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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Entwürfe für das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig.

Ausführung übertragen und nicht etwa ein Kompromiß vorgezogen wird. Denn
darüber, daß die äußere Erscheinung dieses Entwurfes nicht nur keine künst¬
lerischen Vorzüge besitzt, sondern an mannichfachen Unschönheiten und Geschmack¬
losigkeiten leidet, besteht keine Meinungsverschiedenheit. Wir wissen nicht, ob
die in der Gestaltung des Äußern zu tage tretende Armseligkeit und Nüchtern¬
heit, der Mangel an selbständigen Gedanken und die Beschränkung auf die
trivialsten Ausdrücke der architektonischen Formensprache in dem geringen künst¬
lerischen Vermögen der Verfasser begründet liegen, oder ob es nicht vielleicht
von ihnen beabsichtigt war, alles zu vermeiden, was die Aufmerksamkeit der
Preisrichter von der Klarheit und gediegenen Durchbildung des Grundrisses
hätte ablenken können. Jedenfalls darf man aber mit Fug und Recht erwarten,
daß auch bei der zweiten großen Aufgabe, welche von Reichswegen den deutschen
Architekten gestellt worden ist, künstlerische Interessen und Anforderungen berück¬
sichtigt werden, und daß, wenn wirklich bei den Verfassern des mit dem ersten
Preise gekrönten Entwurfes ein nicht genügendes Maß von schöpferischer Phan¬
tasie vorhanden sein sollte, ihnen aus dem Kreise der übrigen Bewerber eine
Kraft zur Seite gestellt werde, welche solchen Anforderungen genügt.

An Kräften dieser Art ist glücklicherweise kein Mangel. Es ist vielleicht
das erfreulichste Ergebnis der ganzen Konkurrenz, daß sie uns von neuem
einen Überblick über den großen Reichtum an bedeutenden baukünstlerischen
Kräften gewährt hat, welche Deutschland gegenwärtig besitzt. Wenn man die
Summe künstlerischen Vermögens berechnet, welche sich in den drei großen Kon¬
kurrenzen der letzten drei Jahre -- Reichstag, Mnseumsinsel in Berlin und
Reichsgericht -- offenbart hat, so ist man fast geneigt zu glauben, daß der
Kunstgeist unsrer Zeit seinen höchsten und charaktervollsten Ausdruck in der
Architektur finde. Daß diese Thätigkeit unsrer Architekten wirklich echter schöpfe¬
rischer Kraft entspringt, beweist am besten die Thatsache, daß die Baukünstler
sich durch den ihrem Aufwand an Mühen durchaus nicht entsprechenden Ausfall
der Konkurrenzen nicht entmutigen lassen, daß sie vielmehr zu einer immer
größeren Entfaltung ihrer Fähigkeiten angespornt werden, und daß diese Kon¬
kurrenzen immer neue künstlerische Individualitäten in die Öffentlichkeit bringen,
welche sonst vielleicht nicht über den Umkreis kleinerer Bezirke bekannt geworden
wären.

Darin liegt unzweifelhaft ein Verdienst dieser Konkurrenzen, welche im
übrigen ein so ungeheures Kapital von Zeit, Mühe, Geld und Geist verschlingen,
daß ihr Wert immer fraglicher wird. Es ist freilich schwer, einen andern Weg
vorzuschlagen, um die öffentliche Bauthätigkeit zu regeln. Die Erfahrungen,
welche wir bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein in Preußen gemacht
haben und, wenn auch nicht so häufig, doch vereinzelt immer noch machen, sind
so entmutigend, daß man an das alte Verfahren, das Bauwesen der Staaten
den Baubeamten zu überlassen, garnicht mehr denken mag. An maßgebender


Die Entwürfe für das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig.

Ausführung übertragen und nicht etwa ein Kompromiß vorgezogen wird. Denn
darüber, daß die äußere Erscheinung dieses Entwurfes nicht nur keine künst¬
lerischen Vorzüge besitzt, sondern an mannichfachen Unschönheiten und Geschmack¬
losigkeiten leidet, besteht keine Meinungsverschiedenheit. Wir wissen nicht, ob
die in der Gestaltung des Äußern zu tage tretende Armseligkeit und Nüchtern¬
heit, der Mangel an selbständigen Gedanken und die Beschränkung auf die
trivialsten Ausdrücke der architektonischen Formensprache in dem geringen künst¬
lerischen Vermögen der Verfasser begründet liegen, oder ob es nicht vielleicht
von ihnen beabsichtigt war, alles zu vermeiden, was die Aufmerksamkeit der
Preisrichter von der Klarheit und gediegenen Durchbildung des Grundrisses
hätte ablenken können. Jedenfalls darf man aber mit Fug und Recht erwarten,
daß auch bei der zweiten großen Aufgabe, welche von Reichswegen den deutschen
Architekten gestellt worden ist, künstlerische Interessen und Anforderungen berück¬
sichtigt werden, und daß, wenn wirklich bei den Verfassern des mit dem ersten
Preise gekrönten Entwurfes ein nicht genügendes Maß von schöpferischer Phan¬
tasie vorhanden sein sollte, ihnen aus dem Kreise der übrigen Bewerber eine
Kraft zur Seite gestellt werde, welche solchen Anforderungen genügt.

An Kräften dieser Art ist glücklicherweise kein Mangel. Es ist vielleicht
das erfreulichste Ergebnis der ganzen Konkurrenz, daß sie uns von neuem
einen Überblick über den großen Reichtum an bedeutenden baukünstlerischen
Kräften gewährt hat, welche Deutschland gegenwärtig besitzt. Wenn man die
Summe künstlerischen Vermögens berechnet, welche sich in den drei großen Kon¬
kurrenzen der letzten drei Jahre — Reichstag, Mnseumsinsel in Berlin und
Reichsgericht — offenbart hat, so ist man fast geneigt zu glauben, daß der
Kunstgeist unsrer Zeit seinen höchsten und charaktervollsten Ausdruck in der
Architektur finde. Daß diese Thätigkeit unsrer Architekten wirklich echter schöpfe¬
rischer Kraft entspringt, beweist am besten die Thatsache, daß die Baukünstler
sich durch den ihrem Aufwand an Mühen durchaus nicht entsprechenden Ausfall
der Konkurrenzen nicht entmutigen lassen, daß sie vielmehr zu einer immer
größeren Entfaltung ihrer Fähigkeiten angespornt werden, und daß diese Kon¬
kurrenzen immer neue künstlerische Individualitäten in die Öffentlichkeit bringen,
welche sonst vielleicht nicht über den Umkreis kleinerer Bezirke bekannt geworden
wären.

Darin liegt unzweifelhaft ein Verdienst dieser Konkurrenzen, welche im
übrigen ein so ungeheures Kapital von Zeit, Mühe, Geld und Geist verschlingen,
daß ihr Wert immer fraglicher wird. Es ist freilich schwer, einen andern Weg
vorzuschlagen, um die öffentliche Bauthätigkeit zu regeln. Die Erfahrungen,
welche wir bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein in Preußen gemacht
haben und, wenn auch nicht so häufig, doch vereinzelt immer noch machen, sind
so entmutigend, daß man an das alte Verfahren, das Bauwesen der Staaten
den Baubeamten zu überlassen, garnicht mehr denken mag. An maßgebender


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[0049] Die Entwürfe für das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig. Ausführung übertragen und nicht etwa ein Kompromiß vorgezogen wird. Denn darüber, daß die äußere Erscheinung dieses Entwurfes nicht nur keine künst¬ lerischen Vorzüge besitzt, sondern an mannichfachen Unschönheiten und Geschmack¬ losigkeiten leidet, besteht keine Meinungsverschiedenheit. Wir wissen nicht, ob die in der Gestaltung des Äußern zu tage tretende Armseligkeit und Nüchtern¬ heit, der Mangel an selbständigen Gedanken und die Beschränkung auf die trivialsten Ausdrücke der architektonischen Formensprache in dem geringen künst¬ lerischen Vermögen der Verfasser begründet liegen, oder ob es nicht vielleicht von ihnen beabsichtigt war, alles zu vermeiden, was die Aufmerksamkeit der Preisrichter von der Klarheit und gediegenen Durchbildung des Grundrisses hätte ablenken können. Jedenfalls darf man aber mit Fug und Recht erwarten, daß auch bei der zweiten großen Aufgabe, welche von Reichswegen den deutschen Architekten gestellt worden ist, künstlerische Interessen und Anforderungen berück¬ sichtigt werden, und daß, wenn wirklich bei den Verfassern des mit dem ersten Preise gekrönten Entwurfes ein nicht genügendes Maß von schöpferischer Phan¬ tasie vorhanden sein sollte, ihnen aus dem Kreise der übrigen Bewerber eine Kraft zur Seite gestellt werde, welche solchen Anforderungen genügt. An Kräften dieser Art ist glücklicherweise kein Mangel. Es ist vielleicht das erfreulichste Ergebnis der ganzen Konkurrenz, daß sie uns von neuem einen Überblick über den großen Reichtum an bedeutenden baukünstlerischen Kräften gewährt hat, welche Deutschland gegenwärtig besitzt. Wenn man die Summe künstlerischen Vermögens berechnet, welche sich in den drei großen Kon¬ kurrenzen der letzten drei Jahre — Reichstag, Mnseumsinsel in Berlin und Reichsgericht — offenbart hat, so ist man fast geneigt zu glauben, daß der Kunstgeist unsrer Zeit seinen höchsten und charaktervollsten Ausdruck in der Architektur finde. Daß diese Thätigkeit unsrer Architekten wirklich echter schöpfe¬ rischer Kraft entspringt, beweist am besten die Thatsache, daß die Baukünstler sich durch den ihrem Aufwand an Mühen durchaus nicht entsprechenden Ausfall der Konkurrenzen nicht entmutigen lassen, daß sie vielmehr zu einer immer größeren Entfaltung ihrer Fähigkeiten angespornt werden, und daß diese Kon¬ kurrenzen immer neue künstlerische Individualitäten in die Öffentlichkeit bringen, welche sonst vielleicht nicht über den Umkreis kleinerer Bezirke bekannt geworden wären. Darin liegt unzweifelhaft ein Verdienst dieser Konkurrenzen, welche im übrigen ein so ungeheures Kapital von Zeit, Mühe, Geld und Geist verschlingen, daß ihr Wert immer fraglicher wird. Es ist freilich schwer, einen andern Weg vorzuschlagen, um die öffentliche Bauthätigkeit zu regeln. Die Erfahrungen, welche wir bis in die Mitte der siebziger Jahre hinein in Preußen gemacht haben und, wenn auch nicht so häufig, doch vereinzelt immer noch machen, sind so entmutigend, daß man an das alte Verfahren, das Bauwesen der Staaten den Baubeamten zu überlassen, garnicht mehr denken mag. An maßgebender

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/49>, abgerufen am 22.07.2024.