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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Italienische Reisobriefe vom Jahre 1^882.

Vorher hatten wir noch San Giovanni in Laternno wenigstens von außen be¬
sehen: die Kirche des Papstes als des Bischofs von Rom. Die Fassade mit ihren
gewaltigen, bis oben durchgehenden Säulen gehört zu den großartigsten und wir¬
kungsvollsten, die ich kenne.

Schräg gegenüber liegt das Heiligtum mit der Scala sancta, angeblich der
Treppe des Richthauscs in Jerusalem. Gläubige rutschen dieselbe zu allen Stunden
knieend hinauf. Auch Luther hat das feiner Zeit gethan und er erzählt, wie es
dabei immer in ihm geschrieen habe: "Der Gerechte lebt seines Glaubens allein."
Und wer sollte hier nicht zu einem Proteste gegen die allzuweit gehende Ver-
äußerlichung religiösen Wesens kommen? Andrerseits das Wort allein, d. h. die
Predigt, thuts auch nicht. Die Kirche bedarf einer gewissen Körperlichkeit, Anschau-
barkcit; es wird nur darauf ankommen, ihr das volle Gegengewicht der Inner¬
lichkeit und Geistigkeit zu geben. Der Einzelne für sich geht leicht auf einer Linie
einher, auf welcher er sich von beiden Seiten aneignen kann: von da die Kunst,
das Symbol, die schöne Zeremonie, die naive, echt volkstümliche Feier, von dort
die Gcmütsinnerlichkeit, die Selbstverantwortnng, die ethische Einheitlichkeit und
Vertiefung des Charakters, mit einem Wort die ernste Arbeit an sich selbst in
wahrer Selbstverläugnung. Ganze Kirchen aber werden immer an einer gewissen
Einseitigkeit leiden.

Es ist mir immer aufgefallen, daß Luther nirgends, auch in feinen Tisch-
gesprächen nicht, andrer als religiöser Eindrücke aus Rom erwähnt. Er war hier
zur Zeit der allerhöchsten Kunstentfaltung: Naffael malte gerade an den Stanzen,
Michelangelo an der Sistina. Die Gruppe des Laokoon war eben gefunden und
regte alle Welt zu Sonetten an u. f. w. Es scheint in der That, als habe er
hieran nicht den geringsten Anteil genommen; er hatte zu schwer mit sich zu
kämpfen. Auch litt er an einer gewissen Abneigung gegen die Italiener. Deutsche,
die hierher kommen, ohne die Sprache zu verstehen, unterschätzen dieselben über¬
haupt leicht und kommen erst, indem sie ihre Kunstschöpfungen würdigen, zu einer
richtigen Ansicht über dies hochbegabte und liebenswürdige Volk. Wir sind Pednn-
tisch/sie sind kindlich, das ist der Unterschied.

Eines naiven Zuges muß ich noch gedenken, der in Florenz begegnete. Freude
es mich schon, daß man, wenn man sich in einem Dome niederließ, gelegentlich
eine schöne Katze zur Nachbarin gewann, die behaglich schnurrend dem Gesänge
zuhörte, so sah ich eines Abends zu meiner Ueberrcischung, wie eine Frau ihren
Hund an der Leine mit in eine Seitenkapelle gebracht hatte, um da zu beten.
Das Tier war hieran schon gewöhnt und sah so andächtig drein wie feine Herrin.
Bei uns würde das an Blasphemie streifen; hier macht sich niemand Gedanken
darüber, und sicher war diese Frau eine wirklich fromme Frau.

(Fortsetzung folgt.)




Italienische Reisobriefe vom Jahre 1^882.

Vorher hatten wir noch San Giovanni in Laternno wenigstens von außen be¬
sehen: die Kirche des Papstes als des Bischofs von Rom. Die Fassade mit ihren
gewaltigen, bis oben durchgehenden Säulen gehört zu den großartigsten und wir¬
kungsvollsten, die ich kenne.

Schräg gegenüber liegt das Heiligtum mit der Scala sancta, angeblich der
Treppe des Richthauscs in Jerusalem. Gläubige rutschen dieselbe zu allen Stunden
knieend hinauf. Auch Luther hat das feiner Zeit gethan und er erzählt, wie es
dabei immer in ihm geschrieen habe: „Der Gerechte lebt seines Glaubens allein."
Und wer sollte hier nicht zu einem Proteste gegen die allzuweit gehende Ver-
äußerlichung religiösen Wesens kommen? Andrerseits das Wort allein, d. h. die
Predigt, thuts auch nicht. Die Kirche bedarf einer gewissen Körperlichkeit, Anschau-
barkcit; es wird nur darauf ankommen, ihr das volle Gegengewicht der Inner¬
lichkeit und Geistigkeit zu geben. Der Einzelne für sich geht leicht auf einer Linie
einher, auf welcher er sich von beiden Seiten aneignen kann: von da die Kunst,
das Symbol, die schöne Zeremonie, die naive, echt volkstümliche Feier, von dort
die Gcmütsinnerlichkeit, die Selbstverantwortnng, die ethische Einheitlichkeit und
Vertiefung des Charakters, mit einem Wort die ernste Arbeit an sich selbst in
wahrer Selbstverläugnung. Ganze Kirchen aber werden immer an einer gewissen
Einseitigkeit leiden.

Es ist mir immer aufgefallen, daß Luther nirgends, auch in feinen Tisch-
gesprächen nicht, andrer als religiöser Eindrücke aus Rom erwähnt. Er war hier
zur Zeit der allerhöchsten Kunstentfaltung: Naffael malte gerade an den Stanzen,
Michelangelo an der Sistina. Die Gruppe des Laokoon war eben gefunden und
regte alle Welt zu Sonetten an u. f. w. Es scheint in der That, als habe er
hieran nicht den geringsten Anteil genommen; er hatte zu schwer mit sich zu
kämpfen. Auch litt er an einer gewissen Abneigung gegen die Italiener. Deutsche,
die hierher kommen, ohne die Sprache zu verstehen, unterschätzen dieselben über¬
haupt leicht und kommen erst, indem sie ihre Kunstschöpfungen würdigen, zu einer
richtigen Ansicht über dies hochbegabte und liebenswürdige Volk. Wir sind Pednn-
tisch/sie sind kindlich, das ist der Unterschied.

Eines naiven Zuges muß ich noch gedenken, der in Florenz begegnete. Freude
es mich schon, daß man, wenn man sich in einem Dome niederließ, gelegentlich
eine schöne Katze zur Nachbarin gewann, die behaglich schnurrend dem Gesänge
zuhörte, so sah ich eines Abends zu meiner Ueberrcischung, wie eine Frau ihren
Hund an der Leine mit in eine Seitenkapelle gebracht hatte, um da zu beten.
Das Tier war hieran schon gewöhnt und sah so andächtig drein wie feine Herrin.
Bei uns würde das an Blasphemie streifen; hier macht sich niemand Gedanken
darüber, und sicher war diese Frau eine wirklich fromme Frau.

(Fortsetzung folgt.)




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[0481] Italienische Reisobriefe vom Jahre 1^882. Vorher hatten wir noch San Giovanni in Laternno wenigstens von außen be¬ sehen: die Kirche des Papstes als des Bischofs von Rom. Die Fassade mit ihren gewaltigen, bis oben durchgehenden Säulen gehört zu den großartigsten und wir¬ kungsvollsten, die ich kenne. Schräg gegenüber liegt das Heiligtum mit der Scala sancta, angeblich der Treppe des Richthauscs in Jerusalem. Gläubige rutschen dieselbe zu allen Stunden knieend hinauf. Auch Luther hat das feiner Zeit gethan und er erzählt, wie es dabei immer in ihm geschrieen habe: „Der Gerechte lebt seines Glaubens allein." Und wer sollte hier nicht zu einem Proteste gegen die allzuweit gehende Ver- äußerlichung religiösen Wesens kommen? Andrerseits das Wort allein, d. h. die Predigt, thuts auch nicht. Die Kirche bedarf einer gewissen Körperlichkeit, Anschau- barkcit; es wird nur darauf ankommen, ihr das volle Gegengewicht der Inner¬ lichkeit und Geistigkeit zu geben. Der Einzelne für sich geht leicht auf einer Linie einher, auf welcher er sich von beiden Seiten aneignen kann: von da die Kunst, das Symbol, die schöne Zeremonie, die naive, echt volkstümliche Feier, von dort die Gcmütsinnerlichkeit, die Selbstverantwortnng, die ethische Einheitlichkeit und Vertiefung des Charakters, mit einem Wort die ernste Arbeit an sich selbst in wahrer Selbstverläugnung. Ganze Kirchen aber werden immer an einer gewissen Einseitigkeit leiden. Es ist mir immer aufgefallen, daß Luther nirgends, auch in feinen Tisch- gesprächen nicht, andrer als religiöser Eindrücke aus Rom erwähnt. Er war hier zur Zeit der allerhöchsten Kunstentfaltung: Naffael malte gerade an den Stanzen, Michelangelo an der Sistina. Die Gruppe des Laokoon war eben gefunden und regte alle Welt zu Sonetten an u. f. w. Es scheint in der That, als habe er hieran nicht den geringsten Anteil genommen; er hatte zu schwer mit sich zu kämpfen. Auch litt er an einer gewissen Abneigung gegen die Italiener. Deutsche, die hierher kommen, ohne die Sprache zu verstehen, unterschätzen dieselben über¬ haupt leicht und kommen erst, indem sie ihre Kunstschöpfungen würdigen, zu einer richtigen Ansicht über dies hochbegabte und liebenswürdige Volk. Wir sind Pednn- tisch/sie sind kindlich, das ist der Unterschied. Eines naiven Zuges muß ich noch gedenken, der in Florenz begegnete. Freude es mich schon, daß man, wenn man sich in einem Dome niederließ, gelegentlich eine schöne Katze zur Nachbarin gewann, die behaglich schnurrend dem Gesänge zuhörte, so sah ich eines Abends zu meiner Ueberrcischung, wie eine Frau ihren Hund an der Leine mit in eine Seitenkapelle gebracht hatte, um da zu beten. Das Tier war hieran schon gewöhnt und sah so andächtig drein wie feine Herrin. Bei uns würde das an Blasphemie streifen; hier macht sich niemand Gedanken darüber, und sicher war diese Frau eine wirklich fromme Frau. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/481>, abgerufen am 22.07.2024.