, allen voran Kais, machten sich auf


Afghanistan und die Afghanen.

der Afghanen verdient keine Widerlegung, obwohl die ausgeprägt jüdischen Ge¬
sichtszüge, denen man häufig unter ihnen begegnet, und die unter den Afghanen
wie unter den alten Jsraeliten herrschende Sitte, die Frau des verstorbenen
Bruders zu heiraten, dafür angeführt werden können. Doch möge eine Sage,
welche sie davon erzählen, als charakteristisch hier Platz finden. Saul, so be¬
richtet dieselbe, fühlte, als er den Schatten Samuels heraufbeschwor, tiefe Reue
wegen des ruchlosen Lebens, das er geführt hatte. Seufzend fragte er den
Propheten: „Wie kann der Missethäter selig werden?" Der Seher erwiederte:
„Der Allbarmherzige nimmt deine Reue gnädig auf. Überlasse David deine
Krone und ziehe mit deinen zehn Söhnen gegen die Ungläubigen. Ihr werdet
im Kampfe fallen und als Blutzeugen der Religion in das Paradies eingehen.
Dein Stamm aber wird nicht aussterben. Du wirst zwei gesegnete Frauen
hinterlassen, die Söhne gebären werden, Bcirchia sBaruch) und Ermia (Jeremia)
genannt, deren Nachkommenschaft im Buche der Zeiten eingeschrieben steht bis
zum Tage der Auferstehung; sie werden tapfer sein und hochherzig, gewaltig
und gerecht und zu Herren werden über weite Gebiete." Und siehe da, es ge¬
schah, was der Prophet verkündigt hatte. Barchias Sohn hieß Asif und der
Sohn des Ermia Afghcm, der eine wurde der Großwessir Salomos und der
andre sein Feldhauptmann. Einige Zeit nachher aber gestattete Gott, daß
Nebukadnezar sich die Länder Syriens unterwarf und die Kinder Israels ge¬
fangen wegführte. Sie wurden in Ghor, Kabul, Kandahar und Firuskuh an¬
gesiedelt, wo sie zahlreich wurden wie Sand am Meer und unaufhörlich gegen
die Götzendiener kämpften. Unter ihnen waren auch die Nachkommen Asifs
und Afghans. Andre aber suchten sich in Arabien neue Wohnsitze und verehrten
hier den Tempel in Mekka, den Abraham erbaut hatte, und bei dem der letzte
der Propheten geboren werden sollte. Fünfzehnhundert Jahre nach Salomos
Tode erglänzte die Sonne der Schönheit Muhammeds. Der Jude Chaled aus
dem Stamme Afghans erschien, nachdem er lange gegen ihn gestritten, vor
seinem Angesichte und sprach das Glaubensbekenntnis: „Ich bekenne, es ist kein
Gott außer Allah, und Muhammed ist der Gesandte Allahs." Muhammed
antwortete: „Gelobt sei Gott, der dich zum Islam geführt hat! Schon lange,
o Chaled, hoffte ich, du werdest mein vornehmster Jünger werden." Und hin¬
fort erwies ihm der Prophet unbedingtes Vertrauen, in allen wichtigen Dingen
nahm er zu ihm seine Zuflucht und mehr als irgendeinen andern feiner Be¬
gleiter erhob er diesen. Und wahrlich, er täuschte sich damit uicht. Noch im
Jahre seiner Bekehrung gewann Chaled die Schlacht bei Mulas, die erste, in
welcher der Islam außerhalb Arabiens siegte, weshalb der Prophet ihn mit
den Worten segnete: „O Schöpfer, gewähre ihm deinen Beistand! Chaled ist
das Schwert Gottes." Chaled sandte hierauf einen Brief an seine Brüder in
den Bergen Ghors und verkündete ihnen: „Der letzte der Propheten ist er¬
schienen." Und die Fürsten und Edeln, allen voran Kais, machten sich auf


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[0601] Afghanistan und die Afghanen. der Afghanen verdient keine Widerlegung, obwohl die ausgeprägt jüdischen Ge¬ sichtszüge, denen man häufig unter ihnen begegnet, und die unter den Afghanen wie unter den alten Jsraeliten herrschende Sitte, die Frau des verstorbenen Bruders zu heiraten, dafür angeführt werden können. Doch möge eine Sage, welche sie davon erzählen, als charakteristisch hier Platz finden. Saul, so be¬ richtet dieselbe, fühlte, als er den Schatten Samuels heraufbeschwor, tiefe Reue wegen des ruchlosen Lebens, das er geführt hatte. Seufzend fragte er den Propheten: „Wie kann der Missethäter selig werden?" Der Seher erwiederte: „Der Allbarmherzige nimmt deine Reue gnädig auf. Überlasse David deine Krone und ziehe mit deinen zehn Söhnen gegen die Ungläubigen. Ihr werdet im Kampfe fallen und als Blutzeugen der Religion in das Paradies eingehen. Dein Stamm aber wird nicht aussterben. Du wirst zwei gesegnete Frauen hinterlassen, die Söhne gebären werden, Bcirchia sBaruch) und Ermia (Jeremia) genannt, deren Nachkommenschaft im Buche der Zeiten eingeschrieben steht bis zum Tage der Auferstehung; sie werden tapfer sein und hochherzig, gewaltig und gerecht und zu Herren werden über weite Gebiete." Und siehe da, es ge¬ schah, was der Prophet verkündigt hatte. Barchias Sohn hieß Asif und der Sohn des Ermia Afghcm, der eine wurde der Großwessir Salomos und der andre sein Feldhauptmann. Einige Zeit nachher aber gestattete Gott, daß Nebukadnezar sich die Länder Syriens unterwarf und die Kinder Israels ge¬ fangen wegführte. Sie wurden in Ghor, Kabul, Kandahar und Firuskuh an¬ gesiedelt, wo sie zahlreich wurden wie Sand am Meer und unaufhörlich gegen die Götzendiener kämpften. Unter ihnen waren auch die Nachkommen Asifs und Afghans. Andre aber suchten sich in Arabien neue Wohnsitze und verehrten hier den Tempel in Mekka, den Abraham erbaut hatte, und bei dem der letzte der Propheten geboren werden sollte. Fünfzehnhundert Jahre nach Salomos Tode erglänzte die Sonne der Schönheit Muhammeds. Der Jude Chaled aus dem Stamme Afghans erschien, nachdem er lange gegen ihn gestritten, vor seinem Angesichte und sprach das Glaubensbekenntnis: „Ich bekenne, es ist kein Gott außer Allah, und Muhammed ist der Gesandte Allahs." Muhammed antwortete: „Gelobt sei Gott, der dich zum Islam geführt hat! Schon lange, o Chaled, hoffte ich, du werdest mein vornehmster Jünger werden." Und hin¬ fort erwies ihm der Prophet unbedingtes Vertrauen, in allen wichtigen Dingen nahm er zu ihm seine Zuflucht und mehr als irgendeinen andern feiner Be¬ gleiter erhob er diesen. Und wahrlich, er täuschte sich damit uicht. Noch im Jahre seiner Bekehrung gewann Chaled die Schlacht bei Mulas, die erste, in welcher der Islam außerhalb Arabiens siegte, weshalb der Prophet ihn mit den Worten segnete: „O Schöpfer, gewähre ihm deinen Beistand! Chaled ist das Schwert Gottes." Chaled sandte hierauf einen Brief an seine Brüder in den Bergen Ghors und verkündete ihnen: „Der letzte der Propheten ist er¬ schienen." Und die Fürsten und Edeln, allen voran Kais, machten sich auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/601>, abgerufen am 22.07.2024.