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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

Aber wer kann diese Krähenfuße lesen? Francesco sah bloß nach den
Unterschriften. Uguceione, las er, Farinata, Morasino, also die Herren vom
Peinlichen Gericht? Kommt her, Signor Primaticcio, und lest mir's vor.

Andrea gehorchte. Blatt 1 enthielt die Aussagen der zuerst allein ins
Verhör genommenen Friaulerin über den Verschwörer Giuseppe Gonzagci,
Blatt 2 diejenigen des darauf ebenfalls allein verhörten Beppo, Blatt 3
einige weitere Bekenntnisse desselben, Blatt 4 nochmalige Aussagen desselben.

Der Herzog war anfangs kreideweiß geworden, dann hatte er zu lachen
begonnen und hatte zwischen dem Zuhören Worte ausgestoßen wie: Thorheit!
Gut ersonnen! Wer's glaubte! Seid Ihr bald mit der Aufschneiderei am
Ende?

Aber wenn Andrea aufhören wollte, hatte er doch befohlen: Fahrt fort!
Ich wette, Euer Schlingel Beppo ist ein Landsmann Boecaceios oder Ariosts.
Nie habe ich soviel Schnurren zu Papier bringen sehen. Mein Vorfahr Gian-
francesco, der große Poetenfreund, hätte ihm in seinem Musentreibhans eine
Freistelle angewiesen. Schade, daß der Bursche hier nicht ein- bis anderthalb-
hundert Jährchen früher auftauchte. Er stünde jetzt in Marmor ausgehauen
mit einem Lorberkranz auf dem Kopfe neben Tasso und Bembo!

Dennoch runzelte der Herzog, während Andrea zu lesen fortfuhr, mehr
und mehr die Stirn, und als bei der Lesung des letzten Blattes als Mitver-
schworene Giuseppe Gonzagas gar halb Verona denunzirt wurde, erblaßte er
von neuem.

Man soll den Lügenbold mit einem Zentuerstein belastet in den Mineio
werfen, wo das Wasser am tiefsten ist, rief er zornig, ich glaube nicht ein
Wort. Aber er durchlief jetzt selbst das Protokoll. Ammenmärchen! brummte
er, und konnte doch seine Miene nicht so verstellen, daß der Anwalt über den
Grad der Besorgnis, welche den Herzog erfüllte, in Zweifel geblieben wäre.

Wieviel hat die Partei der Buouacolsis sich's kosten lassen, diesen Papagei
abzurichten? fragte Francesco endlich und riß das Fenster auf, um Luft zu
schöpfen.

Altezza, gab der Anwalt zur Antwort, Ihr nanntet die Planken, auf denen
die letzten drei lebenden Wesen dieses Namens stromab dein Meere der Ver¬
gessenheit zutreiben, vorhin mit Recht ein Wrack. Ein venetianisches Sprich¬
wort sagt: nette dich aufs Laud, Ratte, das Schiff will sinken.

Soll damit gesagt sein, fragte der Herzog, daß es keine Partei mehr giebt,
welche zu dem sinkenden Sterne meiner Gegner hält?

Wer wäre Thor genug, die Sonne darüber zu vergessen?

Es giebt Blumen, welche uur bei Nacht den Kelch öffnen, welche also der
Sonne die Sterne vorziehen.

Aber die Ausnahmen, heißt es, bestätigen nur die Regel, Altezza.

Und was ist die Regel?


Grenzlwten II. 188S. 74
Um eine Perle.

Aber wer kann diese Krähenfuße lesen? Francesco sah bloß nach den
Unterschriften. Uguceione, las er, Farinata, Morasino, also die Herren vom
Peinlichen Gericht? Kommt her, Signor Primaticcio, und lest mir's vor.

Andrea gehorchte. Blatt 1 enthielt die Aussagen der zuerst allein ins
Verhör genommenen Friaulerin über den Verschwörer Giuseppe Gonzagci,
Blatt 2 diejenigen des darauf ebenfalls allein verhörten Beppo, Blatt 3
einige weitere Bekenntnisse desselben, Blatt 4 nochmalige Aussagen desselben.

Der Herzog war anfangs kreideweiß geworden, dann hatte er zu lachen
begonnen und hatte zwischen dem Zuhören Worte ausgestoßen wie: Thorheit!
Gut ersonnen! Wer's glaubte! Seid Ihr bald mit der Aufschneiderei am
Ende?

Aber wenn Andrea aufhören wollte, hatte er doch befohlen: Fahrt fort!
Ich wette, Euer Schlingel Beppo ist ein Landsmann Boecaceios oder Ariosts.
Nie habe ich soviel Schnurren zu Papier bringen sehen. Mein Vorfahr Gian-
francesco, der große Poetenfreund, hätte ihm in seinem Musentreibhans eine
Freistelle angewiesen. Schade, daß der Bursche hier nicht ein- bis anderthalb-
hundert Jährchen früher auftauchte. Er stünde jetzt in Marmor ausgehauen
mit einem Lorberkranz auf dem Kopfe neben Tasso und Bembo!

Dennoch runzelte der Herzog, während Andrea zu lesen fortfuhr, mehr
und mehr die Stirn, und als bei der Lesung des letzten Blattes als Mitver-
schworene Giuseppe Gonzagas gar halb Verona denunzirt wurde, erblaßte er
von neuem.

Man soll den Lügenbold mit einem Zentuerstein belastet in den Mineio
werfen, wo das Wasser am tiefsten ist, rief er zornig, ich glaube nicht ein
Wort. Aber er durchlief jetzt selbst das Protokoll. Ammenmärchen! brummte
er, und konnte doch seine Miene nicht so verstellen, daß der Anwalt über den
Grad der Besorgnis, welche den Herzog erfüllte, in Zweifel geblieben wäre.

Wieviel hat die Partei der Buouacolsis sich's kosten lassen, diesen Papagei
abzurichten? fragte Francesco endlich und riß das Fenster auf, um Luft zu
schöpfen.

Altezza, gab der Anwalt zur Antwort, Ihr nanntet die Planken, auf denen
die letzten drei lebenden Wesen dieses Namens stromab dein Meere der Ver¬
gessenheit zutreiben, vorhin mit Recht ein Wrack. Ein venetianisches Sprich¬
wort sagt: nette dich aufs Laud, Ratte, das Schiff will sinken.

Soll damit gesagt sein, fragte der Herzog, daß es keine Partei mehr giebt,
welche zu dem sinkenden Sterne meiner Gegner hält?

Wer wäre Thor genug, die Sonne darüber zu vergessen?

Es giebt Blumen, welche uur bei Nacht den Kelch öffnen, welche also der
Sonne die Sterne vorziehen.

Aber die Ausnahmen, heißt es, bestätigen nur die Regel, Altezza.

Und was ist die Regel?


Grenzlwten II. 188S. 74
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/590>, abgerufen am 22.07.2024.