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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das Lüde vom Liede im Sudan.

gestatten werden, daß die Truppen in den Lagern von Saul Kurve oder zu
Merawi, Debbeh und Dongolci oder irgendwo südlich von Wadi Half" bleiben,
bis der Sommer vorüber ist. Der Versuch würde zu gewagt sein. . . . Wie
aber sollen die Leute weggebracht werden? Je nun, nilabwärts in den 750 Wal¬
fischbooten, die nach Lord Wolseleys Berichten noch diensttauglich sind." Die¬
selben könnten, so führt der Korrespondent weiter aus, wenn 500 davon jedes
20 Mann aufnahmen, 10 000 Mann zurückbesördern, und Wolseley Hütte gegen¬
wärtig beträchtlich weniger als 8000 noch beisammen. Die Mannschaften könnten
die Fahrzeuge über die Untiefen ziehen oder tragen, und so täglich 20 eng¬
lische Meilen per Tag zurücklegen. Selbst wenn sie ans Kameelen reiten
oder zu Fuß marschiren müßten, würden sie sich ohne Zögern entschließen,
die Gelegenheit zum Davonkommen zu ergreifen, und würden in nächtlichen
Märschen Wadi Halfa, den äußersten Saum der europäischen Zivilisation, zu
erreichen suchen.

Das war in der Hauptsache gewiß richtig, und vielleicht war es ebenfalls
eine nicht gerade grundlose Hoffnung, wenn man auf die Frage, was bei der
Räumung des nördlichen Sudan aus den Eingebornen werden solle, die sich
zu deu Engländern freundlich Verhalten hätten, die Antwort gab, entweder könne
man ihnen die Auswanderung nach Ägypten ermöglichen oder ihnen die Mittel
schaffen, sich gegen den Mahdi selbst zu verteidigen. Das letztere dachte man
sich in der Weise, daß der Mudir von Dongola in den Stand gesetzt werden
sollte, den am Nil herabziehenden Propheten von seiner Provinz fernzuhalten.
Mustafa Jauar Pascha, so argumentirte man, würde, wenn man ihn mit Geld
unterstützte, sicherlich bereit sein, den Auftrag zu übernehmen. Seiner Treue
könnte man sich nach orientalischer Sitte dadurch versichern, daß man seine
beiden Söhne als Geiseln mitnähme. Lieferte man ihm gute Waffen und gäbe
man ihm jährlich hinreichende Subsidien. so könnte er seine Streitkräfte, jetzt
1200 Mann, leicht verzehnfachen, und diese Truppen würden ebenso tapfer
kämpfen wie die Leute des Mahdi; denn auch er werde als ein heiliger Mann
geachtet und gefürchtet. Es wäre durchaus nicht unmöglich, daß er nicht nur
die Gegenden von Merawi, Korti und Debbeh mit Erfolg verteidigte, sondern
zur Offensive überginge und den Sudan bis nach Chartum zurückeroberte und
beruhigte. Endlich ließ sich auch der weitere Vorschlag hören, der sich in die
Worte zusammenfaßte: Unsre Truppen bleiben vorläufig bei Wadi Halfa stehen,
und nur fahren mit dem Bau der Eisenbahn von Suakin nach Berber fort.
Es ist der einzige Weg. auf dem der mahdistischen Bewegung sicher und ohne
viel Blutvergießen ein rasches Ende gemacht werden kann. Die Truppen würden
mit einer Eisenbahn hinter sich niemals weit von ihrer Operationsbasis entfernt
sein, sie wären in diesem Falle leicht mit allem Nötigen zu versorgen, ihre Ver¬
wundeten und Kranken i" wenigen Stunden an die Küste und ans die Schiffe
zu bringen. Der Mahdi würde von einem Vormarsch gegen die Provinz Don-


Das Lüde vom Liede im Sudan.

gestatten werden, daß die Truppen in den Lagern von Saul Kurve oder zu
Merawi, Debbeh und Dongolci oder irgendwo südlich von Wadi Half« bleiben,
bis der Sommer vorüber ist. Der Versuch würde zu gewagt sein. . . . Wie
aber sollen die Leute weggebracht werden? Je nun, nilabwärts in den 750 Wal¬
fischbooten, die nach Lord Wolseleys Berichten noch diensttauglich sind." Die¬
selben könnten, so führt der Korrespondent weiter aus, wenn 500 davon jedes
20 Mann aufnahmen, 10 000 Mann zurückbesördern, und Wolseley Hütte gegen¬
wärtig beträchtlich weniger als 8000 noch beisammen. Die Mannschaften könnten
die Fahrzeuge über die Untiefen ziehen oder tragen, und so täglich 20 eng¬
lische Meilen per Tag zurücklegen. Selbst wenn sie ans Kameelen reiten
oder zu Fuß marschiren müßten, würden sie sich ohne Zögern entschließen,
die Gelegenheit zum Davonkommen zu ergreifen, und würden in nächtlichen
Märschen Wadi Halfa, den äußersten Saum der europäischen Zivilisation, zu
erreichen suchen.

Das war in der Hauptsache gewiß richtig, und vielleicht war es ebenfalls
eine nicht gerade grundlose Hoffnung, wenn man auf die Frage, was bei der
Räumung des nördlichen Sudan aus den Eingebornen werden solle, die sich
zu deu Engländern freundlich Verhalten hätten, die Antwort gab, entweder könne
man ihnen die Auswanderung nach Ägypten ermöglichen oder ihnen die Mittel
schaffen, sich gegen den Mahdi selbst zu verteidigen. Das letztere dachte man
sich in der Weise, daß der Mudir von Dongola in den Stand gesetzt werden
sollte, den am Nil herabziehenden Propheten von seiner Provinz fernzuhalten.
Mustafa Jauar Pascha, so argumentirte man, würde, wenn man ihn mit Geld
unterstützte, sicherlich bereit sein, den Auftrag zu übernehmen. Seiner Treue
könnte man sich nach orientalischer Sitte dadurch versichern, daß man seine
beiden Söhne als Geiseln mitnähme. Lieferte man ihm gute Waffen und gäbe
man ihm jährlich hinreichende Subsidien. so könnte er seine Streitkräfte, jetzt
1200 Mann, leicht verzehnfachen, und diese Truppen würden ebenso tapfer
kämpfen wie die Leute des Mahdi; denn auch er werde als ein heiliger Mann
geachtet und gefürchtet. Es wäre durchaus nicht unmöglich, daß er nicht nur
die Gegenden von Merawi, Korti und Debbeh mit Erfolg verteidigte, sondern
zur Offensive überginge und den Sudan bis nach Chartum zurückeroberte und
beruhigte. Endlich ließ sich auch der weitere Vorschlag hören, der sich in die
Worte zusammenfaßte: Unsre Truppen bleiben vorläufig bei Wadi Halfa stehen,
und nur fahren mit dem Bau der Eisenbahn von Suakin nach Berber fort.
Es ist der einzige Weg. auf dem der mahdistischen Bewegung sicher und ohne
viel Blutvergießen ein rasches Ende gemacht werden kann. Die Truppen würden
mit einer Eisenbahn hinter sich niemals weit von ihrer Operationsbasis entfernt
sein, sie wären in diesem Falle leicht mit allem Nötigen zu versorgen, ihre Ver¬
wundeten und Kranken i» wenigen Stunden an die Küste und ans die Schiffe
zu bringen. Der Mahdi würde von einem Vormarsch gegen die Provinz Don-


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[0553] Das Lüde vom Liede im Sudan. gestatten werden, daß die Truppen in den Lagern von Saul Kurve oder zu Merawi, Debbeh und Dongolci oder irgendwo südlich von Wadi Half« bleiben, bis der Sommer vorüber ist. Der Versuch würde zu gewagt sein. . . . Wie aber sollen die Leute weggebracht werden? Je nun, nilabwärts in den 750 Wal¬ fischbooten, die nach Lord Wolseleys Berichten noch diensttauglich sind." Die¬ selben könnten, so führt der Korrespondent weiter aus, wenn 500 davon jedes 20 Mann aufnahmen, 10 000 Mann zurückbesördern, und Wolseley Hütte gegen¬ wärtig beträchtlich weniger als 8000 noch beisammen. Die Mannschaften könnten die Fahrzeuge über die Untiefen ziehen oder tragen, und so täglich 20 eng¬ lische Meilen per Tag zurücklegen. Selbst wenn sie ans Kameelen reiten oder zu Fuß marschiren müßten, würden sie sich ohne Zögern entschließen, die Gelegenheit zum Davonkommen zu ergreifen, und würden in nächtlichen Märschen Wadi Halfa, den äußersten Saum der europäischen Zivilisation, zu erreichen suchen. Das war in der Hauptsache gewiß richtig, und vielleicht war es ebenfalls eine nicht gerade grundlose Hoffnung, wenn man auf die Frage, was bei der Räumung des nördlichen Sudan aus den Eingebornen werden solle, die sich zu deu Engländern freundlich Verhalten hätten, die Antwort gab, entweder könne man ihnen die Auswanderung nach Ägypten ermöglichen oder ihnen die Mittel schaffen, sich gegen den Mahdi selbst zu verteidigen. Das letztere dachte man sich in der Weise, daß der Mudir von Dongola in den Stand gesetzt werden sollte, den am Nil herabziehenden Propheten von seiner Provinz fernzuhalten. Mustafa Jauar Pascha, so argumentirte man, würde, wenn man ihn mit Geld unterstützte, sicherlich bereit sein, den Auftrag zu übernehmen. Seiner Treue könnte man sich nach orientalischer Sitte dadurch versichern, daß man seine beiden Söhne als Geiseln mitnähme. Lieferte man ihm gute Waffen und gäbe man ihm jährlich hinreichende Subsidien. so könnte er seine Streitkräfte, jetzt 1200 Mann, leicht verzehnfachen, und diese Truppen würden ebenso tapfer kämpfen wie die Leute des Mahdi; denn auch er werde als ein heiliger Mann geachtet und gefürchtet. Es wäre durchaus nicht unmöglich, daß er nicht nur die Gegenden von Merawi, Korti und Debbeh mit Erfolg verteidigte, sondern zur Offensive überginge und den Sudan bis nach Chartum zurückeroberte und beruhigte. Endlich ließ sich auch der weitere Vorschlag hören, der sich in die Worte zusammenfaßte: Unsre Truppen bleiben vorläufig bei Wadi Halfa stehen, und nur fahren mit dem Bau der Eisenbahn von Suakin nach Berber fort. Es ist der einzige Weg. auf dem der mahdistischen Bewegung sicher und ohne viel Blutvergießen ein rasches Ende gemacht werden kann. Die Truppen würden mit einer Eisenbahn hinter sich niemals weit von ihrer Operationsbasis entfernt sein, sie wären in diesem Falle leicht mit allem Nötigen zu versorgen, ihre Ver¬ wundeten und Kranken i» wenigen Stunden an die Küste und ans die Schiffe zu bringen. Der Mahdi würde von einem Vormarsch gegen die Provinz Don-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/553>, abgerufen am 22.07.2024.