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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstpreußische Skizzen.
5. Lebens weise; Speisen und Getränke; allerhand Polnisches.

infam! einsam! das ist und bleibt schließlich ein charakteristisches
Wort für ostpreußisches Leben. Ein großer Teil der Bevölkerung
sieht einen großen Teil des Jahres hindurch nur wenig Menschen.
Und auch in den Städten spinnt das Leben sich durchgehends in
größerer Stille, in, möchte man sagen, resignirterer Beschränkung
ans Haus und Familie ab, als in den meisten andern Teilen Deutschlands. Nicht
als ob es an Geselligkeit fehlte; aber sie erscheint nicht in dem Maße als ein
notwendiger Bestandteil des Familienlebens wie vielfach anderswo, sondern mehr
als etwas Ncbenherlanfendes, von außen in die abgeschlossenen Lebenskreise
Hineingetragenes. Darum bewahrt sie auch einen etwas förmlichen Anstrich,
weil zwar Nachbarschaft, gelegentliche Begegnung, Gemeinsamkeit bei Jagd, bei
öffentlichen Interessen ?c. vielerlei persönliche Beziehungen herstellen, die man
aber doch innerhalb gewisser Schranken halten will. Wein es freilich gelingt,
diese Schranken zu durchbrechen, und wer dabei nicht verabsäumt, die hier nun
einmal unerläßlichen Formen trotzdem zu bewahren, der wird hinter der förm¬
lichen Kühle des Ostpreußen eine Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit finden, die
nichts zu wünschen übrig läßt.

Diese nicht sofort ins Ange fallende, im tiefern Grunde aber vorhaudne
Herzlichkeit des ostpreußischen Wesens gehört zu den Gründen, welche selbst den
Süd- und Westdeutsche!: über die Unlieblichkciten Ostpreußens so verhältnis¬
mäßig leicht hinwegkommen lassen. Man merkt gar bald, daß es mit dem
verschrieenen Klima nicht halb so arg ist, daß die Provinz selbst landschaftlich
noch lange nicht aller Reize entbehrt, daß es sich vergleichsweise billig lebt,
daß in keinem Teile Deutschlands Eier, Geflügel, Schinken u. a. besser und
billiger sind, und über alles dieses hinaus, daß, sofern man überhaupt noch
eine leidlich gesunde, widerstandsfähige Natur hat, die ostpreußische Luft und
Lebensweise sehr gut bekommt; endlich, daß der gesellschaftliche Verkehr das
Maß seiner Annehmlichkeiten ganz darnach bemißt, wie man selbst sich zu geben
weiß, bei einmal gewonnener Grundlage sich aber zu einem sehr ungezwungenen
und herzlichen gestaltet. Ganz ungemein zahlreich ist die Menge deutscher
Landsleute aus allen Teilen des Reiches, die sich hauptsächlich zwar in Königs¬
berg, doch auch in andern ostpreußischen Städten zusammenfinden, und nicht
selten kann man von diesem und jenem die Äußerung hören, daß er sich noch nie


Gstpreußische Skizzen.
5. Lebens weise; Speisen und Getränke; allerhand Polnisches.

infam! einsam! das ist und bleibt schließlich ein charakteristisches
Wort für ostpreußisches Leben. Ein großer Teil der Bevölkerung
sieht einen großen Teil des Jahres hindurch nur wenig Menschen.
Und auch in den Städten spinnt das Leben sich durchgehends in
größerer Stille, in, möchte man sagen, resignirterer Beschränkung
ans Haus und Familie ab, als in den meisten andern Teilen Deutschlands. Nicht
als ob es an Geselligkeit fehlte; aber sie erscheint nicht in dem Maße als ein
notwendiger Bestandteil des Familienlebens wie vielfach anderswo, sondern mehr
als etwas Ncbenherlanfendes, von außen in die abgeschlossenen Lebenskreise
Hineingetragenes. Darum bewahrt sie auch einen etwas förmlichen Anstrich,
weil zwar Nachbarschaft, gelegentliche Begegnung, Gemeinsamkeit bei Jagd, bei
öffentlichen Interessen ?c. vielerlei persönliche Beziehungen herstellen, die man
aber doch innerhalb gewisser Schranken halten will. Wein es freilich gelingt,
diese Schranken zu durchbrechen, und wer dabei nicht verabsäumt, die hier nun
einmal unerläßlichen Formen trotzdem zu bewahren, der wird hinter der förm¬
lichen Kühle des Ostpreußen eine Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit finden, die
nichts zu wünschen übrig läßt.

Diese nicht sofort ins Ange fallende, im tiefern Grunde aber vorhaudne
Herzlichkeit des ostpreußischen Wesens gehört zu den Gründen, welche selbst den
Süd- und Westdeutsche!: über die Unlieblichkciten Ostpreußens so verhältnis¬
mäßig leicht hinwegkommen lassen. Man merkt gar bald, daß es mit dem
verschrieenen Klima nicht halb so arg ist, daß die Provinz selbst landschaftlich
noch lange nicht aller Reize entbehrt, daß es sich vergleichsweise billig lebt,
daß in keinem Teile Deutschlands Eier, Geflügel, Schinken u. a. besser und
billiger sind, und über alles dieses hinaus, daß, sofern man überhaupt noch
eine leidlich gesunde, widerstandsfähige Natur hat, die ostpreußische Luft und
Lebensweise sehr gut bekommt; endlich, daß der gesellschaftliche Verkehr das
Maß seiner Annehmlichkeiten ganz darnach bemißt, wie man selbst sich zu geben
weiß, bei einmal gewonnener Grundlage sich aber zu einem sehr ungezwungenen
und herzlichen gestaltet. Ganz ungemein zahlreich ist die Menge deutscher
Landsleute aus allen Teilen des Reiches, die sich hauptsächlich zwar in Königs¬
berg, doch auch in andern ostpreußischen Städten zusammenfinden, und nicht
selten kann man von diesem und jenem die Äußerung hören, daß er sich noch nie


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[0560] Gstpreußische Skizzen. 5. Lebens weise; Speisen und Getränke; allerhand Polnisches. infam! einsam! das ist und bleibt schließlich ein charakteristisches Wort für ostpreußisches Leben. Ein großer Teil der Bevölkerung sieht einen großen Teil des Jahres hindurch nur wenig Menschen. Und auch in den Städten spinnt das Leben sich durchgehends in größerer Stille, in, möchte man sagen, resignirterer Beschränkung ans Haus und Familie ab, als in den meisten andern Teilen Deutschlands. Nicht als ob es an Geselligkeit fehlte; aber sie erscheint nicht in dem Maße als ein notwendiger Bestandteil des Familienlebens wie vielfach anderswo, sondern mehr als etwas Ncbenherlanfendes, von außen in die abgeschlossenen Lebenskreise Hineingetragenes. Darum bewahrt sie auch einen etwas förmlichen Anstrich, weil zwar Nachbarschaft, gelegentliche Begegnung, Gemeinsamkeit bei Jagd, bei öffentlichen Interessen ?c. vielerlei persönliche Beziehungen herstellen, die man aber doch innerhalb gewisser Schranken halten will. Wein es freilich gelingt, diese Schranken zu durchbrechen, und wer dabei nicht verabsäumt, die hier nun einmal unerläßlichen Formen trotzdem zu bewahren, der wird hinter der förm¬ lichen Kühle des Ostpreußen eine Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit finden, die nichts zu wünschen übrig läßt. Diese nicht sofort ins Ange fallende, im tiefern Grunde aber vorhaudne Herzlichkeit des ostpreußischen Wesens gehört zu den Gründen, welche selbst den Süd- und Westdeutsche!: über die Unlieblichkciten Ostpreußens so verhältnis¬ mäßig leicht hinwegkommen lassen. Man merkt gar bald, daß es mit dem verschrieenen Klima nicht halb so arg ist, daß die Provinz selbst landschaftlich noch lange nicht aller Reize entbehrt, daß es sich vergleichsweise billig lebt, daß in keinem Teile Deutschlands Eier, Geflügel, Schinken u. a. besser und billiger sind, und über alles dieses hinaus, daß, sofern man überhaupt noch eine leidlich gesunde, widerstandsfähige Natur hat, die ostpreußische Luft und Lebensweise sehr gut bekommt; endlich, daß der gesellschaftliche Verkehr das Maß seiner Annehmlichkeiten ganz darnach bemißt, wie man selbst sich zu geben weiß, bei einmal gewonnener Grundlage sich aber zu einem sehr ungezwungenen und herzlichen gestaltet. Ganz ungemein zahlreich ist die Menge deutscher Landsleute aus allen Teilen des Reiches, die sich hauptsächlich zwar in Königs¬ berg, doch auch in andern ostpreußischen Städten zusammenfinden, und nicht selten kann man von diesem und jenem die Äußerung hören, daß er sich noch nie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/560>, abgerufen am 22.07.2024.