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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Entwürfe für das Reichsgerichtsgcbände in Leipzig.

und für ein Reichsgericht verlangen wollten. Es liegen freilich für jede Kategorie
dieser Bauten Beispiele ans der neuesten Zeit vor, an denen man nicht vorüber¬
gehen darf. Aber die Parlamentsgebäude in London und in Wien sowie der
Justizpalast in letzterer Stadt gehören trotz großer Vorzüge im einzelnen, welche
namentlich dem Hcmsenschen Parlamentshause in Wien zugute zu schreiben
sind, zu jenen Versuchen, welche gewissermaßen nnr Vorstufen zu dem hoch oben
winkenden Ziele sind. In bezug auf die ehrfurchtgebietende, majestätische Er¬
scheinung des Äußern nimmt Poelaerts Justizpalast in Brüssel schon eine höhere
Stellung ein. Schon an und für sich begünstigt dnrch eine über den umgebenden
Straßen erhöhte Lage des Bauplatzes, hat dieses Gebäude einen aus dem
Quadrat konstruirten, sensenförmig emporsteigenden, sich nach oben verjüngenden
und mit Kuppel und Laterne abschließenden Aufbau erhalten, in welchem sich
monumentale Wirkung mit einer gefülligen Gliederung zu edler Harmonie ver¬
einigen. In diesem Aufbau ist die unbeschränkte Gewalt der Rechtsideen ebenso
glücklich verkörpert, wie sich der Gedanke der Allgemeinheit und der jedem ohne
Unterschied zuteil werdenden Wohlthat der Jurisdiktion in den wie ein paar
gastlicher Arme hervortretenden Flügelbänder und in dem hohen, weitgeöffneten,
leicht durch Stufen erreichbaren Hauptportal ausspricht. Eine Vorhalle mit
Auffahrt, wie sie sich auf Grund des Programms in deu Entwürfen für das
Reichsgericht findet, steht daher streng genommen mit der Idee der Rechts¬
gleichheit im Widerspruch, da die Mehrzahl der Rechtsuchenden, zumal in einer
Mittelstadt wie Leipzig, schwerlich zu Wagen vor dem Reichsgerichtsgebäude
erscheinen wird.

Der Brüsseler Justizpalast hat also gewisse Eigentümlichkeiten, welche für
seine Bestimmung charakteristisch sind, und überdies den Vorzug einer ent¬
schiedenen Monumentalität. Diejenigen Bewerber also, welche sich diesen Bau
zum Vorbilde genommen haben, dürfen gewichtige Gründe fiir sich geltend
machen. Indessen ist die Außenarchitektur, wie man annehmen muß, auf den
Urteilsspruch der Jury nicht von dem geringsten Einfluß gewesen. Nach Ana¬
logie des bei der Konkurrenz um das Neichstagsgebcinde beliebten Verfahrens
haben die Jnroreu in erster Linie nach der Gewinnung eines den Bedürfnissen
des Reichsgerichts möglichst entsprechenden Grundrisses getrachtet, indem sie
von dem an und für sich ganz richtigen Prinzip ausgingen, daß einem brauch¬
baren Grundrisse eine künstlerisch bedeutsame Außenarchitektur nachträglich viel
leichter angepaßt werden kann, als der genialsten Erfindung künstlerischer Phan¬
tasie eine praktische Anordnung der Innenräume. Auch für das Neichstags-
gebäude hatte die Konkurrenz nicht viel mehr als die allgemeinen Grundzüge
eines Plans ergeben, all welchem so lange herumkurirt worden ist, bis schlie߬
lich die schwerstell Mängel im Innern und am Äußern beseitigt worden waren.
Denselben Verlauf wird vermutlich auch die Konkurrenz um das Neichsgerichts-
gebäude nehmen, vorausgesetzt, daß den Architekten Hoffmann und Dybwad die


Die Entwürfe für das Reichsgerichtsgcbände in Leipzig.

und für ein Reichsgericht verlangen wollten. Es liegen freilich für jede Kategorie
dieser Bauten Beispiele ans der neuesten Zeit vor, an denen man nicht vorüber¬
gehen darf. Aber die Parlamentsgebäude in London und in Wien sowie der
Justizpalast in letzterer Stadt gehören trotz großer Vorzüge im einzelnen, welche
namentlich dem Hcmsenschen Parlamentshause in Wien zugute zu schreiben
sind, zu jenen Versuchen, welche gewissermaßen nnr Vorstufen zu dem hoch oben
winkenden Ziele sind. In bezug auf die ehrfurchtgebietende, majestätische Er¬
scheinung des Äußern nimmt Poelaerts Justizpalast in Brüssel schon eine höhere
Stellung ein. Schon an und für sich begünstigt dnrch eine über den umgebenden
Straßen erhöhte Lage des Bauplatzes, hat dieses Gebäude einen aus dem
Quadrat konstruirten, sensenförmig emporsteigenden, sich nach oben verjüngenden
und mit Kuppel und Laterne abschließenden Aufbau erhalten, in welchem sich
monumentale Wirkung mit einer gefülligen Gliederung zu edler Harmonie ver¬
einigen. In diesem Aufbau ist die unbeschränkte Gewalt der Rechtsideen ebenso
glücklich verkörpert, wie sich der Gedanke der Allgemeinheit und der jedem ohne
Unterschied zuteil werdenden Wohlthat der Jurisdiktion in den wie ein paar
gastlicher Arme hervortretenden Flügelbänder und in dem hohen, weitgeöffneten,
leicht durch Stufen erreichbaren Hauptportal ausspricht. Eine Vorhalle mit
Auffahrt, wie sie sich auf Grund des Programms in deu Entwürfen für das
Reichsgericht findet, steht daher streng genommen mit der Idee der Rechts¬
gleichheit im Widerspruch, da die Mehrzahl der Rechtsuchenden, zumal in einer
Mittelstadt wie Leipzig, schwerlich zu Wagen vor dem Reichsgerichtsgebäude
erscheinen wird.

Der Brüsseler Justizpalast hat also gewisse Eigentümlichkeiten, welche für
seine Bestimmung charakteristisch sind, und überdies den Vorzug einer ent¬
schiedenen Monumentalität. Diejenigen Bewerber also, welche sich diesen Bau
zum Vorbilde genommen haben, dürfen gewichtige Gründe fiir sich geltend
machen. Indessen ist die Außenarchitektur, wie man annehmen muß, auf den
Urteilsspruch der Jury nicht von dem geringsten Einfluß gewesen. Nach Ana¬
logie des bei der Konkurrenz um das Neichstagsgebcinde beliebten Verfahrens
haben die Jnroreu in erster Linie nach der Gewinnung eines den Bedürfnissen
des Reichsgerichts möglichst entsprechenden Grundrisses getrachtet, indem sie
von dem an und für sich ganz richtigen Prinzip ausgingen, daß einem brauch¬
baren Grundrisse eine künstlerisch bedeutsame Außenarchitektur nachträglich viel
leichter angepaßt werden kann, als der genialsten Erfindung künstlerischer Phan¬
tasie eine praktische Anordnung der Innenräume. Auch für das Neichstags-
gebäude hatte die Konkurrenz nicht viel mehr als die allgemeinen Grundzüge
eines Plans ergeben, all welchem so lange herumkurirt worden ist, bis schlie߬
lich die schwerstell Mängel im Innern und am Äußern beseitigt worden waren.
Denselben Verlauf wird vermutlich auch die Konkurrenz um das Neichsgerichts-
gebäude nehmen, vorausgesetzt, daß den Architekten Hoffmann und Dybwad die


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[0048] Die Entwürfe für das Reichsgerichtsgcbände in Leipzig. und für ein Reichsgericht verlangen wollten. Es liegen freilich für jede Kategorie dieser Bauten Beispiele ans der neuesten Zeit vor, an denen man nicht vorüber¬ gehen darf. Aber die Parlamentsgebäude in London und in Wien sowie der Justizpalast in letzterer Stadt gehören trotz großer Vorzüge im einzelnen, welche namentlich dem Hcmsenschen Parlamentshause in Wien zugute zu schreiben sind, zu jenen Versuchen, welche gewissermaßen nnr Vorstufen zu dem hoch oben winkenden Ziele sind. In bezug auf die ehrfurchtgebietende, majestätische Er¬ scheinung des Äußern nimmt Poelaerts Justizpalast in Brüssel schon eine höhere Stellung ein. Schon an und für sich begünstigt dnrch eine über den umgebenden Straßen erhöhte Lage des Bauplatzes, hat dieses Gebäude einen aus dem Quadrat konstruirten, sensenförmig emporsteigenden, sich nach oben verjüngenden und mit Kuppel und Laterne abschließenden Aufbau erhalten, in welchem sich monumentale Wirkung mit einer gefülligen Gliederung zu edler Harmonie ver¬ einigen. In diesem Aufbau ist die unbeschränkte Gewalt der Rechtsideen ebenso glücklich verkörpert, wie sich der Gedanke der Allgemeinheit und der jedem ohne Unterschied zuteil werdenden Wohlthat der Jurisdiktion in den wie ein paar gastlicher Arme hervortretenden Flügelbänder und in dem hohen, weitgeöffneten, leicht durch Stufen erreichbaren Hauptportal ausspricht. Eine Vorhalle mit Auffahrt, wie sie sich auf Grund des Programms in deu Entwürfen für das Reichsgericht findet, steht daher streng genommen mit der Idee der Rechts¬ gleichheit im Widerspruch, da die Mehrzahl der Rechtsuchenden, zumal in einer Mittelstadt wie Leipzig, schwerlich zu Wagen vor dem Reichsgerichtsgebäude erscheinen wird. Der Brüsseler Justizpalast hat also gewisse Eigentümlichkeiten, welche für seine Bestimmung charakteristisch sind, und überdies den Vorzug einer ent¬ schiedenen Monumentalität. Diejenigen Bewerber also, welche sich diesen Bau zum Vorbilde genommen haben, dürfen gewichtige Gründe fiir sich geltend machen. Indessen ist die Außenarchitektur, wie man annehmen muß, auf den Urteilsspruch der Jury nicht von dem geringsten Einfluß gewesen. Nach Ana¬ logie des bei der Konkurrenz um das Neichstagsgebcinde beliebten Verfahrens haben die Jnroreu in erster Linie nach der Gewinnung eines den Bedürfnissen des Reichsgerichts möglichst entsprechenden Grundrisses getrachtet, indem sie von dem an und für sich ganz richtigen Prinzip ausgingen, daß einem brauch¬ baren Grundrisse eine künstlerisch bedeutsame Außenarchitektur nachträglich viel leichter angepaßt werden kann, als der genialsten Erfindung künstlerischer Phan¬ tasie eine praktische Anordnung der Innenräume. Auch für das Neichstags- gebäude hatte die Konkurrenz nicht viel mehr als die allgemeinen Grundzüge eines Plans ergeben, all welchem so lange herumkurirt worden ist, bis schlie߬ lich die schwerstell Mängel im Innern und am Äußern beseitigt worden waren. Denselben Verlauf wird vermutlich auch die Konkurrenz um das Neichsgerichts- gebäude nehmen, vorausgesetzt, daß den Architekten Hoffmann und Dybwad die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/48>, abgerufen am 22.07.2024.