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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das Ende vom Liede im Sudan.

Dritten seine Stellung zu überlassen. Der Islam ist so fruchtbar an falschen
Propheten und Sektenstiftern mit weltlichen Zielen wie einst das Christenthum.
Die über Muslime herrschenden christlichen Mächte sind dieser Gefahr besonders
ausgesetzt, und es ist sehr möglich, daß nur die Anwesenheit Gordons und das
Vorrücken Wolselchs im Sudan die Häuptlinge und Stämme einigte, die vorher
uneins waren und sofort wieder uneins wurden, als der Ungläubige, der ge¬
meinsame Feind, den Rückzug antrat. Die Wüstenaraber sind, wie es scheint,
nicht darnach angelegt, lange zusammenzuhalten und sich zu einer festen mili¬
tärischen Macht zu entwickeln. Die Tapferkeit der Einzelnen ist derart, daß
sie gleichbewaffneten Soldaten der Kulturwelt wahrscheinlich mehr als gewachsen
sein würden. Mannszucht und gute Gewehre allein ließen die Engländer über
Gegner siegen, welche sich furchtlos in gewissen Tod stürzen, weil sie als Ghasi,
als Glaubenskämpfer, hinter, über ihm das Paradies sehen. Aber noch ist in
neueren Zeiten kein Feldherr wieder erschienen, der diese individuellen Helden der
Wüste zu einem großen Heere zusammengeschmolzen hätte, das unbedingt zu
gehorchen, das dauernd einem und demselben Ziele zuzustreben versteht, und
das hinter sich eine Organisation hat, welche eine sichere, wandelnde oder feste
Hilfsquelle für alle Fälle der Versorgung mit Lebensmitteln, Munition u. dergl.
bildet. Wie der Sand ihrer Wüste können sie von einem Sturme des Fana¬
tismus aufgewirbelt werden, um gegen alle loszustürzen, die in ihre Einöden
eindringen, aber jeder Schritt, der sie in mehr kultivirte Gegenden und gegen
befestigte Stellungen und Städte sllhrt, verrät ihre Schwäche. Sie sind nicht
einmal imstande, lange das Feld zu halten. Sie lösen ihre Heerschaaren auf,
um da und dort zu Brunnen und Wasser für sich, ihre Pferde und ihre Ka-
meele zu gelangen. Sie gehen auf Monate nach Hause, um ihre Äcker zu be¬
stellen oder ihre Ernte einzubringen. Gerade diese Eigentümlichkeiten erschweren
neben dem Klima am meisten den Kampf mit ihnen. Man kaun sie schlagen,
aber sie bleiben nicht geschlagen. Sie zerrinnen, diese Heere der Wüstenmenschen,
aber sie gerinnen auch wieder. Sie können, heute dnrch eine Niederlage zer¬
stäubt, zu jeder Zeit sich wieder sammeln, wie man bei Osman Digmas Haufen
gesehen hat, und England mit seiner kleinen Armee und seiner kostspieligen
Kriegführung kann für sich allein Ägypten und deu Sudan nicht halten. Da¬
gegen wäre dies sehr wohl möglich im Vnnde mit einer Macht, die freilich bei
Glcidstone der "unaussprechliche Türke" heißt, mit der vereint man aber das
Ansehen des Chalifen, des geistlichen Oberhaupts aller Muslime, gegen den
Mahdi oder seine Nebenbuhler in die Wagschale werfen könnte.




Das Ende vom Liede im Sudan.

Dritten seine Stellung zu überlassen. Der Islam ist so fruchtbar an falschen
Propheten und Sektenstiftern mit weltlichen Zielen wie einst das Christenthum.
Die über Muslime herrschenden christlichen Mächte sind dieser Gefahr besonders
ausgesetzt, und es ist sehr möglich, daß nur die Anwesenheit Gordons und das
Vorrücken Wolselchs im Sudan die Häuptlinge und Stämme einigte, die vorher
uneins waren und sofort wieder uneins wurden, als der Ungläubige, der ge¬
meinsame Feind, den Rückzug antrat. Die Wüstenaraber sind, wie es scheint,
nicht darnach angelegt, lange zusammenzuhalten und sich zu einer festen mili¬
tärischen Macht zu entwickeln. Die Tapferkeit der Einzelnen ist derart, daß
sie gleichbewaffneten Soldaten der Kulturwelt wahrscheinlich mehr als gewachsen
sein würden. Mannszucht und gute Gewehre allein ließen die Engländer über
Gegner siegen, welche sich furchtlos in gewissen Tod stürzen, weil sie als Ghasi,
als Glaubenskämpfer, hinter, über ihm das Paradies sehen. Aber noch ist in
neueren Zeiten kein Feldherr wieder erschienen, der diese individuellen Helden der
Wüste zu einem großen Heere zusammengeschmolzen hätte, das unbedingt zu
gehorchen, das dauernd einem und demselben Ziele zuzustreben versteht, und
das hinter sich eine Organisation hat, welche eine sichere, wandelnde oder feste
Hilfsquelle für alle Fälle der Versorgung mit Lebensmitteln, Munition u. dergl.
bildet. Wie der Sand ihrer Wüste können sie von einem Sturme des Fana¬
tismus aufgewirbelt werden, um gegen alle loszustürzen, die in ihre Einöden
eindringen, aber jeder Schritt, der sie in mehr kultivirte Gegenden und gegen
befestigte Stellungen und Städte sllhrt, verrät ihre Schwäche. Sie sind nicht
einmal imstande, lange das Feld zu halten. Sie lösen ihre Heerschaaren auf,
um da und dort zu Brunnen und Wasser für sich, ihre Pferde und ihre Ka-
meele zu gelangen. Sie gehen auf Monate nach Hause, um ihre Äcker zu be¬
stellen oder ihre Ernte einzubringen. Gerade diese Eigentümlichkeiten erschweren
neben dem Klima am meisten den Kampf mit ihnen. Man kaun sie schlagen,
aber sie bleiben nicht geschlagen. Sie zerrinnen, diese Heere der Wüstenmenschen,
aber sie gerinnen auch wieder. Sie können, heute dnrch eine Niederlage zer¬
stäubt, zu jeder Zeit sich wieder sammeln, wie man bei Osman Digmas Haufen
gesehen hat, und England mit seiner kleinen Armee und seiner kostspieligen
Kriegführung kann für sich allein Ägypten und deu Sudan nicht halten. Da¬
gegen wäre dies sehr wohl möglich im Vnnde mit einer Macht, die freilich bei
Glcidstone der „unaussprechliche Türke" heißt, mit der vereint man aber das
Ansehen des Chalifen, des geistlichen Oberhaupts aller Muslime, gegen den
Mahdi oder seine Nebenbuhler in die Wagschale werfen könnte.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/556>, abgerufen am 22.07.2024.