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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine Perle.

Weise nützen? Von dem heiligen Petrus habe ich gelesen, es sei ihm an der
bloßen Botschaft von dem leerbefundcnen Grabe unsers Herrn und Heilandes
keineswegs genug gewesen, er habe sich auch noch in das Grab hineingeblickt
und habe nach den leinenen Tüchern gespäht. So weit darf ich nicht gehen.
Sie könnte es übel vermerken, und mein Sohn hätte dann das leere Nachsehen.
Aber wenn dies treffliche Mädchen kein Herz von Stein hat, wird sie meinen
Bericht von seinem Unglücke nicht angehört haben, ohne mir behilflich sein zu
Wollen, es zu lindern. Signora, wollte sie demnach ein vorsichtig nur erst in
Dankesworte eingehülltes Jnauisitorium beginnen, aber die kleine Schlaguhr
über dem Fensterchen des Zimmers schnurrte in diesem Augenblick die erste
Stunde nach ^.of inarig. ab, und Florida erhob sich, um sich vor völliger Nacht
auf den Heimweg zu begeben.

Ich danke Euch, gute Frau, sagte sie, meine Zeit ist um. Fragt nicht,
wohin ich gehe, setzte sie hinzu, da die Matrone von dem bereitwillig zu Ge¬
bote stehenden Geleit ihres Gervasio zu reden anhob, und lasset mich allem
meiner Wege ziehen. Um ein gutes Teil erleichtert gehe ich von hinnen. Ihr
fandet mich aufgelöst in Thränen. Nicht alles, was Ihr von dem Kreuze er¬
zähltet, an dem Ihr traget, habe ich denn auch so gehört, daß es mir ver¬
ständlich war. Mein eignes Kreuz drückte mich zu schwer. Aber indem ich
Euch von den Engeln vorredete -- ich that es nicht aus eigner Wissenschaft --.
kam mir wieder in den Sinn, was Ihr von der Geduld und der Treue
und dem Ausharren Euers blinden Sohnes gesagt hattet, und ich erinnerte
mich an die Worte einer heiligen Frau, die auf meine Frage, ob denn Engel
anders als in Träumen und auf Bildern zu sehen seien, mir zur Antwort gab:
Du sahst und sprachst deren oft, ohne es zu ahnen.

Florida zog damit einen Smaragdring vom Finger.

Nicht doch! wehrte die Matrone ab; sie wußte doch schier nicht, was sie
denken sollte.

Nehmt! bat Florida, mir ist unter Euerm Dache soviel leichter zu Mute
geworden, daß der kleine Stein die Wohlthat, die Ihr mir erwieset, bei weitem
nicht aufwiegt.

Aber Signora! widerredete die alte Müllerin, die wenigen Bissen, die Ihr
aßet, und die wenigen Tropfen, die Ihr tränket!

Nehmt!

Und die Alte beugte sich über die Hand der Spenderin, beklommen des
Schmuckes der heiligen Lucia gedenkend, ein Seitenblick nach dem Gebiet des
Wunderglaubens, der ihr inmitten ihrer Zweifelsucht von neuem das Haar
unter der Haube zu Berge trieb. Ihr schwebte die Bitte auf den Lippen, die
Fremde möge im Vorübergehen an dem Mahlraum ein Wort reden, dessen
freundlichem Klänge der einsam in seinem dunkeln Raum die Tage vertrauernde
Gervasio dann wieder eine Weile dankbar nachsinnen könne; aber in der Eile


Um eine Perle.

Weise nützen? Von dem heiligen Petrus habe ich gelesen, es sei ihm an der
bloßen Botschaft von dem leerbefundcnen Grabe unsers Herrn und Heilandes
keineswegs genug gewesen, er habe sich auch noch in das Grab hineingeblickt
und habe nach den leinenen Tüchern gespäht. So weit darf ich nicht gehen.
Sie könnte es übel vermerken, und mein Sohn hätte dann das leere Nachsehen.
Aber wenn dies treffliche Mädchen kein Herz von Stein hat, wird sie meinen
Bericht von seinem Unglücke nicht angehört haben, ohne mir behilflich sein zu
Wollen, es zu lindern. Signora, wollte sie demnach ein vorsichtig nur erst in
Dankesworte eingehülltes Jnauisitorium beginnen, aber die kleine Schlaguhr
über dem Fensterchen des Zimmers schnurrte in diesem Augenblick die erste
Stunde nach ^.of inarig. ab, und Florida erhob sich, um sich vor völliger Nacht
auf den Heimweg zu begeben.

Ich danke Euch, gute Frau, sagte sie, meine Zeit ist um. Fragt nicht,
wohin ich gehe, setzte sie hinzu, da die Matrone von dem bereitwillig zu Ge¬
bote stehenden Geleit ihres Gervasio zu reden anhob, und lasset mich allem
meiner Wege ziehen. Um ein gutes Teil erleichtert gehe ich von hinnen. Ihr
fandet mich aufgelöst in Thränen. Nicht alles, was Ihr von dem Kreuze er¬
zähltet, an dem Ihr traget, habe ich denn auch so gehört, daß es mir ver¬
ständlich war. Mein eignes Kreuz drückte mich zu schwer. Aber indem ich
Euch von den Engeln vorredete — ich that es nicht aus eigner Wissenschaft —.
kam mir wieder in den Sinn, was Ihr von der Geduld und der Treue
und dem Ausharren Euers blinden Sohnes gesagt hattet, und ich erinnerte
mich an die Worte einer heiligen Frau, die auf meine Frage, ob denn Engel
anders als in Träumen und auf Bildern zu sehen seien, mir zur Antwort gab:
Du sahst und sprachst deren oft, ohne es zu ahnen.

Florida zog damit einen Smaragdring vom Finger.

Nicht doch! wehrte die Matrone ab; sie wußte doch schier nicht, was sie
denken sollte.

Nehmt! bat Florida, mir ist unter Euerm Dache soviel leichter zu Mute
geworden, daß der kleine Stein die Wohlthat, die Ihr mir erwieset, bei weitem
nicht aufwiegt.

Aber Signora! widerredete die alte Müllerin, die wenigen Bissen, die Ihr
aßet, und die wenigen Tropfen, die Ihr tränket!

Nehmt!

Und die Alte beugte sich über die Hand der Spenderin, beklommen des
Schmuckes der heiligen Lucia gedenkend, ein Seitenblick nach dem Gebiet des
Wunderglaubens, der ihr inmitten ihrer Zweifelsucht von neuem das Haar
unter der Haube zu Berge trieb. Ihr schwebte die Bitte auf den Lippen, die
Fremde möge im Vorübergehen an dem Mahlraum ein Wort reden, dessen
freundlichem Klänge der einsam in seinem dunkeln Raum die Tage vertrauernde
Gervasio dann wieder eine Weile dankbar nachsinnen könne; aber in der Eile


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[0492] Um eine Perle. Weise nützen? Von dem heiligen Petrus habe ich gelesen, es sei ihm an der bloßen Botschaft von dem leerbefundcnen Grabe unsers Herrn und Heilandes keineswegs genug gewesen, er habe sich auch noch in das Grab hineingeblickt und habe nach den leinenen Tüchern gespäht. So weit darf ich nicht gehen. Sie könnte es übel vermerken, und mein Sohn hätte dann das leere Nachsehen. Aber wenn dies treffliche Mädchen kein Herz von Stein hat, wird sie meinen Bericht von seinem Unglücke nicht angehört haben, ohne mir behilflich sein zu Wollen, es zu lindern. Signora, wollte sie demnach ein vorsichtig nur erst in Dankesworte eingehülltes Jnauisitorium beginnen, aber die kleine Schlaguhr über dem Fensterchen des Zimmers schnurrte in diesem Augenblick die erste Stunde nach ^.of inarig. ab, und Florida erhob sich, um sich vor völliger Nacht auf den Heimweg zu begeben. Ich danke Euch, gute Frau, sagte sie, meine Zeit ist um. Fragt nicht, wohin ich gehe, setzte sie hinzu, da die Matrone von dem bereitwillig zu Ge¬ bote stehenden Geleit ihres Gervasio zu reden anhob, und lasset mich allem meiner Wege ziehen. Um ein gutes Teil erleichtert gehe ich von hinnen. Ihr fandet mich aufgelöst in Thränen. Nicht alles, was Ihr von dem Kreuze er¬ zähltet, an dem Ihr traget, habe ich denn auch so gehört, daß es mir ver¬ ständlich war. Mein eignes Kreuz drückte mich zu schwer. Aber indem ich Euch von den Engeln vorredete — ich that es nicht aus eigner Wissenschaft —. kam mir wieder in den Sinn, was Ihr von der Geduld und der Treue und dem Ausharren Euers blinden Sohnes gesagt hattet, und ich erinnerte mich an die Worte einer heiligen Frau, die auf meine Frage, ob denn Engel anders als in Träumen und auf Bildern zu sehen seien, mir zur Antwort gab: Du sahst und sprachst deren oft, ohne es zu ahnen. Florida zog damit einen Smaragdring vom Finger. Nicht doch! wehrte die Matrone ab; sie wußte doch schier nicht, was sie denken sollte. Nehmt! bat Florida, mir ist unter Euerm Dache soviel leichter zu Mute geworden, daß der kleine Stein die Wohlthat, die Ihr mir erwieset, bei weitem nicht aufwiegt. Aber Signora! widerredete die alte Müllerin, die wenigen Bissen, die Ihr aßet, und die wenigen Tropfen, die Ihr tränket! Nehmt! Und die Alte beugte sich über die Hand der Spenderin, beklommen des Schmuckes der heiligen Lucia gedenkend, ein Seitenblick nach dem Gebiet des Wunderglaubens, der ihr inmitten ihrer Zweifelsucht von neuem das Haar unter der Haube zu Berge trieb. Ihr schwebte die Bitte auf den Lippen, die Fremde möge im Vorübergehen an dem Mahlraum ein Wort reden, dessen freundlichem Klänge der einsam in seinem dunkeln Raum die Tage vertrauernde Gervasio dann wieder eine Weile dankbar nachsinnen könne; aber in der Eile

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/492>, abgerufen am 22.07.2024.