Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Um eine perle.

Hin! Da wollt Ihr sagen, der gelehrte Doktor Jrnerius in Bologna
trüge die Verantwortung?

Er und der heilige Vater.

Honorius der Zweite?

Um Verzeihung, Mezza, es war der Dritte.

Francesco hatte eine Leidenschaft für gelehrte Brocken. Daß er mit dem
Namen Jrnerius ins Schwarze und mit Honorius wenigstens annähernd ins
Schwarze getroffen hatte, stimmte ihn wieder besserlaunig.

Ihr habt als ehrlicher Mann gehandelt, Meister Andrea, sagte er; Ihr
konntet vielleicht nicht umhin, dem armen Mädchen anheimzugeben, ob sie
ihren Vater durch den Widerruf ihrer Aussage retten wolle oder vielmehr dürfe;
aber als Ihr mit Euerm Urteil über die innere Unwahrheit dieses Widerrufes
im Klaren wäret, da sagtet Ihr Euch: Nein, soweit reichen meine Befugnisse
nicht, das kann der wohlseligc Doktor Jrnerius nicht gemeint haben, und Ihr
zerrisset den Widerruf.

Altezza, verneigte sich der Anwalt, Ihr leset in den Seelen der Menschen,
als seien es aufgeschlagene Bücher.

Und dennoch giebt eS in diesen Büchern manche Seite, die mir unver¬
ständlich bleibt. Der Herzog klopfte dem kleinen Manne vertraulich ans die
Achsel. Warum entzöge Ihr mir immer Eure Gegenwart, Signor Andrea?
Hätte nicht schon mein Vater -- Gott habe ihn selig --- an Euch einen klugen
Ratgeber, hättet nicht schon Ihr an ihm einen freigebigen Gönner haben können?

Altezza, meine geringen Kenntnisse standen immer zu Euers hochseligen
Herrn Vaters Verfügung wie zu der Euern.

Und wohl nicht minder anch zu der meiner Feinde?

Giebt es deren, Altezza? Der Alte sah bei dieser Frage so kindlich aus,
daß Francesco stutzte und sich, unter völliger Außerachtlassung der Kerze, in
der That Mühe gab, die weitschichtige Vuonacolsi-Pmtendcntenfrage in akade¬
mischer Vortragsweise zu erörtern, deun es mußte die endlich einmal sich dar¬
bietende Gelegenheit benutzt werden, den als Nechtskonsulenten der Bnonacolsi-
Anhängcr schon uuter mehr als einem Gonzaga den Interessen der letzter"
hinderlich gewesenen Andrea Primaticcio für die Sache der Gonzagas zu ge¬
winnen.

Der sich immer mehr an seiner eignen Wohlredenheit berauschende Herzog
war auf solche Weise uoch lange nicht an das Ende seiner mit gelehriger Miene
von dem Alten angehörten Auseinandersetzungen gelaugt, als der Docht der
Kerze in dem aufgelösten Wachsbrei umsank und nur noch mühsam mit einem
kleinen Flämmchen gegen das Ertrinken ankämpfte.

Da haben wir's! rief der Herzog; wo ist die Wachsstange? Hier. Aber
das Petschaft! N^lsästto! Wo ist das Petschaft? Alles habe ich um des
elenden Zollstabes willen durcheinander gewühlt. Helft suchen, guter Andrea!


Um eine perle.

Hin! Da wollt Ihr sagen, der gelehrte Doktor Jrnerius in Bologna
trüge die Verantwortung?

Er und der heilige Vater.

Honorius der Zweite?

Um Verzeihung, Mezza, es war der Dritte.

Francesco hatte eine Leidenschaft für gelehrte Brocken. Daß er mit dem
Namen Jrnerius ins Schwarze und mit Honorius wenigstens annähernd ins
Schwarze getroffen hatte, stimmte ihn wieder besserlaunig.

Ihr habt als ehrlicher Mann gehandelt, Meister Andrea, sagte er; Ihr
konntet vielleicht nicht umhin, dem armen Mädchen anheimzugeben, ob sie
ihren Vater durch den Widerruf ihrer Aussage retten wolle oder vielmehr dürfe;
aber als Ihr mit Euerm Urteil über die innere Unwahrheit dieses Widerrufes
im Klaren wäret, da sagtet Ihr Euch: Nein, soweit reichen meine Befugnisse
nicht, das kann der wohlseligc Doktor Jrnerius nicht gemeint haben, und Ihr
zerrisset den Widerruf.

Altezza, verneigte sich der Anwalt, Ihr leset in den Seelen der Menschen,
als seien es aufgeschlagene Bücher.

Und dennoch giebt eS in diesen Büchern manche Seite, die mir unver¬
ständlich bleibt. Der Herzog klopfte dem kleinen Manne vertraulich ans die
Achsel. Warum entzöge Ihr mir immer Eure Gegenwart, Signor Andrea?
Hätte nicht schon mein Vater — Gott habe ihn selig -— an Euch einen klugen
Ratgeber, hättet nicht schon Ihr an ihm einen freigebigen Gönner haben können?

Altezza, meine geringen Kenntnisse standen immer zu Euers hochseligen
Herrn Vaters Verfügung wie zu der Euern.

Und wohl nicht minder anch zu der meiner Feinde?

Giebt es deren, Altezza? Der Alte sah bei dieser Frage so kindlich aus,
daß Francesco stutzte und sich, unter völliger Außerachtlassung der Kerze, in
der That Mühe gab, die weitschichtige Vuonacolsi-Pmtendcntenfrage in akade¬
mischer Vortragsweise zu erörtern, deun es mußte die endlich einmal sich dar¬
bietende Gelegenheit benutzt werden, den als Nechtskonsulenten der Bnonacolsi-
Anhängcr schon uuter mehr als einem Gonzaga den Interessen der letzter»
hinderlich gewesenen Andrea Primaticcio für die Sache der Gonzagas zu ge¬
winnen.

Der sich immer mehr an seiner eignen Wohlredenheit berauschende Herzog
war auf solche Weise uoch lange nicht an das Ende seiner mit gelehriger Miene
von dem Alten angehörten Auseinandersetzungen gelaugt, als der Docht der
Kerze in dem aufgelösten Wachsbrei umsank und nur noch mühsam mit einem
kleinen Flämmchen gegen das Ertrinken ankämpfte.

Da haben wir's! rief der Herzog; wo ist die Wachsstange? Hier. Aber
das Petschaft! N^lsästto! Wo ist das Petschaft? Alles habe ich um des
elenden Zollstabes willen durcheinander gewühlt. Helft suchen, guter Andrea!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0587" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195976"/>
          <fw type="header" place="top"> Um eine perle.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2114"> Hin! Da wollt Ihr sagen, der gelehrte Doktor Jrnerius in Bologna<lb/>
trüge die Verantwortung?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2115"> Er und der heilige Vater.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2116"> Honorius der Zweite?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2117"> Um Verzeihung, Mezza, es war der Dritte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2118"> Francesco hatte eine Leidenschaft für gelehrte Brocken. Daß er mit dem<lb/>
Namen Jrnerius ins Schwarze und mit Honorius wenigstens annähernd ins<lb/>
Schwarze getroffen hatte, stimmte ihn wieder besserlaunig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2119"> Ihr habt als ehrlicher Mann gehandelt, Meister Andrea, sagte er; Ihr<lb/>
konntet vielleicht nicht umhin, dem armen Mädchen anheimzugeben, ob sie<lb/>
ihren Vater durch den Widerruf ihrer Aussage retten wolle oder vielmehr dürfe;<lb/>
aber als Ihr mit Euerm Urteil über die innere Unwahrheit dieses Widerrufes<lb/>
im Klaren wäret, da sagtet Ihr Euch: Nein, soweit reichen meine Befugnisse<lb/>
nicht, das kann der wohlseligc Doktor Jrnerius nicht gemeint haben, und Ihr<lb/>
zerrisset den Widerruf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2120"> Altezza, verneigte sich der Anwalt, Ihr leset in den Seelen der Menschen,<lb/>
als seien es aufgeschlagene Bücher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2121"> Und dennoch giebt eS in diesen Büchern manche Seite, die mir unver¬<lb/>
ständlich bleibt. Der Herzog klopfte dem kleinen Manne vertraulich ans die<lb/>
Achsel. Warum entzöge Ihr mir immer Eure Gegenwart, Signor Andrea?<lb/>
Hätte nicht schon mein Vater &#x2014; Gott habe ihn selig -&#x2014; an Euch einen klugen<lb/>
Ratgeber, hättet nicht schon Ihr an ihm einen freigebigen Gönner haben können?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2122"> Altezza, meine geringen Kenntnisse standen immer zu Euers hochseligen<lb/>
Herrn Vaters Verfügung wie zu der Euern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2123"> Und wohl nicht minder anch zu der meiner Feinde?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2124"> Giebt es deren, Altezza? Der Alte sah bei dieser Frage so kindlich aus,<lb/>
daß Francesco stutzte und sich, unter völliger Außerachtlassung der Kerze, in<lb/>
der That Mühe gab, die weitschichtige Vuonacolsi-Pmtendcntenfrage in akade¬<lb/>
mischer Vortragsweise zu erörtern, deun es mußte die endlich einmal sich dar¬<lb/>
bietende Gelegenheit benutzt werden, den als Nechtskonsulenten der Bnonacolsi-<lb/>
Anhängcr schon uuter mehr als einem Gonzaga den Interessen der letzter»<lb/>
hinderlich gewesenen Andrea Primaticcio für die Sache der Gonzagas zu ge¬<lb/>
winnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2125"> Der sich immer mehr an seiner eignen Wohlredenheit berauschende Herzog<lb/>
war auf solche Weise uoch lange nicht an das Ende seiner mit gelehriger Miene<lb/>
von dem Alten angehörten Auseinandersetzungen gelaugt, als der Docht der<lb/>
Kerze in dem aufgelösten Wachsbrei umsank und nur noch mühsam mit einem<lb/>
kleinen Flämmchen gegen das Ertrinken ankämpfte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2126" next="#ID_2127"> Da haben wir's! rief der Herzog; wo ist die Wachsstange? Hier. Aber<lb/>
das Petschaft! N^lsästto! Wo ist das Petschaft? Alles habe ich um des<lb/>
elenden Zollstabes willen durcheinander gewühlt.  Helft suchen, guter Andrea!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0587] Um eine perle. Hin! Da wollt Ihr sagen, der gelehrte Doktor Jrnerius in Bologna trüge die Verantwortung? Er und der heilige Vater. Honorius der Zweite? Um Verzeihung, Mezza, es war der Dritte. Francesco hatte eine Leidenschaft für gelehrte Brocken. Daß er mit dem Namen Jrnerius ins Schwarze und mit Honorius wenigstens annähernd ins Schwarze getroffen hatte, stimmte ihn wieder besserlaunig. Ihr habt als ehrlicher Mann gehandelt, Meister Andrea, sagte er; Ihr konntet vielleicht nicht umhin, dem armen Mädchen anheimzugeben, ob sie ihren Vater durch den Widerruf ihrer Aussage retten wolle oder vielmehr dürfe; aber als Ihr mit Euerm Urteil über die innere Unwahrheit dieses Widerrufes im Klaren wäret, da sagtet Ihr Euch: Nein, soweit reichen meine Befugnisse nicht, das kann der wohlseligc Doktor Jrnerius nicht gemeint haben, und Ihr zerrisset den Widerruf. Altezza, verneigte sich der Anwalt, Ihr leset in den Seelen der Menschen, als seien es aufgeschlagene Bücher. Und dennoch giebt eS in diesen Büchern manche Seite, die mir unver¬ ständlich bleibt. Der Herzog klopfte dem kleinen Manne vertraulich ans die Achsel. Warum entzöge Ihr mir immer Eure Gegenwart, Signor Andrea? Hätte nicht schon mein Vater — Gott habe ihn selig -— an Euch einen klugen Ratgeber, hättet nicht schon Ihr an ihm einen freigebigen Gönner haben können? Altezza, meine geringen Kenntnisse standen immer zu Euers hochseligen Herrn Vaters Verfügung wie zu der Euern. Und wohl nicht minder anch zu der meiner Feinde? Giebt es deren, Altezza? Der Alte sah bei dieser Frage so kindlich aus, daß Francesco stutzte und sich, unter völliger Außerachtlassung der Kerze, in der That Mühe gab, die weitschichtige Vuonacolsi-Pmtendcntenfrage in akade¬ mischer Vortragsweise zu erörtern, deun es mußte die endlich einmal sich dar¬ bietende Gelegenheit benutzt werden, den als Nechtskonsulenten der Bnonacolsi- Anhängcr schon uuter mehr als einem Gonzaga den Interessen der letzter» hinderlich gewesenen Andrea Primaticcio für die Sache der Gonzagas zu ge¬ winnen. Der sich immer mehr an seiner eignen Wohlredenheit berauschende Herzog war auf solche Weise uoch lange nicht an das Ende seiner mit gelehriger Miene von dem Alten angehörten Auseinandersetzungen gelaugt, als der Docht der Kerze in dem aufgelösten Wachsbrei umsank und nur noch mühsam mit einem kleinen Flämmchen gegen das Ertrinken ankämpfte. Da haben wir's! rief der Herzog; wo ist die Wachsstange? Hier. Aber das Petschaft! N^lsästto! Wo ist das Petschaft? Alles habe ich um des elenden Zollstabes willen durcheinander gewühlt. Helft suchen, guter Andrea!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/587
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/587>, abgerufen am 22.07.2024.