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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

Viel zu persönlicher Annäherung von Berufsgenossen aus den verschiedensten
Rechtsgebieten bei. Obwohl die Politik von den Juristentcigcn dank ihrer takt¬
vollen Leitung, soviel uns bekannt, gänzlich fern blieb, war der Geist derselben
doch unbewußt auf die Einheit des Vaterlandes gerichtet, und man darf sich
deshalb nicht Wundern, wenn seit der Erreichung dieses Zieles die Bedeutung
des Juristentages immer mehr schwindet. Die Wünsche, von denen ehedem die
deutsche Juristeuwelt beseelt wurde, werden fortan viel wirksamer in Bundesrat
und Reichstag verwirklicht, die zeitbewegenden Rechtsfragen finden in diesen
Körperschaften die ihnen gebührende Stelle, die deutsche und österreichische Ge¬
setzgebung und Rechtsprechung stehen miteinander in Wechselwirkung, und so
kommt es, daß es dem deutschen Juristentage oft ebensosehr an Stoff wie an
Interesse fehlt. Auch in diesem Jahre findet trotz des Jubiläums keine Be¬
ratung statt.

Je mehr aber die Einheit des Rechts in den großen Staatsvereinigungen
erreicht ist oder mit Erfolg angestrebt wird, desto weiter scheinen sich die Ziele
der Juristen zu erstrecken, und je weiter die Bedeutung der nationalen Juristen¬
tage in den Hintergrund tritt, desto größern Anklang scheinen die Bestrebungen
zur Einheit auf dem internationalen Rechtsgebiete zu finden. Seit 1873 ist,
hauptsächlich von Theoretikern, das In8dient ein etroit int,6rü".ti0og,l gegründet; da¬
neben haben sich "och andre Vereinigungen, teils allgemeiner, teils besondrer
Art, zur Unifikation gewisser Rechtsmaterien in der ganzen Welt gebildet, und
es liegen bereits eine ganze Reihe von Versuchen vor, welche die Grundlage
bilden zu einem internationalen Wechselrecht, Seerecht und dergleichen. Diese
Bestrebungen werden hauptsächlich von den Professoren des öffentlichen Rechts
gefördert, und sie erhalten nnr dann eine mehr reale Gestaltung, wenn es einmal in
einem der parlamentarischen Musterländer, wie Italien und Belgien, einem solchen
Theoretiker gelingt, einen Ministerstuhl zu besteigen. In einer solchen Epoche
wird dann von dieser Seite ans ein großer Anlauf genommen; bald wird der
Prozeß, bald das Familienrecht zum Gegenstand der internationalen Kodifikation
ausgesucht, und es ergehen Rundschreiben an die Regierungen der ganzen Welt
mit Einladungen zu Konferenzen, die zunächst in Chile, Guatemala, Honduras !c.
den lebhaftesten Anklang finden, mit weniger Genugthuung dagegen von andern
Regierungen aufgenommen werden, und zwar sehr oft gegen die Strömung des
Juristenstandes in ihrem Lande.

Für den Juristen scheint in der That derjenige Zustand der ideale zu sein,
in welchem es ein Gesetz und ein Recht in der gauzeu Welt giebt, und wie zur
Zeit des großen Römerreiches nur ein Gott und ein oorxri8 strris die Verehrung
der Gläubigen in Anspruch nimmt. Es wird auch nicht geleugnet werden können,
daß bei den engen Verkehrsbeziehungen der Völker die Verschiedenheit des Rechts
recht störend eingreift, daß der auswärtige Handel darunter leidet u. s. w., und
so bedarf es nur eines Hinweises hierauf, damit in der Tagespresse, die sich so


Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr.

Viel zu persönlicher Annäherung von Berufsgenossen aus den verschiedensten
Rechtsgebieten bei. Obwohl die Politik von den Juristentcigcn dank ihrer takt¬
vollen Leitung, soviel uns bekannt, gänzlich fern blieb, war der Geist derselben
doch unbewußt auf die Einheit des Vaterlandes gerichtet, und man darf sich
deshalb nicht Wundern, wenn seit der Erreichung dieses Zieles die Bedeutung
des Juristentages immer mehr schwindet. Die Wünsche, von denen ehedem die
deutsche Juristeuwelt beseelt wurde, werden fortan viel wirksamer in Bundesrat
und Reichstag verwirklicht, die zeitbewegenden Rechtsfragen finden in diesen
Körperschaften die ihnen gebührende Stelle, die deutsche und österreichische Ge¬
setzgebung und Rechtsprechung stehen miteinander in Wechselwirkung, und so
kommt es, daß es dem deutschen Juristentage oft ebensosehr an Stoff wie an
Interesse fehlt. Auch in diesem Jahre findet trotz des Jubiläums keine Be¬
ratung statt.

Je mehr aber die Einheit des Rechts in den großen Staatsvereinigungen
erreicht ist oder mit Erfolg angestrebt wird, desto weiter scheinen sich die Ziele
der Juristen zu erstrecken, und je weiter die Bedeutung der nationalen Juristen¬
tage in den Hintergrund tritt, desto größern Anklang scheinen die Bestrebungen
zur Einheit auf dem internationalen Rechtsgebiete zu finden. Seit 1873 ist,
hauptsächlich von Theoretikern, das In8dient ein etroit int,6rü».ti0og,l gegründet; da¬
neben haben sich »och andre Vereinigungen, teils allgemeiner, teils besondrer
Art, zur Unifikation gewisser Rechtsmaterien in der ganzen Welt gebildet, und
es liegen bereits eine ganze Reihe von Versuchen vor, welche die Grundlage
bilden zu einem internationalen Wechselrecht, Seerecht und dergleichen. Diese
Bestrebungen werden hauptsächlich von den Professoren des öffentlichen Rechts
gefördert, und sie erhalten nnr dann eine mehr reale Gestaltung, wenn es einmal in
einem der parlamentarischen Musterländer, wie Italien und Belgien, einem solchen
Theoretiker gelingt, einen Ministerstuhl zu besteigen. In einer solchen Epoche
wird dann von dieser Seite ans ein großer Anlauf genommen; bald wird der
Prozeß, bald das Familienrecht zum Gegenstand der internationalen Kodifikation
ausgesucht, und es ergehen Rundschreiben an die Regierungen der ganzen Welt
mit Einladungen zu Konferenzen, die zunächst in Chile, Guatemala, Honduras !c.
den lebhaftesten Anklang finden, mit weniger Genugthuung dagegen von andern
Regierungen aufgenommen werden, und zwar sehr oft gegen die Strömung des
Juristenstandes in ihrem Lande.

Für den Juristen scheint in der That derjenige Zustand der ideale zu sein,
in welchem es ein Gesetz und ein Recht in der gauzeu Welt giebt, und wie zur
Zeit des großen Römerreiches nur ein Gott und ein oorxri8 strris die Verehrung
der Gläubigen in Anspruch nimmt. Es wird auch nicht geleugnet werden können,
daß bei den engen Verkehrsbeziehungen der Völker die Verschiedenheit des Rechts
recht störend eingreift, daß der auswärtige Handel darunter leidet u. s. w., und
so bedarf es nur eines Hinweises hierauf, damit in der Tagespresse, die sich so


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[0495] Das heimische Recht in seinen Beziehungen zum internationalen Verkehr. Viel zu persönlicher Annäherung von Berufsgenossen aus den verschiedensten Rechtsgebieten bei. Obwohl die Politik von den Juristentcigcn dank ihrer takt¬ vollen Leitung, soviel uns bekannt, gänzlich fern blieb, war der Geist derselben doch unbewußt auf die Einheit des Vaterlandes gerichtet, und man darf sich deshalb nicht Wundern, wenn seit der Erreichung dieses Zieles die Bedeutung des Juristentages immer mehr schwindet. Die Wünsche, von denen ehedem die deutsche Juristeuwelt beseelt wurde, werden fortan viel wirksamer in Bundesrat und Reichstag verwirklicht, die zeitbewegenden Rechtsfragen finden in diesen Körperschaften die ihnen gebührende Stelle, die deutsche und österreichische Ge¬ setzgebung und Rechtsprechung stehen miteinander in Wechselwirkung, und so kommt es, daß es dem deutschen Juristentage oft ebensosehr an Stoff wie an Interesse fehlt. Auch in diesem Jahre findet trotz des Jubiläums keine Be¬ ratung statt. Je mehr aber die Einheit des Rechts in den großen Staatsvereinigungen erreicht ist oder mit Erfolg angestrebt wird, desto weiter scheinen sich die Ziele der Juristen zu erstrecken, und je weiter die Bedeutung der nationalen Juristen¬ tage in den Hintergrund tritt, desto größern Anklang scheinen die Bestrebungen zur Einheit auf dem internationalen Rechtsgebiete zu finden. Seit 1873 ist, hauptsächlich von Theoretikern, das In8dient ein etroit int,6rü».ti0og,l gegründet; da¬ neben haben sich »och andre Vereinigungen, teils allgemeiner, teils besondrer Art, zur Unifikation gewisser Rechtsmaterien in der ganzen Welt gebildet, und es liegen bereits eine ganze Reihe von Versuchen vor, welche die Grundlage bilden zu einem internationalen Wechselrecht, Seerecht und dergleichen. Diese Bestrebungen werden hauptsächlich von den Professoren des öffentlichen Rechts gefördert, und sie erhalten nnr dann eine mehr reale Gestaltung, wenn es einmal in einem der parlamentarischen Musterländer, wie Italien und Belgien, einem solchen Theoretiker gelingt, einen Ministerstuhl zu besteigen. In einer solchen Epoche wird dann von dieser Seite ans ein großer Anlauf genommen; bald wird der Prozeß, bald das Familienrecht zum Gegenstand der internationalen Kodifikation ausgesucht, und es ergehen Rundschreiben an die Regierungen der ganzen Welt mit Einladungen zu Konferenzen, die zunächst in Chile, Guatemala, Honduras !c. den lebhaftesten Anklang finden, mit weniger Genugthuung dagegen von andern Regierungen aufgenommen werden, und zwar sehr oft gegen die Strömung des Juristenstandes in ihrem Lande. Für den Juristen scheint in der That derjenige Zustand der ideale zu sein, in welchem es ein Gesetz und ein Recht in der gauzeu Welt giebt, und wie zur Zeit des großen Römerreiches nur ein Gott und ein oorxri8 strris die Verehrung der Gläubigen in Anspruch nimmt. Es wird auch nicht geleugnet werden können, daß bei den engen Verkehrsbeziehungen der Völker die Verschiedenheit des Rechts recht störend eingreift, daß der auswärtige Handel darunter leidet u. s. w., und so bedarf es nur eines Hinweises hierauf, damit in der Tagespresse, die sich so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/495>, abgerufen am 22.07.2024.