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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die dramatische Umist L. von ZVildenbruchs.

Ansatz zu dem tragischen Konflikte, Harold hat einen Eid geleistet, aber nur
gezwungen, und wenn er es auch nur um seiner selbst willen möchte, so kann
er ihn doch im Interesse seines Volkes nicht halten.

Aber hier tritt die hohe nationale Pflicht in Widerstreit mit einer andern
Forderung, Damals lag religiöses Fühlen und Deuten der Menschen noch
ohne Widerspruch in den Fesseln der römischen Hierarchie, Das Urteil war
wenig geklärt, kaum angeregt, nur selten daß hie und da ein energischer Wille
sich regte; die Satzungen, die vom päpstlichen Stuhle ausgingen, fanden in
stummem Gehorsam Befolgung, Über diese im engsten geistigen Banne liegende
Welt hebe der Dichter seinen Harold hinaus. Er lasse den König mit freiem
Blicke seiner Zeit Jahrhunderte vorauseilen und nicht als Verächter der Religion
überhaupt, sondern einer willkürlich interpretirtcn den Kampf mit der Kirche
aufnehmen. In diesem Kampfe mag er seinen Tod finden. Derselbe wird
umso tragischer wirken, je geringer die Schuld des Helden ist, aber auch einen
umso vcrsöhucnderen Abschluß haben, je klarer zutage tritt, daß zwar der
Leib desselben seinen Feinden unterliegt, daß aber seine Seele sich siegreich zu
reineren Höhen emporschwingt. Zu einem solchen Schluß hat zwar Wildenbruch
den Anlauf genommen, aber er kommt damit nicht zu Ende, denn was er will,
bleibt verschwommen und unklar. Wie in der Tragödie Harold seinen Eid
leistet, ist er selbst nach der strengsten Auffassung der Kirche schuldlos. Eine
Sühne kann deshalb mit seinem Tode auch garnicht stattfinden. Und doch
ist die Art, wie der Held einer Tragödie denselben als Buße für begangene
Schuld auf sich nimmt, das einzige Mittel, um uns mit seinem traurigen Ende
zu versöhnen, Wildenbruch fühlt selbst, daß hier ein großer Mangel seines
Werkes liegt, und sucht ihn auf anderen Wege zu ersetzen. Bei ihm spitzt sich
der Konflikt in der Frage zu, ob Harold in geweihter Erde begraben werden
soll oder nicht. Als wenn wir Sorge darum hätten, wie seine Bestattung
ausfällt, und als ob uns eine Tröstung noch nach seinem Tode zuteil werden
könnte! Nur in und mit diesem kann uns dieselbe zufallen. Wenn das Leben
edel und gut war, so muß es anch das Ende sein, und wenn ein Makel auf ihm
haftete, so wäscht ein edler Tod ihn hinweg. Selbst Othello tilgt mit seinem
freiwilligen Hingang die entsetzlichste Schuld. Mag das Ende mit allen Schrecken
über den Helden hereinbrechen; wenn es in Übereinstimmung ist mit seinem
Leben, so schreit unser Schmerz doch nicht hoffnungslos zum Himmel, und sind
wir auch aufs tiefste erschüttert, so sehlt doch jene aus der Tiefe unsrer Seele
aufsteigende Befriedigung nicht, welche beweist, daß durch den versöhnenden
Abschluß die gestörte Harmonie wiederhergestellt ist.

Wir haben vielfach das Urteil über die Wildenbruchschen Stücke gehört,
daß sie bei aller ciußeru Aufregung diese innere Befriedigung nicht gewähren.
Der Grund für "Harold" liegt darin, daß unser ästhetisches und moralisches
Urteil ihr Genügen nicht finden.




Die dramatische Umist L. von ZVildenbruchs.

Ansatz zu dem tragischen Konflikte, Harold hat einen Eid geleistet, aber nur
gezwungen, und wenn er es auch nur um seiner selbst willen möchte, so kann
er ihn doch im Interesse seines Volkes nicht halten.

Aber hier tritt die hohe nationale Pflicht in Widerstreit mit einer andern
Forderung, Damals lag religiöses Fühlen und Deuten der Menschen noch
ohne Widerspruch in den Fesseln der römischen Hierarchie, Das Urteil war
wenig geklärt, kaum angeregt, nur selten daß hie und da ein energischer Wille
sich regte; die Satzungen, die vom päpstlichen Stuhle ausgingen, fanden in
stummem Gehorsam Befolgung, Über diese im engsten geistigen Banne liegende
Welt hebe der Dichter seinen Harold hinaus. Er lasse den König mit freiem
Blicke seiner Zeit Jahrhunderte vorauseilen und nicht als Verächter der Religion
überhaupt, sondern einer willkürlich interpretirtcn den Kampf mit der Kirche
aufnehmen. In diesem Kampfe mag er seinen Tod finden. Derselbe wird
umso tragischer wirken, je geringer die Schuld des Helden ist, aber auch einen
umso vcrsöhucnderen Abschluß haben, je klarer zutage tritt, daß zwar der
Leib desselben seinen Feinden unterliegt, daß aber seine Seele sich siegreich zu
reineren Höhen emporschwingt. Zu einem solchen Schluß hat zwar Wildenbruch
den Anlauf genommen, aber er kommt damit nicht zu Ende, denn was er will,
bleibt verschwommen und unklar. Wie in der Tragödie Harold seinen Eid
leistet, ist er selbst nach der strengsten Auffassung der Kirche schuldlos. Eine
Sühne kann deshalb mit seinem Tode auch garnicht stattfinden. Und doch
ist die Art, wie der Held einer Tragödie denselben als Buße für begangene
Schuld auf sich nimmt, das einzige Mittel, um uns mit seinem traurigen Ende
zu versöhnen, Wildenbruch fühlt selbst, daß hier ein großer Mangel seines
Werkes liegt, und sucht ihn auf anderen Wege zu ersetzen. Bei ihm spitzt sich
der Konflikt in der Frage zu, ob Harold in geweihter Erde begraben werden
soll oder nicht. Als wenn wir Sorge darum hätten, wie seine Bestattung
ausfällt, und als ob uns eine Tröstung noch nach seinem Tode zuteil werden
könnte! Nur in und mit diesem kann uns dieselbe zufallen. Wenn das Leben
edel und gut war, so muß es anch das Ende sein, und wenn ein Makel auf ihm
haftete, so wäscht ein edler Tod ihn hinweg. Selbst Othello tilgt mit seinem
freiwilligen Hingang die entsetzlichste Schuld. Mag das Ende mit allen Schrecken
über den Helden hereinbrechen; wenn es in Übereinstimmung ist mit seinem
Leben, so schreit unser Schmerz doch nicht hoffnungslos zum Himmel, und sind
wir auch aufs tiefste erschüttert, so sehlt doch jene aus der Tiefe unsrer Seele
aufsteigende Befriedigung nicht, welche beweist, daß durch den versöhnenden
Abschluß die gestörte Harmonie wiederhergestellt ist.

Wir haben vielfach das Urteil über die Wildenbruchschen Stücke gehört,
daß sie bei aller ciußeru Aufregung diese innere Befriedigung nicht gewähren.
Der Grund für „Harold" liegt darin, daß unser ästhetisches und moralisches
Urteil ihr Genügen nicht finden.




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[0527] Die dramatische Umist L. von ZVildenbruchs. Ansatz zu dem tragischen Konflikte, Harold hat einen Eid geleistet, aber nur gezwungen, und wenn er es auch nur um seiner selbst willen möchte, so kann er ihn doch im Interesse seines Volkes nicht halten. Aber hier tritt die hohe nationale Pflicht in Widerstreit mit einer andern Forderung, Damals lag religiöses Fühlen und Deuten der Menschen noch ohne Widerspruch in den Fesseln der römischen Hierarchie, Das Urteil war wenig geklärt, kaum angeregt, nur selten daß hie und da ein energischer Wille sich regte; die Satzungen, die vom päpstlichen Stuhle ausgingen, fanden in stummem Gehorsam Befolgung, Über diese im engsten geistigen Banne liegende Welt hebe der Dichter seinen Harold hinaus. Er lasse den König mit freiem Blicke seiner Zeit Jahrhunderte vorauseilen und nicht als Verächter der Religion überhaupt, sondern einer willkürlich interpretirtcn den Kampf mit der Kirche aufnehmen. In diesem Kampfe mag er seinen Tod finden. Derselbe wird umso tragischer wirken, je geringer die Schuld des Helden ist, aber auch einen umso vcrsöhucnderen Abschluß haben, je klarer zutage tritt, daß zwar der Leib desselben seinen Feinden unterliegt, daß aber seine Seele sich siegreich zu reineren Höhen emporschwingt. Zu einem solchen Schluß hat zwar Wildenbruch den Anlauf genommen, aber er kommt damit nicht zu Ende, denn was er will, bleibt verschwommen und unklar. Wie in der Tragödie Harold seinen Eid leistet, ist er selbst nach der strengsten Auffassung der Kirche schuldlos. Eine Sühne kann deshalb mit seinem Tode auch garnicht stattfinden. Und doch ist die Art, wie der Held einer Tragödie denselben als Buße für begangene Schuld auf sich nimmt, das einzige Mittel, um uns mit seinem traurigen Ende zu versöhnen, Wildenbruch fühlt selbst, daß hier ein großer Mangel seines Werkes liegt, und sucht ihn auf anderen Wege zu ersetzen. Bei ihm spitzt sich der Konflikt in der Frage zu, ob Harold in geweihter Erde begraben werden soll oder nicht. Als wenn wir Sorge darum hätten, wie seine Bestattung ausfällt, und als ob uns eine Tröstung noch nach seinem Tode zuteil werden könnte! Nur in und mit diesem kann uns dieselbe zufallen. Wenn das Leben edel und gut war, so muß es anch das Ende sein, und wenn ein Makel auf ihm haftete, so wäscht ein edler Tod ihn hinweg. Selbst Othello tilgt mit seinem freiwilligen Hingang die entsetzlichste Schuld. Mag das Ende mit allen Schrecken über den Helden hereinbrechen; wenn es in Übereinstimmung ist mit seinem Leben, so schreit unser Schmerz doch nicht hoffnungslos zum Himmel, und sind wir auch aufs tiefste erschüttert, so sehlt doch jene aus der Tiefe unsrer Seele aufsteigende Befriedigung nicht, welche beweist, daß durch den versöhnenden Abschluß die gestörte Harmonie wiederhergestellt ist. Wir haben vielfach das Urteil über die Wildenbruchschen Stücke gehört, daß sie bei aller ciußeru Aufregung diese innere Befriedigung nicht gewähren. Der Grund für „Harold" liegt darin, daß unser ästhetisches und moralisches Urteil ihr Genügen nicht finden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/527>, abgerufen am 22.07.2024.