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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Der Indianerkrieg in Kanada.

über Mein und Dein vorkamen, wurden sie gewöhnlich durch die englische" Be¬
hörden nach Rücksichten der Gerechtigkeit geschlichtet. Die Leute gehorchten im
ganzen willig den Gesetzen. Richter Lynch war unbekannt. Mehrere Jndicmer-
stümme gaben das Jägerleben auf und wurden Viehzüchter und Ackerbauer.

Das ging so fort, bis der Strom der Einwanderung englischer Elemente
sich auch diesen nördlichen Gebieten zuwendete. Schon im Jahre 1869, bald
nachdem Kanada die ungeheuern Territorien der Hudsonsbai-Gesellschaft an¬
gekauft hatte, veranlaßten die unbilligen Ansprüche jener neuen Ankömmlinge
einen Aufstand der Indianer und Mischlinge am Nedriver, den der Akadier
Louis Rici als Führer leitete, und der eine Zeit lang umso gefährlicher er¬
schien, als das Land für Truppen schwer zugänglich war. Zuletzt gelang es
jedoch dem Oberst Wolseley, der später als General das Fellachenheer Arabis
bei Tel El Kebir schlug und jetzt sich vor dein Mahdi aus dem Sudan zurück¬
ziehen muß, die Insurgenten zu Paaren zu treiben. Rick flüchtete sich über
die Grenze nach den Vereinigten Staaten, wo er fünf Jahre als Verbannter
lebte. Er war aber in seiner Heimat (bei Manitoba) populär geblieben, und
als er dahin zurückkehrte, wählten ihn die dortigen Indianer und Halfbreeds
sogar zu ihrem Vertreter im kanadischen Parlamente. Bald indes mußte er
hier gewahr werden, daß er als Mitglied der Gesetzgebung nicht am Platze
war, weil sich gegen die Majorität der Versammlung, welche auf feiten der
neuen Ansiedler stand, mit Reden und Anträge"? nichts für seine Auftraggeber
ausrichten ließ, und so begab er sich vor einiger Zeit in den Nordwesten zurück,
um wieder unter seinesgleichen zu leben. Die englischen Kolonisten hatten in¬
zwischen die alten Besitzer des Landes aus den Provinzen Ontario und Ma¬
nitoba hinausgedrängt und zogen, als die kanadische Bahn nach dem Stillen
Meere weiter vorrückte, in gleichem Schritte mit dieser fort. Von Manitoba
aus, welches zum Mittelpunkte dieser Auswanderung wurde, brachen immer
neue Schaaren zu Lande und zu Wasser auf, um sich in den Territorien
Assiniboia, Saskatschewau und Alberta Wohnsitze zu suchen und Landeigentum
zu erwerben, lind dabei kam es vielfach zu Rechtsverletzungen. Den Indianern
waren von der Regierung der Dominion von Kanada in der Westhälfte des
Landes -- die beiläufig etwa so groß wie Spanien, Frankreich und Deutsch¬
land zusammen ist -- weitgedehnte Landstrecken als Eigentum reservirt worden, und
die Mischlinge waren ihnen dahin gefolgt und hatten sich vorzüglich im Westen
des Winnipegsees, in Saskatschewan und Alberta niedergelassen. Alle diese
Gegenden waren, als sie kamen, noch im Naturzustande, ohne staatliche und
Provinzielle Organisation, uneingedenk und unvermessen, und der neue An¬
kömmling war befugt, sich nach Belieben ein Stück Land auszusuchen, sich
darauf niederzulassen und es dann als sein Eigentum zu betrachten und zu be¬
handeln, ganz so wie es die Squatters in den Vereinigten Staaten hielten.
Wie groß das so erworbene Stück Land war, machte keinen Unterschied in dem


Der Indianerkrieg in Kanada.

über Mein und Dein vorkamen, wurden sie gewöhnlich durch die englische» Be¬
hörden nach Rücksichten der Gerechtigkeit geschlichtet. Die Leute gehorchten im
ganzen willig den Gesetzen. Richter Lynch war unbekannt. Mehrere Jndicmer-
stümme gaben das Jägerleben auf und wurden Viehzüchter und Ackerbauer.

Das ging so fort, bis der Strom der Einwanderung englischer Elemente
sich auch diesen nördlichen Gebieten zuwendete. Schon im Jahre 1869, bald
nachdem Kanada die ungeheuern Territorien der Hudsonsbai-Gesellschaft an¬
gekauft hatte, veranlaßten die unbilligen Ansprüche jener neuen Ankömmlinge
einen Aufstand der Indianer und Mischlinge am Nedriver, den der Akadier
Louis Rici als Führer leitete, und der eine Zeit lang umso gefährlicher er¬
schien, als das Land für Truppen schwer zugänglich war. Zuletzt gelang es
jedoch dem Oberst Wolseley, der später als General das Fellachenheer Arabis
bei Tel El Kebir schlug und jetzt sich vor dein Mahdi aus dem Sudan zurück¬
ziehen muß, die Insurgenten zu Paaren zu treiben. Rick flüchtete sich über
die Grenze nach den Vereinigten Staaten, wo er fünf Jahre als Verbannter
lebte. Er war aber in seiner Heimat (bei Manitoba) populär geblieben, und
als er dahin zurückkehrte, wählten ihn die dortigen Indianer und Halfbreeds
sogar zu ihrem Vertreter im kanadischen Parlamente. Bald indes mußte er
hier gewahr werden, daß er als Mitglied der Gesetzgebung nicht am Platze
war, weil sich gegen die Majorität der Versammlung, welche auf feiten der
neuen Ansiedler stand, mit Reden und Anträge«? nichts für seine Auftraggeber
ausrichten ließ, und so begab er sich vor einiger Zeit in den Nordwesten zurück,
um wieder unter seinesgleichen zu leben. Die englischen Kolonisten hatten in¬
zwischen die alten Besitzer des Landes aus den Provinzen Ontario und Ma¬
nitoba hinausgedrängt und zogen, als die kanadische Bahn nach dem Stillen
Meere weiter vorrückte, in gleichem Schritte mit dieser fort. Von Manitoba
aus, welches zum Mittelpunkte dieser Auswanderung wurde, brachen immer
neue Schaaren zu Lande und zu Wasser auf, um sich in den Territorien
Assiniboia, Saskatschewau und Alberta Wohnsitze zu suchen und Landeigentum
zu erwerben, lind dabei kam es vielfach zu Rechtsverletzungen. Den Indianern
waren von der Regierung der Dominion von Kanada in der Westhälfte des
Landes — die beiläufig etwa so groß wie Spanien, Frankreich und Deutsch¬
land zusammen ist — weitgedehnte Landstrecken als Eigentum reservirt worden, und
die Mischlinge waren ihnen dahin gefolgt und hatten sich vorzüglich im Westen
des Winnipegsees, in Saskatschewan und Alberta niedergelassen. Alle diese
Gegenden waren, als sie kamen, noch im Naturzustande, ohne staatliche und
Provinzielle Organisation, uneingedenk und unvermessen, und der neue An¬
kömmling war befugt, sich nach Belieben ein Stück Land auszusuchen, sich
darauf niederzulassen und es dann als sein Eigentum zu betrachten und zu be¬
handeln, ganz so wie es die Squatters in den Vereinigten Staaten hielten.
Wie groß das so erworbene Stück Land war, machte keinen Unterschied in dem


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[0484] Der Indianerkrieg in Kanada. über Mein und Dein vorkamen, wurden sie gewöhnlich durch die englische» Be¬ hörden nach Rücksichten der Gerechtigkeit geschlichtet. Die Leute gehorchten im ganzen willig den Gesetzen. Richter Lynch war unbekannt. Mehrere Jndicmer- stümme gaben das Jägerleben auf und wurden Viehzüchter und Ackerbauer. Das ging so fort, bis der Strom der Einwanderung englischer Elemente sich auch diesen nördlichen Gebieten zuwendete. Schon im Jahre 1869, bald nachdem Kanada die ungeheuern Territorien der Hudsonsbai-Gesellschaft an¬ gekauft hatte, veranlaßten die unbilligen Ansprüche jener neuen Ankömmlinge einen Aufstand der Indianer und Mischlinge am Nedriver, den der Akadier Louis Rici als Führer leitete, und der eine Zeit lang umso gefährlicher er¬ schien, als das Land für Truppen schwer zugänglich war. Zuletzt gelang es jedoch dem Oberst Wolseley, der später als General das Fellachenheer Arabis bei Tel El Kebir schlug und jetzt sich vor dein Mahdi aus dem Sudan zurück¬ ziehen muß, die Insurgenten zu Paaren zu treiben. Rick flüchtete sich über die Grenze nach den Vereinigten Staaten, wo er fünf Jahre als Verbannter lebte. Er war aber in seiner Heimat (bei Manitoba) populär geblieben, und als er dahin zurückkehrte, wählten ihn die dortigen Indianer und Halfbreeds sogar zu ihrem Vertreter im kanadischen Parlamente. Bald indes mußte er hier gewahr werden, daß er als Mitglied der Gesetzgebung nicht am Platze war, weil sich gegen die Majorität der Versammlung, welche auf feiten der neuen Ansiedler stand, mit Reden und Anträge«? nichts für seine Auftraggeber ausrichten ließ, und so begab er sich vor einiger Zeit in den Nordwesten zurück, um wieder unter seinesgleichen zu leben. Die englischen Kolonisten hatten in¬ zwischen die alten Besitzer des Landes aus den Provinzen Ontario und Ma¬ nitoba hinausgedrängt und zogen, als die kanadische Bahn nach dem Stillen Meere weiter vorrückte, in gleichem Schritte mit dieser fort. Von Manitoba aus, welches zum Mittelpunkte dieser Auswanderung wurde, brachen immer neue Schaaren zu Lande und zu Wasser auf, um sich in den Territorien Assiniboia, Saskatschewau und Alberta Wohnsitze zu suchen und Landeigentum zu erwerben, lind dabei kam es vielfach zu Rechtsverletzungen. Den Indianern waren von der Regierung der Dominion von Kanada in der Westhälfte des Landes — die beiläufig etwa so groß wie Spanien, Frankreich und Deutsch¬ land zusammen ist — weitgedehnte Landstrecken als Eigentum reservirt worden, und die Mischlinge waren ihnen dahin gefolgt und hatten sich vorzüglich im Westen des Winnipegsees, in Saskatschewan und Alberta niedergelassen. Alle diese Gegenden waren, als sie kamen, noch im Naturzustande, ohne staatliche und Provinzielle Organisation, uneingedenk und unvermessen, und der neue An¬ kömmling war befugt, sich nach Belieben ein Stück Land auszusuchen, sich darauf niederzulassen und es dann als sein Eigentum zu betrachten und zu be¬ handeln, ganz so wie es die Squatters in den Vereinigten Staaten hielten. Wie groß das so erworbene Stück Land war, machte keinen Unterschied in dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/484>, abgerufen am 25.08.2024.