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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

angenommen, sind aber thatsächlich in einem Barbarcnzustcmde, und die zivili-
sirten christlichen Staaten müssen sie nur als ihresgleichen anerkennen, wenn
nicht gänzlich alle materiellen Vorteile des Handelsverkehrs geopfert werden
sollen. Andre Staaten sind erst im Begriffe und in dem ernsten, löblichen Be¬
streben, sich zu einer höhern Kulturstufe emporzuarbeiten; in der Zwischenzeit
aber kleben ihnen noch alle Spuren des Barbarentums an, und der Fremde
muß sich dieselbe Behandlung gefallen lassen wie der Einheimische, nur mit dem
Unterschiede, daß der erstere darüber empört ist, während sie der letztere ruhig
hinnimmt. Denken wir aber selbst an diejenigen Staaten, welche dem deutscheu
Reiche politisch ebenbürtig sind, an Rußland, wo Gott groß und der Zar weit
ist. Wieviel Bestechungsprozesse gegen die höchsten Beamten haben wir in der
letzten Zeit vor der Öffentlichkeit sich abspielen sehen! Sind dies nur verein¬
zelte Erscheinungen oder sind es typische Merkmale? Hinsichtlich Italiens hat
vor noch nicht langer Zeit der ehemalige Minister Minghetti in einem bekannten
Buche mit freimütiger und anerkennenswerter Offenheit bis in die kleinsten
Einzelheiten ausgeführt, wie der Parteieinfluß allmählich in die Verwaltungs-
büreaus und in die Gerichtssäle eindringt, wie die Macht der advokatischen Ab¬
geordneten oder parlamentarischen Advokaten auch in dem einzelnen Privat¬
prozesse die Urteile der Richter zu lenken versteht, wie selbst Interpellationen
im Parlament dazu herhalten müssen, um durch Interpretationen vom Minister¬
tische dem Gesetze diejenige Deutung zu geben, welche augenblicklich der Depu¬
tate und seine Klientel für eine bestimmte Rechtsangelegenheit für nötig hält. Bei
Frankreich brauchen wir nur an die aufgeregten Zeiten nach den verschiednen
Revolutionen oder Kriegen zu erinnern, um bemerklich zu machen, wie viele
gerichtliche Aussprüche den Eindruck voreingenommener Entscheidungen hervor¬
riefen, wie jedenfalls nicht selten bei dem Ausländer die Empfindung vorherrscht,
daß sein Prozeß anders entschieden worden wäre, wenn er Inländer gewesen
wäre. In England und in den Vereinigten Staaten ist die Beschreidung des
Rechtsweges ein Luxus, den sich nur sehr reiche Leute gönnen können; es ist
eine sehr bezeichnende Erscheinung, daß in diesen Ländern die Humanität sich
genötigt sieht, Rechtsschutzvereine für Fremde zu bilden, damit diese nicht gänz¬
lich rechtlos gestellt werden. In den amerikanischen Zeitungen werden nicht
selten Fülle berichtet, daß gerichtliche Vermögensverwalter mitsamt den Richtern
das Weite gesucht und bei diesen Reisen auf Nimmerwiederkehr auch das ihnen
anvertraute Gut mitgenommen haben.

Gegenüber solchen Zuständen des Auslandes ist es für uns Deutsche
gewiß nicht schwer, auf die Ordnung unsers Justizweseus und auf unsern Richter¬
stand mit Stolz hinzuweisen. Ja wir gehen vielleicht in der Behandlung der
Fremden weiter, als die Klugheit es gebietet. Wir haben den Idealismus auf
die Spitze getrieben, daß wir uns sogar durch unsre Gesetze verpflichten, den
Ausländer wie deu Inländer selbst in den Fällen gleich zu behandeln, in


Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

angenommen, sind aber thatsächlich in einem Barbarcnzustcmde, und die zivili-
sirten christlichen Staaten müssen sie nur als ihresgleichen anerkennen, wenn
nicht gänzlich alle materiellen Vorteile des Handelsverkehrs geopfert werden
sollen. Andre Staaten sind erst im Begriffe und in dem ernsten, löblichen Be¬
streben, sich zu einer höhern Kulturstufe emporzuarbeiten; in der Zwischenzeit
aber kleben ihnen noch alle Spuren des Barbarentums an, und der Fremde
muß sich dieselbe Behandlung gefallen lassen wie der Einheimische, nur mit dem
Unterschiede, daß der erstere darüber empört ist, während sie der letztere ruhig
hinnimmt. Denken wir aber selbst an diejenigen Staaten, welche dem deutscheu
Reiche politisch ebenbürtig sind, an Rußland, wo Gott groß und der Zar weit
ist. Wieviel Bestechungsprozesse gegen die höchsten Beamten haben wir in der
letzten Zeit vor der Öffentlichkeit sich abspielen sehen! Sind dies nur verein¬
zelte Erscheinungen oder sind es typische Merkmale? Hinsichtlich Italiens hat
vor noch nicht langer Zeit der ehemalige Minister Minghetti in einem bekannten
Buche mit freimütiger und anerkennenswerter Offenheit bis in die kleinsten
Einzelheiten ausgeführt, wie der Parteieinfluß allmählich in die Verwaltungs-
büreaus und in die Gerichtssäle eindringt, wie die Macht der advokatischen Ab¬
geordneten oder parlamentarischen Advokaten auch in dem einzelnen Privat¬
prozesse die Urteile der Richter zu lenken versteht, wie selbst Interpellationen
im Parlament dazu herhalten müssen, um durch Interpretationen vom Minister¬
tische dem Gesetze diejenige Deutung zu geben, welche augenblicklich der Depu¬
tate und seine Klientel für eine bestimmte Rechtsangelegenheit für nötig hält. Bei
Frankreich brauchen wir nur an die aufgeregten Zeiten nach den verschiednen
Revolutionen oder Kriegen zu erinnern, um bemerklich zu machen, wie viele
gerichtliche Aussprüche den Eindruck voreingenommener Entscheidungen hervor¬
riefen, wie jedenfalls nicht selten bei dem Ausländer die Empfindung vorherrscht,
daß sein Prozeß anders entschieden worden wäre, wenn er Inländer gewesen
wäre. In England und in den Vereinigten Staaten ist die Beschreidung des
Rechtsweges ein Luxus, den sich nur sehr reiche Leute gönnen können; es ist
eine sehr bezeichnende Erscheinung, daß in diesen Ländern die Humanität sich
genötigt sieht, Rechtsschutzvereine für Fremde zu bilden, damit diese nicht gänz¬
lich rechtlos gestellt werden. In den amerikanischen Zeitungen werden nicht
selten Fülle berichtet, daß gerichtliche Vermögensverwalter mitsamt den Richtern
das Weite gesucht und bei diesen Reisen auf Nimmerwiederkehr auch das ihnen
anvertraute Gut mitgenommen haben.

Gegenüber solchen Zuständen des Auslandes ist es für uns Deutsche
gewiß nicht schwer, auf die Ordnung unsers Justizweseus und auf unsern Richter¬
stand mit Stolz hinzuweisen. Ja wir gehen vielleicht in der Behandlung der
Fremden weiter, als die Klugheit es gebietet. Wir haben den Idealismus auf
die Spitze getrieben, daß wir uns sogar durch unsre Gesetze verpflichten, den
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[0497] Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr. angenommen, sind aber thatsächlich in einem Barbarcnzustcmde, und die zivili- sirten christlichen Staaten müssen sie nur als ihresgleichen anerkennen, wenn nicht gänzlich alle materiellen Vorteile des Handelsverkehrs geopfert werden sollen. Andre Staaten sind erst im Begriffe und in dem ernsten, löblichen Be¬ streben, sich zu einer höhern Kulturstufe emporzuarbeiten; in der Zwischenzeit aber kleben ihnen noch alle Spuren des Barbarentums an, und der Fremde muß sich dieselbe Behandlung gefallen lassen wie der Einheimische, nur mit dem Unterschiede, daß der erstere darüber empört ist, während sie der letztere ruhig hinnimmt. Denken wir aber selbst an diejenigen Staaten, welche dem deutscheu Reiche politisch ebenbürtig sind, an Rußland, wo Gott groß und der Zar weit ist. Wieviel Bestechungsprozesse gegen die höchsten Beamten haben wir in der letzten Zeit vor der Öffentlichkeit sich abspielen sehen! Sind dies nur verein¬ zelte Erscheinungen oder sind es typische Merkmale? Hinsichtlich Italiens hat vor noch nicht langer Zeit der ehemalige Minister Minghetti in einem bekannten Buche mit freimütiger und anerkennenswerter Offenheit bis in die kleinsten Einzelheiten ausgeführt, wie der Parteieinfluß allmählich in die Verwaltungs- büreaus und in die Gerichtssäle eindringt, wie die Macht der advokatischen Ab¬ geordneten oder parlamentarischen Advokaten auch in dem einzelnen Privat¬ prozesse die Urteile der Richter zu lenken versteht, wie selbst Interpellationen im Parlament dazu herhalten müssen, um durch Interpretationen vom Minister¬ tische dem Gesetze diejenige Deutung zu geben, welche augenblicklich der Depu¬ tate und seine Klientel für eine bestimmte Rechtsangelegenheit für nötig hält. Bei Frankreich brauchen wir nur an die aufgeregten Zeiten nach den verschiednen Revolutionen oder Kriegen zu erinnern, um bemerklich zu machen, wie viele gerichtliche Aussprüche den Eindruck voreingenommener Entscheidungen hervor¬ riefen, wie jedenfalls nicht selten bei dem Ausländer die Empfindung vorherrscht, daß sein Prozeß anders entschieden worden wäre, wenn er Inländer gewesen wäre. In England und in den Vereinigten Staaten ist die Beschreidung des Rechtsweges ein Luxus, den sich nur sehr reiche Leute gönnen können; es ist eine sehr bezeichnende Erscheinung, daß in diesen Ländern die Humanität sich genötigt sieht, Rechtsschutzvereine für Fremde zu bilden, damit diese nicht gänz¬ lich rechtlos gestellt werden. In den amerikanischen Zeitungen werden nicht selten Fülle berichtet, daß gerichtliche Vermögensverwalter mitsamt den Richtern das Weite gesucht und bei diesen Reisen auf Nimmerwiederkehr auch das ihnen anvertraute Gut mitgenommen haben. Gegenüber solchen Zuständen des Auslandes ist es für uns Deutsche gewiß nicht schwer, auf die Ordnung unsers Justizweseus und auf unsern Richter¬ stand mit Stolz hinzuweisen. Ja wir gehen vielleicht in der Behandlung der Fremden weiter, als die Klugheit es gebietet. Wir haben den Idealismus auf die Spitze getrieben, daß wir uns sogar durch unsre Gesetze verpflichten, den Ausländer wie deu Inländer selbst in den Fällen gleich zu behandeln, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/497>, abgerufen am 22.07.2024.