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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Reisebriefe aus Italien vom Jahre ^882.
Aus dem Nachlasse von to. Roß manu. (Fortsetzung.)

Lucca (Albergo Universo) und Pistoja, 1. November,

dents ain 31. Oktober nach Lucca und früh rasch den Dom be-
sucht. Wiederum eine mächtige, gothisch vollendete Basilika, die
Decken bloß mit goldnen Sternen und meist mit Medaillons gemalt.
Ueber der linken Eingangsthür eine Kreuzabnahme vou Niccolo
Pisano, darunter eine Verehrung der Magier von seinem Sohne
Giovanni. Die Madonna ist hier fast identisch mit einer halb
sitzenden, halb liegenden Figur, die, wenn ich nicht irre, als Agrippina bezeichnet
wird. Im Innern, an einem Tempelchen, in welchem ein Teil des Kruzifixes
aufbewahrt wird, ein schlichter, höchst stimmungsvoller Se, Sebastian vou Matteo
Civitali, in der Plastik das, was der Dresdner Antonella da Messina in der Ma¬
lerei ist. Dann ein Gang vor das Thor, wo der Ausblick auf die Berge erfreute.
Viel bäuerliches Volk kam zum Fest Allerheiligen herein. Fünfundzwanzig der
schönsten gerösteten Maronen für vier Pfennige gekauft.

Auf dem Platze vor unserm Hotel ein nüchternes Standbild der Mutter Na¬
poleons des Ersten.

Nach Pistoja früh zehn Uhr. Eine entzückende Fahrt. schöngeformte Berge,
Hügel mit Kastellen und Städtchen bekrönt.

In Pistoja zwei Züge überschlagen. Das Tribunal ein ehrfurchtgebietender
alter Palast mit dunkeln Hof, um deu ein Umgang rin gewaltigen Pfeiler"; die
Decken gemalt, Wappen an den Wänden. Höchst altertümlich. Im Palazzo Cvm-
munale wollte mau uns die kleine Gemäldesammlung nicht zeigen; das Zimmer sei
infolge der Parlamentswahl noch sehr unordentlich.

Im Dom San Jacopo ein schöner Lorenzo ti Credi, Anffallend die großen
knochigen Füße des Täufers. Der rundliche Kopf der Madonna stimmt sehr mit
demjenigen auf dem Dresdner sogenannten Lionardo da Vinci überein. -- Sehr
interessant der ganz aus Silber getriebene Altar mit vergoldeter Altartafel, ein
kostbares Werk der Manischen Kunst: lebendig und verstciudlich. Aus dem vier¬
zehnten Jahrhundert. Derselbe ersetzte einen älteren Silberaltar, welchen im Jahre
1295 der Dichter Vcmni Funel entwandte, wofür ihm Dante eine" Platz in der
Hölle anweist.

Das Jnteressanteste in Pistoja ist nun aber ein Werk aus weit geringerem
Stoffe, der Majolikafries am Hospital del Ceppo von Giovanni della Robbia, dem
Großneffen Luca's, aus dem Jahre 1525, hie und da geflickt, doch im ganzen vor¬
trefflich in seiner Farbenfrische erhalten. Derselbe stellt die sieben Werke der
Barmherzigkeit dar, höchst lebensvoll und charakteristisch. Manche Köpfe und
Arme lösen sich ganz von dein (blauen) Grunde ab, sodaß sie Schatten darauf
werfen, was den Anblick lebendiger macht. (Abgüsse einzelner Köpfe in unserm


Reisebriefe aus Italien vom Jahre ^882.
Aus dem Nachlasse von to. Roß manu. (Fortsetzung.)

Lucca (Albergo Universo) und Pistoja, 1. November,

dents ain 31. Oktober nach Lucca und früh rasch den Dom be-
sucht. Wiederum eine mächtige, gothisch vollendete Basilika, die
Decken bloß mit goldnen Sternen und meist mit Medaillons gemalt.
Ueber der linken Eingangsthür eine Kreuzabnahme vou Niccolo
Pisano, darunter eine Verehrung der Magier von seinem Sohne
Giovanni. Die Madonna ist hier fast identisch mit einer halb
sitzenden, halb liegenden Figur, die, wenn ich nicht irre, als Agrippina bezeichnet
wird. Im Innern, an einem Tempelchen, in welchem ein Teil des Kruzifixes
aufbewahrt wird, ein schlichter, höchst stimmungsvoller Se, Sebastian vou Matteo
Civitali, in der Plastik das, was der Dresdner Antonella da Messina in der Ma¬
lerei ist. Dann ein Gang vor das Thor, wo der Ausblick auf die Berge erfreute.
Viel bäuerliches Volk kam zum Fest Allerheiligen herein. Fünfundzwanzig der
schönsten gerösteten Maronen für vier Pfennige gekauft.

Auf dem Platze vor unserm Hotel ein nüchternes Standbild der Mutter Na¬
poleons des Ersten.

Nach Pistoja früh zehn Uhr. Eine entzückende Fahrt. schöngeformte Berge,
Hügel mit Kastellen und Städtchen bekrönt.

In Pistoja zwei Züge überschlagen. Das Tribunal ein ehrfurchtgebietender
alter Palast mit dunkeln Hof, um deu ein Umgang rin gewaltigen Pfeiler»; die
Decken gemalt, Wappen an den Wänden. Höchst altertümlich. Im Palazzo Cvm-
munale wollte mau uns die kleine Gemäldesammlung nicht zeigen; das Zimmer sei
infolge der Parlamentswahl noch sehr unordentlich.

Im Dom San Jacopo ein schöner Lorenzo ti Credi, Anffallend die großen
knochigen Füße des Täufers. Der rundliche Kopf der Madonna stimmt sehr mit
demjenigen auf dem Dresdner sogenannten Lionardo da Vinci überein. — Sehr
interessant der ganz aus Silber getriebene Altar mit vergoldeter Altartafel, ein
kostbares Werk der Manischen Kunst: lebendig und verstciudlich. Aus dem vier¬
zehnten Jahrhundert. Derselbe ersetzte einen älteren Silberaltar, welchen im Jahre
1295 der Dichter Vcmni Funel entwandte, wofür ihm Dante eine» Platz in der
Hölle anweist.

Das Jnteressanteste in Pistoja ist nun aber ein Werk aus weit geringerem
Stoffe, der Majolikafries am Hospital del Ceppo von Giovanni della Robbia, dem
Großneffen Luca's, aus dem Jahre 1525, hie und da geflickt, doch im ganzen vor¬
trefflich in seiner Farbenfrische erhalten. Derselbe stellt die sieben Werke der
Barmherzigkeit dar, höchst lebensvoll und charakteristisch. Manche Köpfe und
Arme lösen sich ganz von dein (blauen) Grunde ab, sodaß sie Schatten darauf
werfen, was den Anblick lebendiger macht. (Abgüsse einzelner Köpfe in unserm


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[0475] Reisebriefe aus Italien vom Jahre ^882. Aus dem Nachlasse von to. Roß manu. (Fortsetzung.) Lucca (Albergo Universo) und Pistoja, 1. November, dents ain 31. Oktober nach Lucca und früh rasch den Dom be- sucht. Wiederum eine mächtige, gothisch vollendete Basilika, die Decken bloß mit goldnen Sternen und meist mit Medaillons gemalt. Ueber der linken Eingangsthür eine Kreuzabnahme vou Niccolo Pisano, darunter eine Verehrung der Magier von seinem Sohne Giovanni. Die Madonna ist hier fast identisch mit einer halb sitzenden, halb liegenden Figur, die, wenn ich nicht irre, als Agrippina bezeichnet wird. Im Innern, an einem Tempelchen, in welchem ein Teil des Kruzifixes aufbewahrt wird, ein schlichter, höchst stimmungsvoller Se, Sebastian vou Matteo Civitali, in der Plastik das, was der Dresdner Antonella da Messina in der Ma¬ lerei ist. Dann ein Gang vor das Thor, wo der Ausblick auf die Berge erfreute. Viel bäuerliches Volk kam zum Fest Allerheiligen herein. Fünfundzwanzig der schönsten gerösteten Maronen für vier Pfennige gekauft. Auf dem Platze vor unserm Hotel ein nüchternes Standbild der Mutter Na¬ poleons des Ersten. Nach Pistoja früh zehn Uhr. Eine entzückende Fahrt. schöngeformte Berge, Hügel mit Kastellen und Städtchen bekrönt. In Pistoja zwei Züge überschlagen. Das Tribunal ein ehrfurchtgebietender alter Palast mit dunkeln Hof, um deu ein Umgang rin gewaltigen Pfeiler»; die Decken gemalt, Wappen an den Wänden. Höchst altertümlich. Im Palazzo Cvm- munale wollte mau uns die kleine Gemäldesammlung nicht zeigen; das Zimmer sei infolge der Parlamentswahl noch sehr unordentlich. Im Dom San Jacopo ein schöner Lorenzo ti Credi, Anffallend die großen knochigen Füße des Täufers. Der rundliche Kopf der Madonna stimmt sehr mit demjenigen auf dem Dresdner sogenannten Lionardo da Vinci überein. — Sehr interessant der ganz aus Silber getriebene Altar mit vergoldeter Altartafel, ein kostbares Werk der Manischen Kunst: lebendig und verstciudlich. Aus dem vier¬ zehnten Jahrhundert. Derselbe ersetzte einen älteren Silberaltar, welchen im Jahre 1295 der Dichter Vcmni Funel entwandte, wofür ihm Dante eine» Platz in der Hölle anweist. Das Jnteressanteste in Pistoja ist nun aber ein Werk aus weit geringerem Stoffe, der Majolikafries am Hospital del Ceppo von Giovanni della Robbia, dem Großneffen Luca's, aus dem Jahre 1525, hie und da geflickt, doch im ganzen vor¬ trefflich in seiner Farbenfrische erhalten. Derselbe stellt die sieben Werke der Barmherzigkeit dar, höchst lebensvoll und charakteristisch. Manche Köpfe und Arme lösen sich ganz von dein (blauen) Grunde ab, sodaß sie Schatten darauf werfen, was den Anblick lebendiger macht. (Abgüsse einzelner Köpfe in unserm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/475>, abgerufen am 22.07.2024.