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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das französische Deportationsgesetz.

lässig ist. Dieselbe kann allerdings bloß dann zuerkannt werden, wenn das
berufsmäßige Zuhülterwesen sich einmal mit einem Eigentums- oder Sittlichkeits-
vergehcn verbindet, und es wäre wünschenswert gewesen, dasselbe auch ohne
einen solchen Nachweis fassen zu können, um es gründlich auszurotten; jeden¬
falls ist aber schon die jetzt beschlossene gesetzliche Bestimmung ein erfreulicher
Fortschritt auf dem Wege zur Besserung der bestehenden Zustände. Außer
gegen die obengenannte Gattung von Verbrechern findet die Deportation nach
dem Gesetze statt gegen Verbrecher, welche Raub, Diebstahl, Betrug, Vertrauens-
mißbrauch, Vergehen gegen die Sittlichkeit im Rückfalle begangen haben, und
hierzu kommen die gewohuheitsmüßigeu Bettler und Landstreicher.

Während der Beratung des Gesetzes war von dem Kriminalisten Leveille,
der von dem frühern Minister zur Prüfung der Frage an Ort und Stelle nach
Guyana gesandt worden war, verlangt worden, daß die Verschickung eine fakul¬
tative, nicht eine obligatorische sein solle, daß es sodann der Verwaltung frei¬
stehen solle, unter den Verurteilten eine Auslese zu halten und diejenigen,
welche sich uach einer Probezeit würdig gezeigt haben, von der Strafe der
Verbannung zu befreien. Wenn in dieser Weise nnter den Deportirten ge¬
sichtet worden sei, so habe man es bei den Nichtbegnadigten mit unver¬
besserlichen Subjekten zu thun, und diese mit besondrer Milde zu behandeln,
liege sodann kein Grund mehr vor; die letztern seien deshalb als nicht im Zu¬
stande der Freiheit befindlich anzusehen und ohne Rücksicht auf etwaiges Ver¬
mögen ohne Allsnahme zur Arbeit in der Kolonie anzuhalten. Der Senat
schloß sich diesen Erwägungen im ganzen an, und die Deputirtenkammer hat
sodann das Gesetz in der Fassung des Senats angenommen. Die Deportirten
sollen am Deportationsorte innerhalb bestimmter Grenzen internirt und zur
Arbeit gezwungen werden, wenn sie nicht den Nachweis liefern können, daß sie
im Besitze genügender Existenzmittel sind. Als Deportationsort ist die im
Nordosten von Südamerika gelegene französische Kolonie Guyana in Aussicht
genommen, welche schon unter dem zweiten Kaiserreiche zu ähnlichen Zwecken
benutzt wurde. Die angeblich sehr ungesunden klimatischen Verhältnisse dieses
Erbteiles, welche so oft zu bittern Vorwürfen gegen die Regierung des Kaisers
herhalten mußten, haben der Republik keinen genügenden Grund gegeben, von
der Wahl dieses Ortes abzustehen. Es wurde übrigens bei den Verhandlungen
behauptet, daß die dortigen Verhältnisse durchaus nicht so schlimm seien, wie
sie dargestellt zu werden Pflegen, und im übrigen darauf hingewiesen, daß es
sich nicht darum handle, einen möglichst angenehmen Aufenthaltsort für die
rückfälligen Verbrecher ausfindig zu machen.

Es läßt sich nicht bestreiten, daß das Deportationsgesetz ein scharfes Gesetz
ist und daß es vielleicht drakonisch wirkt in Fällen, in welchen bisher eine
mäßige Freiheitsstrafe als ausreichende Sühne für ein begangenes Verbrechen
angesehen wurde, während künftig für dasselbe neben der Freiheitsstrafe auf


Grenzboten II. 1L85. 70
Das französische Deportationsgesetz.

lässig ist. Dieselbe kann allerdings bloß dann zuerkannt werden, wenn das
berufsmäßige Zuhülterwesen sich einmal mit einem Eigentums- oder Sittlichkeits-
vergehcn verbindet, und es wäre wünschenswert gewesen, dasselbe auch ohne
einen solchen Nachweis fassen zu können, um es gründlich auszurotten; jeden¬
falls ist aber schon die jetzt beschlossene gesetzliche Bestimmung ein erfreulicher
Fortschritt auf dem Wege zur Besserung der bestehenden Zustände. Außer
gegen die obengenannte Gattung von Verbrechern findet die Deportation nach
dem Gesetze statt gegen Verbrecher, welche Raub, Diebstahl, Betrug, Vertrauens-
mißbrauch, Vergehen gegen die Sittlichkeit im Rückfalle begangen haben, und
hierzu kommen die gewohuheitsmüßigeu Bettler und Landstreicher.

Während der Beratung des Gesetzes war von dem Kriminalisten Leveille,
der von dem frühern Minister zur Prüfung der Frage an Ort und Stelle nach
Guyana gesandt worden war, verlangt worden, daß die Verschickung eine fakul¬
tative, nicht eine obligatorische sein solle, daß es sodann der Verwaltung frei¬
stehen solle, unter den Verurteilten eine Auslese zu halten und diejenigen,
welche sich uach einer Probezeit würdig gezeigt haben, von der Strafe der
Verbannung zu befreien. Wenn in dieser Weise nnter den Deportirten ge¬
sichtet worden sei, so habe man es bei den Nichtbegnadigten mit unver¬
besserlichen Subjekten zu thun, und diese mit besondrer Milde zu behandeln,
liege sodann kein Grund mehr vor; die letztern seien deshalb als nicht im Zu¬
stande der Freiheit befindlich anzusehen und ohne Rücksicht auf etwaiges Ver¬
mögen ohne Allsnahme zur Arbeit in der Kolonie anzuhalten. Der Senat
schloß sich diesen Erwägungen im ganzen an, und die Deputirtenkammer hat
sodann das Gesetz in der Fassung des Senats angenommen. Die Deportirten
sollen am Deportationsorte innerhalb bestimmter Grenzen internirt und zur
Arbeit gezwungen werden, wenn sie nicht den Nachweis liefern können, daß sie
im Besitze genügender Existenzmittel sind. Als Deportationsort ist die im
Nordosten von Südamerika gelegene französische Kolonie Guyana in Aussicht
genommen, welche schon unter dem zweiten Kaiserreiche zu ähnlichen Zwecken
benutzt wurde. Die angeblich sehr ungesunden klimatischen Verhältnisse dieses
Erbteiles, welche so oft zu bittern Vorwürfen gegen die Regierung des Kaisers
herhalten mußten, haben der Republik keinen genügenden Grund gegeben, von
der Wahl dieses Ortes abzustehen. Es wurde übrigens bei den Verhandlungen
behauptet, daß die dortigen Verhältnisse durchaus nicht so schlimm seien, wie
sie dargestellt zu werden Pflegen, und im übrigen darauf hingewiesen, daß es
sich nicht darum handle, einen möglichst angenehmen Aufenthaltsort für die
rückfälligen Verbrecher ausfindig zu machen.

Es läßt sich nicht bestreiten, daß das Deportationsgesetz ein scharfes Gesetz
ist und daß es vielleicht drakonisch wirkt in Fällen, in welchen bisher eine
mäßige Freiheitsstrafe als ausreichende Sühne für ein begangenes Verbrechen
angesehen wurde, während künftig für dasselbe neben der Freiheitsstrafe auf


Grenzboten II. 1L85. 70
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[0558] Das französische Deportationsgesetz. lässig ist. Dieselbe kann allerdings bloß dann zuerkannt werden, wenn das berufsmäßige Zuhülterwesen sich einmal mit einem Eigentums- oder Sittlichkeits- vergehcn verbindet, und es wäre wünschenswert gewesen, dasselbe auch ohne einen solchen Nachweis fassen zu können, um es gründlich auszurotten; jeden¬ falls ist aber schon die jetzt beschlossene gesetzliche Bestimmung ein erfreulicher Fortschritt auf dem Wege zur Besserung der bestehenden Zustände. Außer gegen die obengenannte Gattung von Verbrechern findet die Deportation nach dem Gesetze statt gegen Verbrecher, welche Raub, Diebstahl, Betrug, Vertrauens- mißbrauch, Vergehen gegen die Sittlichkeit im Rückfalle begangen haben, und hierzu kommen die gewohuheitsmüßigeu Bettler und Landstreicher. Während der Beratung des Gesetzes war von dem Kriminalisten Leveille, der von dem frühern Minister zur Prüfung der Frage an Ort und Stelle nach Guyana gesandt worden war, verlangt worden, daß die Verschickung eine fakul¬ tative, nicht eine obligatorische sein solle, daß es sodann der Verwaltung frei¬ stehen solle, unter den Verurteilten eine Auslese zu halten und diejenigen, welche sich uach einer Probezeit würdig gezeigt haben, von der Strafe der Verbannung zu befreien. Wenn in dieser Weise nnter den Deportirten ge¬ sichtet worden sei, so habe man es bei den Nichtbegnadigten mit unver¬ besserlichen Subjekten zu thun, und diese mit besondrer Milde zu behandeln, liege sodann kein Grund mehr vor; die letztern seien deshalb als nicht im Zu¬ stande der Freiheit befindlich anzusehen und ohne Rücksicht auf etwaiges Ver¬ mögen ohne Allsnahme zur Arbeit in der Kolonie anzuhalten. Der Senat schloß sich diesen Erwägungen im ganzen an, und die Deputirtenkammer hat sodann das Gesetz in der Fassung des Senats angenommen. Die Deportirten sollen am Deportationsorte innerhalb bestimmter Grenzen internirt und zur Arbeit gezwungen werden, wenn sie nicht den Nachweis liefern können, daß sie im Besitze genügender Existenzmittel sind. Als Deportationsort ist die im Nordosten von Südamerika gelegene französische Kolonie Guyana in Aussicht genommen, welche schon unter dem zweiten Kaiserreiche zu ähnlichen Zwecken benutzt wurde. Die angeblich sehr ungesunden klimatischen Verhältnisse dieses Erbteiles, welche so oft zu bittern Vorwürfen gegen die Regierung des Kaisers herhalten mußten, haben der Republik keinen genügenden Grund gegeben, von der Wahl dieses Ortes abzustehen. Es wurde übrigens bei den Verhandlungen behauptet, daß die dortigen Verhältnisse durchaus nicht so schlimm seien, wie sie dargestellt zu werden Pflegen, und im übrigen darauf hingewiesen, daß es sich nicht darum handle, einen möglichst angenehmen Aufenthaltsort für die rückfälligen Verbrecher ausfindig zu machen. Es läßt sich nicht bestreiten, daß das Deportationsgesetz ein scharfes Gesetz ist und daß es vielleicht drakonisch wirkt in Fällen, in welchen bisher eine mäßige Freiheitsstrafe als ausreichende Sühne für ein begangenes Verbrechen angesehen wurde, während künftig für dasselbe neben der Freiheitsstrafe auf Grenzboten II. 1L85. 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/558>, abgerufen am 22.07.2024.