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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

gern von einem schönen Gedanken beherrschen läßt, und in der Kaufmannswelt
die Bestrebungen nach einer kosmopolitischen Nechtsunifitation gepriesen und
mit allen Mitteln gefördert werden. In Deutschland besonders macht man
noch auf den Gewinn aufmerksam, den der interterritoriale Handelsverkehr durch
das einheitliche Wechsel- und Handelsrecht und den nunmehr auch einheitlich
gewordenen Prozeß erlaugt hat.

Es wird genügen, diese Hauptgesichtspunkte hier hervorgehoben zu haben;
sie sind blendend genug, als daß wir nötig hätten, noch auf einige nicht un¬
wichtige Nebenpunkte einzugehen, die überall da nicht zu unterschätzen sind, wo
die Eitelkeit der Menschen in Versuchung geführt wird. Alle jene internatio¬
nalen Versammlungen sind mit Hoffesten und mit Ministerdiners, mit Orden
und den Lvbposaunen der internationalen Telegraphenbüreaus und Zeitungen
verknüpft -- Dinge, welche dem einzelnen Teilnehmer auch in seinem Heimats¬
lande nicht verfehlen, ein bestimmtes Relief zu geben.

Während doch sonst immer mit vieler Begründung die Rechtsgeschichte
eines Volkes, wie der ganzen Menschheit, als ein Teil der Kulturgeschichte auf¬
gefaßt wird, greifen alle diese internationalen Bestrebungen das Recht ans der
allgemeinen Kultur heraus; sie nehmen an, daß, weil auf dem sogenannten zi-
vilisirten Teile des Erdballs sich in gleicher oder ähnlicher Art Eisenbahnen,
Dampfschiffe und Telegraphie. Konstitutionen, Parlamente und Schwurgerichte
finden, es nur eines einheitlichen vereinbarten Gesetzes bedürfe, um dessen An¬
wendung in gleichmäßiger Weise zu sichern. Das ist eine Utopie, die der ge¬
reifte Staatsmann belächelt, wenn sie ihm als das Ziel der Kathederweisheit
hinterbracht wird; es ist aber eine Verblendung, wenn sie in den Kreisen der
Negierung und des großen Handels verbreitet wird und Anhänger wirbt.
Ebensowenig wie die Häuser es sind, durch welche eine Stadt gemacht wird,
sind es die Gesetze, welche den Staat bilden. Die mittel- und südamerikanischen
Republiken haben nicht bloß Musterverfassungen, daß einem Deutsch-Freisinnigen
das Herz im Leibe lacht, sondern sie haben auch Zivil- und Prozeßgesetze, die
sich mit denen des deutschen Reiches an Inhalt und Form messen können. Ja
unsre deutscheu Gesetzgeber nehmen nicht selten auf diese Gesetze Bezug. Welcher
Irrtum aber wäre es, zu glauben, daß in diesen, von unversöhnlichen Parteien,
von Revolutionen und Kriegen anarchisch unterwühlten Ländern die Rechts-
anwendung den Gesetzen entspreche! Welche Garantien sind gegeben, daß die
Richter die hohe Charakterstärke besitzen, die nicht minder als die Gesetzeskunde
ein Erfordernis für das verantwortliche Richteramt ist? Man frage doch einmal
einen deutschen Kaufmann, ob er in Guatemala oder Honduras, in Mexiko oder
Costa Ricci die Chancen eines Prozesses über sich nehmen wolle, und um nicht
zu weit zu gehen, darf man die gleiche Frage bezüglich manches in der letzten
Zeit neugeschaffenen Königtums richten. Es liegt dies einfach in der Kultur
des Landes; manche Länder haben nur äußerlich den Schliff der Zivilisation


Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

gern von einem schönen Gedanken beherrschen läßt, und in der Kaufmannswelt
die Bestrebungen nach einer kosmopolitischen Nechtsunifitation gepriesen und
mit allen Mitteln gefördert werden. In Deutschland besonders macht man
noch auf den Gewinn aufmerksam, den der interterritoriale Handelsverkehr durch
das einheitliche Wechsel- und Handelsrecht und den nunmehr auch einheitlich
gewordenen Prozeß erlaugt hat.

Es wird genügen, diese Hauptgesichtspunkte hier hervorgehoben zu haben;
sie sind blendend genug, als daß wir nötig hätten, noch auf einige nicht un¬
wichtige Nebenpunkte einzugehen, die überall da nicht zu unterschätzen sind, wo
die Eitelkeit der Menschen in Versuchung geführt wird. Alle jene internatio¬
nalen Versammlungen sind mit Hoffesten und mit Ministerdiners, mit Orden
und den Lvbposaunen der internationalen Telegraphenbüreaus und Zeitungen
verknüpft — Dinge, welche dem einzelnen Teilnehmer auch in seinem Heimats¬
lande nicht verfehlen, ein bestimmtes Relief zu geben.

Während doch sonst immer mit vieler Begründung die Rechtsgeschichte
eines Volkes, wie der ganzen Menschheit, als ein Teil der Kulturgeschichte auf¬
gefaßt wird, greifen alle diese internationalen Bestrebungen das Recht ans der
allgemeinen Kultur heraus; sie nehmen an, daß, weil auf dem sogenannten zi-
vilisirten Teile des Erdballs sich in gleicher oder ähnlicher Art Eisenbahnen,
Dampfschiffe und Telegraphie. Konstitutionen, Parlamente und Schwurgerichte
finden, es nur eines einheitlichen vereinbarten Gesetzes bedürfe, um dessen An¬
wendung in gleichmäßiger Weise zu sichern. Das ist eine Utopie, die der ge¬
reifte Staatsmann belächelt, wenn sie ihm als das Ziel der Kathederweisheit
hinterbracht wird; es ist aber eine Verblendung, wenn sie in den Kreisen der
Negierung und des großen Handels verbreitet wird und Anhänger wirbt.
Ebensowenig wie die Häuser es sind, durch welche eine Stadt gemacht wird,
sind es die Gesetze, welche den Staat bilden. Die mittel- und südamerikanischen
Republiken haben nicht bloß Musterverfassungen, daß einem Deutsch-Freisinnigen
das Herz im Leibe lacht, sondern sie haben auch Zivil- und Prozeßgesetze, die
sich mit denen des deutschen Reiches an Inhalt und Form messen können. Ja
unsre deutscheu Gesetzgeber nehmen nicht selten auf diese Gesetze Bezug. Welcher
Irrtum aber wäre es, zu glauben, daß in diesen, von unversöhnlichen Parteien,
von Revolutionen und Kriegen anarchisch unterwühlten Ländern die Rechts-
anwendung den Gesetzen entspreche! Welche Garantien sind gegeben, daß die
Richter die hohe Charakterstärke besitzen, die nicht minder als die Gesetzeskunde
ein Erfordernis für das verantwortliche Richteramt ist? Man frage doch einmal
einen deutschen Kaufmann, ob er in Guatemala oder Honduras, in Mexiko oder
Costa Ricci die Chancen eines Prozesses über sich nehmen wolle, und um nicht
zu weit zu gehen, darf man die gleiche Frage bezüglich manches in der letzten
Zeit neugeschaffenen Königtums richten. Es liegt dies einfach in der Kultur
des Landes; manche Länder haben nur äußerlich den Schliff der Zivilisation


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[0496] Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr. gern von einem schönen Gedanken beherrschen läßt, und in der Kaufmannswelt die Bestrebungen nach einer kosmopolitischen Nechtsunifitation gepriesen und mit allen Mitteln gefördert werden. In Deutschland besonders macht man noch auf den Gewinn aufmerksam, den der interterritoriale Handelsverkehr durch das einheitliche Wechsel- und Handelsrecht und den nunmehr auch einheitlich gewordenen Prozeß erlaugt hat. Es wird genügen, diese Hauptgesichtspunkte hier hervorgehoben zu haben; sie sind blendend genug, als daß wir nötig hätten, noch auf einige nicht un¬ wichtige Nebenpunkte einzugehen, die überall da nicht zu unterschätzen sind, wo die Eitelkeit der Menschen in Versuchung geführt wird. Alle jene internatio¬ nalen Versammlungen sind mit Hoffesten und mit Ministerdiners, mit Orden und den Lvbposaunen der internationalen Telegraphenbüreaus und Zeitungen verknüpft — Dinge, welche dem einzelnen Teilnehmer auch in seinem Heimats¬ lande nicht verfehlen, ein bestimmtes Relief zu geben. Während doch sonst immer mit vieler Begründung die Rechtsgeschichte eines Volkes, wie der ganzen Menschheit, als ein Teil der Kulturgeschichte auf¬ gefaßt wird, greifen alle diese internationalen Bestrebungen das Recht ans der allgemeinen Kultur heraus; sie nehmen an, daß, weil auf dem sogenannten zi- vilisirten Teile des Erdballs sich in gleicher oder ähnlicher Art Eisenbahnen, Dampfschiffe und Telegraphie. Konstitutionen, Parlamente und Schwurgerichte finden, es nur eines einheitlichen vereinbarten Gesetzes bedürfe, um dessen An¬ wendung in gleichmäßiger Weise zu sichern. Das ist eine Utopie, die der ge¬ reifte Staatsmann belächelt, wenn sie ihm als das Ziel der Kathederweisheit hinterbracht wird; es ist aber eine Verblendung, wenn sie in den Kreisen der Negierung und des großen Handels verbreitet wird und Anhänger wirbt. Ebensowenig wie die Häuser es sind, durch welche eine Stadt gemacht wird, sind es die Gesetze, welche den Staat bilden. Die mittel- und südamerikanischen Republiken haben nicht bloß Musterverfassungen, daß einem Deutsch-Freisinnigen das Herz im Leibe lacht, sondern sie haben auch Zivil- und Prozeßgesetze, die sich mit denen des deutschen Reiches an Inhalt und Form messen können. Ja unsre deutscheu Gesetzgeber nehmen nicht selten auf diese Gesetze Bezug. Welcher Irrtum aber wäre es, zu glauben, daß in diesen, von unversöhnlichen Parteien, von Revolutionen und Kriegen anarchisch unterwühlten Ländern die Rechts- anwendung den Gesetzen entspreche! Welche Garantien sind gegeben, daß die Richter die hohe Charakterstärke besitzen, die nicht minder als die Gesetzeskunde ein Erfordernis für das verantwortliche Richteramt ist? Man frage doch einmal einen deutschen Kaufmann, ob er in Guatemala oder Honduras, in Mexiko oder Costa Ricci die Chancen eines Prozesses über sich nehmen wolle, und um nicht zu weit zu gehen, darf man die gleiche Frage bezüglich manches in der letzten Zeit neugeschaffenen Königtums richten. Es liegt dies einfach in der Kultur des Landes; manche Länder haben nur äußerlich den Schliff der Zivilisation

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/496>, abgerufen am 25.08.2024.