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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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zur höchsten Begeisterung entflammt. Oder man thue uoch mehr nud lasse
ihn zu gunsten des Vaterlandes einer solchen Liebe entsagen und ihn in
dem reinen Lichte erhabenster Tugend strahlen. Dergleichen Zuthaten lieben
wir nun einmal zum Unterschiede von den Alten, und weshalb sollten wir nicht,
da es unser Recht ist? Ja man füge, wenn mau kann, noch mehr hinzu, man
lasse den Strom anschwellen, soweit es mit den Vorschriften einer weisen
Mäßigung vereinbar ist. Aber was auch immer der Dichter angiebt, jedenfalls
muß er dafür sorgen, daß derselbe starke, auf dasselbe Ziel gerichtete Zug, der
in der ursprünglichen Quelle war, auch der vermehrten und vertieften Flut er¬
halten bleibe. Ist dies nun, wenn es überhaupt seine Absicht war, dem Dichter
gelungen? Wir glauben schwerlich.

Gleich in der ersten Szene tritt Harold mit allem Mut und Begeisterung
gegen den schwachen König Eduard, der von Normannen umgeben anftritt, für
die vaterländische Sache ein. Als dann der Konflikt mit dem Könige ihn selbst
in die Verbannung treibt, während sein jüngerer Bruder gewaltsam als Geisel
entführt wird, legt der Dichter ihm die zweite Verpflichtung, ueben der heiligen
Sorge für das Vaterland auch die für den Bruder auf. Mit einem starken
Eide verspricht Harold der Mutter, das geraubte Kind ihr zurückzubringen. Nun
ist zwar bis dahin, außer daß der Dichter sich selbst eine größere Schwierigkeit
und den Zuschauern eine geteilte Aufmerksamkeit aufgenötigt hat, noch nichts
versehen. Noch liegt alles in einer und derselben Richtung, und uoch kann die
Rettung des Vaterlandes die des Bruders umschließen. Aber der Dichter hat
keineswegs die Absicht, die Dinge in dieser Lage zu lassen, oder sagen wir lieber,
daß die Logik der von ihm geschaffenen Thatsachen unweigerlich zur Änderung
hindrängt. Die der Mutter genommene Geisel kann nicht in den Händen des
schwachen Königs bleiben, sondern geht, und eine andre Möglichkeit giebt es
nicht, in die Haft Wilhelms von der Normandie über. Nach seiner siegreichen
Rückkehr aus Flandern sieht sich daher der Held des Stückes gezwungen, in
das Land seines Todfeindes hinüberzufahren. Und nun sehe man, wie ver¬
hängnisvoll die dem Sohne auferlegte Verpflichtung für das Schauspiel wird:
der Held, dem die erhabene nud heilige Sorge für sein Volk aufgetragen ist,
zugleich in der Ausführung eines Dienstes, der zwar an und für sich edel und
gut ist, aber ueben jener höhern Aufgabe keine Bedeutung hat, eines Dienstes,
der diese Aufgabe nicht fördert, sondern in direkte Gefahr bringt! In diese
Lage durste der Dichter seinen Helden nicht bringen. Wie will der Dichter es
erklären, daß eine Mutter, die in ihrem ältesten Sohne den Hort nationaler
Errettung sieht, die in seiner nationalen Gesinnung ihre heißesten und besten
Wünsche erfüllt sieht, nicht bloß zuläßt, sondern sogar fordert, daß jene erste
Pflicht durch eine untergeordnete gefährdet werde? Wo ist da die Konsequenz?
Jetzt kam? man sehen, was oben von eiuer Trübung des klaren Verlaufs der
Dinge gesagt wurde, wenn man nicht die Einheit des Motivs beibehält. Man


zur höchsten Begeisterung entflammt. Oder man thue uoch mehr nud lasse
ihn zu gunsten des Vaterlandes einer solchen Liebe entsagen und ihn in
dem reinen Lichte erhabenster Tugend strahlen. Dergleichen Zuthaten lieben
wir nun einmal zum Unterschiede von den Alten, und weshalb sollten wir nicht,
da es unser Recht ist? Ja man füge, wenn mau kann, noch mehr hinzu, man
lasse den Strom anschwellen, soweit es mit den Vorschriften einer weisen
Mäßigung vereinbar ist. Aber was auch immer der Dichter angiebt, jedenfalls
muß er dafür sorgen, daß derselbe starke, auf dasselbe Ziel gerichtete Zug, der
in der ursprünglichen Quelle war, auch der vermehrten und vertieften Flut er¬
halten bleibe. Ist dies nun, wenn es überhaupt seine Absicht war, dem Dichter
gelungen? Wir glauben schwerlich.

Gleich in der ersten Szene tritt Harold mit allem Mut und Begeisterung
gegen den schwachen König Eduard, der von Normannen umgeben anftritt, für
die vaterländische Sache ein. Als dann der Konflikt mit dem Könige ihn selbst
in die Verbannung treibt, während sein jüngerer Bruder gewaltsam als Geisel
entführt wird, legt der Dichter ihm die zweite Verpflichtung, ueben der heiligen
Sorge für das Vaterland auch die für den Bruder auf. Mit einem starken
Eide verspricht Harold der Mutter, das geraubte Kind ihr zurückzubringen. Nun
ist zwar bis dahin, außer daß der Dichter sich selbst eine größere Schwierigkeit
und den Zuschauern eine geteilte Aufmerksamkeit aufgenötigt hat, noch nichts
versehen. Noch liegt alles in einer und derselben Richtung, und uoch kann die
Rettung des Vaterlandes die des Bruders umschließen. Aber der Dichter hat
keineswegs die Absicht, die Dinge in dieser Lage zu lassen, oder sagen wir lieber,
daß die Logik der von ihm geschaffenen Thatsachen unweigerlich zur Änderung
hindrängt. Die der Mutter genommene Geisel kann nicht in den Händen des
schwachen Königs bleiben, sondern geht, und eine andre Möglichkeit giebt es
nicht, in die Haft Wilhelms von der Normandie über. Nach seiner siegreichen
Rückkehr aus Flandern sieht sich daher der Held des Stückes gezwungen, in
das Land seines Todfeindes hinüberzufahren. Und nun sehe man, wie ver¬
hängnisvoll die dem Sohne auferlegte Verpflichtung für das Schauspiel wird:
der Held, dem die erhabene nud heilige Sorge für sein Volk aufgetragen ist,
zugleich in der Ausführung eines Dienstes, der zwar an und für sich edel und
gut ist, aber ueben jener höhern Aufgabe keine Bedeutung hat, eines Dienstes,
der diese Aufgabe nicht fördert, sondern in direkte Gefahr bringt! In diese
Lage durste der Dichter seinen Helden nicht bringen. Wie will der Dichter es
erklären, daß eine Mutter, die in ihrem ältesten Sohne den Hort nationaler
Errettung sieht, die in seiner nationalen Gesinnung ihre heißesten und besten
Wünsche erfüllt sieht, nicht bloß zuläßt, sondern sogar fordert, daß jene erste
Pflicht durch eine untergeordnete gefährdet werde? Wo ist da die Konsequenz?
Jetzt kam? man sehen, was oben von eiuer Trübung des klaren Verlaufs der
Dinge gesagt wurde, wenn man nicht die Einheit des Motivs beibehält. Man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/523>, abgerufen am 22.07.2024.