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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die dramatische Kunst L. von Wildenbruchs,

ist es nicht. Die Erfindung ist durchaus selbständig, ebenso geht auch
der einzelne Vorgang durch seine freie, selbstthätige Seele, aber beim
Heraustreten nimmt er jene Färbung an, welche die Shakespearische genannt
werden muß. Wildenbruch wird die Vermittlung, wie sie oben bezeichnet wurde,
nicht los. Die Kunst des größern Meisters liegt in und auf ihm, und so trügt
er die Gaben, mit denen er das Feuer auf seinem Altar entflammt, alle in
derselben Weise heran. Die Manier seiner dramatischen Sprache ist es, die
ihn charakterisirt und von einem Höhern abhängig erscheinen läßt.

Soll das nun ein Tadel sein? Nichts weniger als das. Wer im Ge¬
folge eines so Mächtigen steht und so tief in seinen Geist eingedrungen ist,
daß ein nicht scharfblickendes Auge das Produkt des einen für das des andern
halten konnte, der ist ein leuchtender Stern am Himmel unsrer Dichtkunst.
Auch andre sind in der Spur jenes gewaltigen Geistes gefahren, ich erinnere
nur an Heinrich von Kleist, dessen Werte mit Recht in neuerer Zeit wieder
mehr hervorgezogen worden sind. Aber wenn man bloß die Sprache ins Auge
faßt, so ist, abgesehen vom "Prinzen von Homburg" und etwa dem "Keilchen
von Heilbronn," Wildenbruch weit über diese" zu stellen. Wie Kleist schließlich
das Opfer jener innern Disharmonie wurde, die sein ganzes Leben durchtränkte,
so vermag er auch in der Mehrzahl seiner Schauspiele uicht den Widerspruch
zu lösen, der zwischen Form und Inhalt besteht und eine harmonische Wirkung
nicht aufkommen läßt. Ganz anders ist das nach unserm Dafürhalten bei
Wildenbruch. Man begegnet Gedanken in seinen Werken, welche die Höhen
und Tiefen des Menschenlebens umspannen, aber mit wie schwierigen Problemen
sie es auch zu thun haben, so bewegen sie sich doch mit ebensoviel Klarheit,
als Kraft und Sicherheit. Das ist ein hohes Lob, wenn auch nicht das
höchste. Aber wie viele können im Laufe der Jahrhunderte sich rühmen, alles
,zu besitzen? Augenblicklich giebt es in Deutschland fast auf allen Gebieten der
Poesie hervorragende Männer, von denen man mit Recht sagen kaun, daß sie
der Vollkommenheit nahe sind. Allein wer von ihnen kann behaupten, daß sie
auch nur in der Sprache jene Shakespearische Universalität erreicht haben?
Vielleicht giebt es nur einen Mann der Gegenwart, der ihm darin zur Seite
gestellt werden könnte, aber den hindert die Praxis des Lebens, auch hier die
Palme zu erringen.

Und nun zu etwas anderm. Wie in der Sprache, so scheint auch in dem
eigentlich technischen Teile seiner Dramatik Shakespeare von wesentlichem Ein¬
flüsse auf Wildenbruch gewesen zu sein. Wie man weiß, gingen die Dramen
des englischen Dichters nicht aus der mehr oder weniger von der Welt zurück¬
gezogenen Studirstube hervor, sondern sie standen im lebhaftesten ununter¬
brochenen Kontakte mit jener. Shakespeare war selbst Schauspieler, er dichtete
und arrangirte seine Stücke unmittelbar für die Aufführung. Daher die
außerordentliche Bühnengerechtigkeit derselben ohne Ausnahme und der Unter-


Grenzboten II. 1885. 65
Die dramatische Kunst L. von Wildenbruchs,

ist es nicht. Die Erfindung ist durchaus selbständig, ebenso geht auch
der einzelne Vorgang durch seine freie, selbstthätige Seele, aber beim
Heraustreten nimmt er jene Färbung an, welche die Shakespearische genannt
werden muß. Wildenbruch wird die Vermittlung, wie sie oben bezeichnet wurde,
nicht los. Die Kunst des größern Meisters liegt in und auf ihm, und so trügt
er die Gaben, mit denen er das Feuer auf seinem Altar entflammt, alle in
derselben Weise heran. Die Manier seiner dramatischen Sprache ist es, die
ihn charakterisirt und von einem Höhern abhängig erscheinen läßt.

Soll das nun ein Tadel sein? Nichts weniger als das. Wer im Ge¬
folge eines so Mächtigen steht und so tief in seinen Geist eingedrungen ist,
daß ein nicht scharfblickendes Auge das Produkt des einen für das des andern
halten konnte, der ist ein leuchtender Stern am Himmel unsrer Dichtkunst.
Auch andre sind in der Spur jenes gewaltigen Geistes gefahren, ich erinnere
nur an Heinrich von Kleist, dessen Werte mit Recht in neuerer Zeit wieder
mehr hervorgezogen worden sind. Aber wenn man bloß die Sprache ins Auge
faßt, so ist, abgesehen vom „Prinzen von Homburg" und etwa dem „Keilchen
von Heilbronn," Wildenbruch weit über diese« zu stellen. Wie Kleist schließlich
das Opfer jener innern Disharmonie wurde, die sein ganzes Leben durchtränkte,
so vermag er auch in der Mehrzahl seiner Schauspiele uicht den Widerspruch
zu lösen, der zwischen Form und Inhalt besteht und eine harmonische Wirkung
nicht aufkommen läßt. Ganz anders ist das nach unserm Dafürhalten bei
Wildenbruch. Man begegnet Gedanken in seinen Werken, welche die Höhen
und Tiefen des Menschenlebens umspannen, aber mit wie schwierigen Problemen
sie es auch zu thun haben, so bewegen sie sich doch mit ebensoviel Klarheit,
als Kraft und Sicherheit. Das ist ein hohes Lob, wenn auch nicht das
höchste. Aber wie viele können im Laufe der Jahrhunderte sich rühmen, alles
,zu besitzen? Augenblicklich giebt es in Deutschland fast auf allen Gebieten der
Poesie hervorragende Männer, von denen man mit Recht sagen kaun, daß sie
der Vollkommenheit nahe sind. Allein wer von ihnen kann behaupten, daß sie
auch nur in der Sprache jene Shakespearische Universalität erreicht haben?
Vielleicht giebt es nur einen Mann der Gegenwart, der ihm darin zur Seite
gestellt werden könnte, aber den hindert die Praxis des Lebens, auch hier die
Palme zu erringen.

Und nun zu etwas anderm. Wie in der Sprache, so scheint auch in dem
eigentlich technischen Teile seiner Dramatik Shakespeare von wesentlichem Ein¬
flüsse auf Wildenbruch gewesen zu sein. Wie man weiß, gingen die Dramen
des englischen Dichters nicht aus der mehr oder weniger von der Welt zurück¬
gezogenen Studirstube hervor, sondern sie standen im lebhaftesten ununter¬
brochenen Kontakte mit jener. Shakespeare war selbst Schauspieler, er dichtete
und arrangirte seine Stücke unmittelbar für die Aufführung. Daher die
außerordentliche Bühnengerechtigkeit derselben ohne Ausnahme und der Unter-


Grenzboten II. 1885. 65
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[0518] Die dramatische Kunst L. von Wildenbruchs, ist es nicht. Die Erfindung ist durchaus selbständig, ebenso geht auch der einzelne Vorgang durch seine freie, selbstthätige Seele, aber beim Heraustreten nimmt er jene Färbung an, welche die Shakespearische genannt werden muß. Wildenbruch wird die Vermittlung, wie sie oben bezeichnet wurde, nicht los. Die Kunst des größern Meisters liegt in und auf ihm, und so trügt er die Gaben, mit denen er das Feuer auf seinem Altar entflammt, alle in derselben Weise heran. Die Manier seiner dramatischen Sprache ist es, die ihn charakterisirt und von einem Höhern abhängig erscheinen läßt. Soll das nun ein Tadel sein? Nichts weniger als das. Wer im Ge¬ folge eines so Mächtigen steht und so tief in seinen Geist eingedrungen ist, daß ein nicht scharfblickendes Auge das Produkt des einen für das des andern halten konnte, der ist ein leuchtender Stern am Himmel unsrer Dichtkunst. Auch andre sind in der Spur jenes gewaltigen Geistes gefahren, ich erinnere nur an Heinrich von Kleist, dessen Werte mit Recht in neuerer Zeit wieder mehr hervorgezogen worden sind. Aber wenn man bloß die Sprache ins Auge faßt, so ist, abgesehen vom „Prinzen von Homburg" und etwa dem „Keilchen von Heilbronn," Wildenbruch weit über diese« zu stellen. Wie Kleist schließlich das Opfer jener innern Disharmonie wurde, die sein ganzes Leben durchtränkte, so vermag er auch in der Mehrzahl seiner Schauspiele uicht den Widerspruch zu lösen, der zwischen Form und Inhalt besteht und eine harmonische Wirkung nicht aufkommen läßt. Ganz anders ist das nach unserm Dafürhalten bei Wildenbruch. Man begegnet Gedanken in seinen Werken, welche die Höhen und Tiefen des Menschenlebens umspannen, aber mit wie schwierigen Problemen sie es auch zu thun haben, so bewegen sie sich doch mit ebensoviel Klarheit, als Kraft und Sicherheit. Das ist ein hohes Lob, wenn auch nicht das höchste. Aber wie viele können im Laufe der Jahrhunderte sich rühmen, alles ,zu besitzen? Augenblicklich giebt es in Deutschland fast auf allen Gebieten der Poesie hervorragende Männer, von denen man mit Recht sagen kaun, daß sie der Vollkommenheit nahe sind. Allein wer von ihnen kann behaupten, daß sie auch nur in der Sprache jene Shakespearische Universalität erreicht haben? Vielleicht giebt es nur einen Mann der Gegenwart, der ihm darin zur Seite gestellt werden könnte, aber den hindert die Praxis des Lebens, auch hier die Palme zu erringen. Und nun zu etwas anderm. Wie in der Sprache, so scheint auch in dem eigentlich technischen Teile seiner Dramatik Shakespeare von wesentlichem Ein¬ flüsse auf Wildenbruch gewesen zu sein. Wie man weiß, gingen die Dramen des englischen Dichters nicht aus der mehr oder weniger von der Welt zurück¬ gezogenen Studirstube hervor, sondern sie standen im lebhaftesten ununter¬ brochenen Kontakte mit jener. Shakespeare war selbst Schauspieler, er dichtete und arrangirte seine Stücke unmittelbar für die Aufführung. Daher die außerordentliche Bühnengerechtigkeit derselben ohne Ausnahme und der Unter- Grenzboten II. 1885. 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/518>, abgerufen am 22.07.2024.