Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

sich mit ihr befreunden. Was sollen Tcilcnt und Gelehrsamkeit, wo es gilt, den
Bauer zu unterrichten, Kranken- und Armenhäuser zu bauen n, s. w. ? Hierzu
gehört nur Herz, Opferfreudigkeit und jenes ehrenhafte Gefühl des echten Pa¬
triotismus. Basarow ist im Gegensatz hierzu als Held gedacht, Helden aber
sind jetzt überflüssig, und von Helden der Arbeit zu sprechen, wäre lächerlich.
Glänzende Erscheinungen in der Literatur haben wir kaum zu erwarten; die¬
jenigen, welche sich ins Getriebe der Politik werfen, werden nutzlos untergehen.
So liegen nun einmal die Dinge, doch können sich leider viele, zumal empfäng¬
liche, enthusiastische Frauen wie Sie, mit dieser bescheidnen Wirklichkeit nicht
aussöhnen. Was Sie auch immer mir schreiben -- Sie wollen sich begeistern,
sich hinreißen lassen, sich, wie Sie selber sagen, "ehrerbietig beugen." Bor
schlechthin tüchtigen, nützlichen Menschen jedoch, deren Zeit jetzt angebrochen ist,
beugt man sich nicht. Hoffen wir nur, daß dieser tüchtigen Männer recht
viele seien."

Im Anschluß an diese Bemerkungen analysirt Turgenjew die ihm von Fran
F. zugesandten Schriftstücke und weist Schritt für Schritt die Hohlheit der in
denselben ausgesprochenen Ideen nach. Namentlich ärgert ihn ein junger
Dichterling, den er spöttisch den "russischen Leo" nennt. Dieser geniale Jüngling
singt mit dein Brustton der Überzeugung nichtssagende Tirnden über die höchsten
sittlichen Probleme in die Welt hinaus, vermerkt bei Gedichten von zwölf Zeilen
den Tag, wo er sie begonnen, neben dein Datum der Vollendung, und behauptet
von sich selber mit kühner Stirn, daß er "im zwanzigsten Lebensjahre alle
Fragen der Wissenschaft und des Lebens gelöst habe." "Aus jungen Leuten dieser
Sorte, bemerkt Turgenjew, wird niemals etwas werden. Streifen Sie alle Phrasen
über sein eignes liebes Ich, das er hinter dem Ausdruck "Idee" versteckt,
herunter, und Sie werden sehen, was für eine Null übrigbleibt." Turgenjew
hat das ihm von Frau F. übersandte Material in seiner "Neuen Gene¬
ration" verwandt und anch dem "russischen Leo" in diesem Roman ein Denkmal
gesetzt.

Trüb und hoffnungslos erscheint dem Dichter die Zeit der "neuen Menschen"
und der dritten Abteilung. "Die Epoche, in der wir leben, schreibt er 1875
an deu Publizisten Snworin, ist widerwärtiger als jene, in der unsre Jugend
verging. Damals standen wir vor festverschlossener Thür; jetzt ist die Thür
ein wenig geöffnet worden, wir sehen, was dahinterliegt, und dürfen doch eben¬
sowenig hindurch wie vorher." Mit Freude begrüßt er dabei jedes Ereignis
in der Heimat, das ihm einen Fortschritt zu bezeugen scheint. Namentlich
wendet er sein ganzes Interesse der russischen Malerei zu, die mit hervor¬
ragenden Namen, wie Repiu, Wereschtschagin, Kramsloj n. die europäische
Kunstarena zu betreten begann. "Eine wahre Seclenfeier ists für mich, schreibt
er an Polonski, daß Talente in der russischen Kunst hervortreten. Endlich,
endlich!"


Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

sich mit ihr befreunden. Was sollen Tcilcnt und Gelehrsamkeit, wo es gilt, den
Bauer zu unterrichten, Kranken- und Armenhäuser zu bauen n, s. w. ? Hierzu
gehört nur Herz, Opferfreudigkeit und jenes ehrenhafte Gefühl des echten Pa¬
triotismus. Basarow ist im Gegensatz hierzu als Held gedacht, Helden aber
sind jetzt überflüssig, und von Helden der Arbeit zu sprechen, wäre lächerlich.
Glänzende Erscheinungen in der Literatur haben wir kaum zu erwarten; die¬
jenigen, welche sich ins Getriebe der Politik werfen, werden nutzlos untergehen.
So liegen nun einmal die Dinge, doch können sich leider viele, zumal empfäng¬
liche, enthusiastische Frauen wie Sie, mit dieser bescheidnen Wirklichkeit nicht
aussöhnen. Was Sie auch immer mir schreiben — Sie wollen sich begeistern,
sich hinreißen lassen, sich, wie Sie selber sagen, „ehrerbietig beugen." Bor
schlechthin tüchtigen, nützlichen Menschen jedoch, deren Zeit jetzt angebrochen ist,
beugt man sich nicht. Hoffen wir nur, daß dieser tüchtigen Männer recht
viele seien."

Im Anschluß an diese Bemerkungen analysirt Turgenjew die ihm von Fran
F. zugesandten Schriftstücke und weist Schritt für Schritt die Hohlheit der in
denselben ausgesprochenen Ideen nach. Namentlich ärgert ihn ein junger
Dichterling, den er spöttisch den „russischen Leo" nennt. Dieser geniale Jüngling
singt mit dein Brustton der Überzeugung nichtssagende Tirnden über die höchsten
sittlichen Probleme in die Welt hinaus, vermerkt bei Gedichten von zwölf Zeilen
den Tag, wo er sie begonnen, neben dein Datum der Vollendung, und behauptet
von sich selber mit kühner Stirn, daß er „im zwanzigsten Lebensjahre alle
Fragen der Wissenschaft und des Lebens gelöst habe." „Aus jungen Leuten dieser
Sorte, bemerkt Turgenjew, wird niemals etwas werden. Streifen Sie alle Phrasen
über sein eignes liebes Ich, das er hinter dem Ausdruck »Idee« versteckt,
herunter, und Sie werden sehen, was für eine Null übrigbleibt." Turgenjew
hat das ihm von Frau F. übersandte Material in seiner „Neuen Gene¬
ration" verwandt und anch dem „russischen Leo" in diesem Roman ein Denkmal
gesetzt.

Trüb und hoffnungslos erscheint dem Dichter die Zeit der „neuen Menschen"
und der dritten Abteilung. „Die Epoche, in der wir leben, schreibt er 1875
an deu Publizisten Snworin, ist widerwärtiger als jene, in der unsre Jugend
verging. Damals standen wir vor festverschlossener Thür; jetzt ist die Thür
ein wenig geöffnet worden, wir sehen, was dahinterliegt, und dürfen doch eben¬
sowenig hindurch wie vorher." Mit Freude begrüßt er dabei jedes Ereignis
in der Heimat, das ihm einen Fortschritt zu bezeugen scheint. Namentlich
wendet er sein ganzes Interesse der russischen Malerei zu, die mit hervor¬
ragenden Namen, wie Repiu, Wereschtschagin, Kramsloj n. die europäische
Kunstarena zu betreten begann. „Eine wahre Seclenfeier ists für mich, schreibt
er an Polonski, daß Talente in der russischen Kunst hervortreten. Endlich,
endlich!"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0472" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195861"/>
          <fw type="header" place="top"> Iwan Turgenjew in seinen Briefen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1651" prev="#ID_1650"> sich mit ihr befreunden. Was sollen Tcilcnt und Gelehrsamkeit, wo es gilt, den<lb/>
Bauer zu unterrichten, Kranken- und Armenhäuser zu bauen n, s. w. ? Hierzu<lb/>
gehört nur Herz, Opferfreudigkeit und jenes ehrenhafte Gefühl des echten Pa¬<lb/>
triotismus. Basarow ist im Gegensatz hierzu als Held gedacht, Helden aber<lb/>
sind jetzt überflüssig, und von Helden der Arbeit zu sprechen, wäre lächerlich.<lb/>
Glänzende Erscheinungen in der Literatur haben wir kaum zu erwarten; die¬<lb/>
jenigen, welche sich ins Getriebe der Politik werfen, werden nutzlos untergehen.<lb/>
So liegen nun einmal die Dinge, doch können sich leider viele, zumal empfäng¬<lb/>
liche, enthusiastische Frauen wie Sie, mit dieser bescheidnen Wirklichkeit nicht<lb/>
aussöhnen. Was Sie auch immer mir schreiben &#x2014; Sie wollen sich begeistern,<lb/>
sich hinreißen lassen, sich, wie Sie selber sagen, &#x201E;ehrerbietig beugen." Bor<lb/>
schlechthin tüchtigen, nützlichen Menschen jedoch, deren Zeit jetzt angebrochen ist,<lb/>
beugt man sich nicht. Hoffen wir nur, daß dieser tüchtigen Männer recht<lb/>
viele seien."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1652"> Im Anschluß an diese Bemerkungen analysirt Turgenjew die ihm von Fran<lb/>
F. zugesandten Schriftstücke und weist Schritt für Schritt die Hohlheit der in<lb/>
denselben ausgesprochenen Ideen nach. Namentlich ärgert ihn ein junger<lb/>
Dichterling, den er spöttisch den &#x201E;russischen Leo" nennt. Dieser geniale Jüngling<lb/>
singt mit dein Brustton der Überzeugung nichtssagende Tirnden über die höchsten<lb/>
sittlichen Probleme in die Welt hinaus, vermerkt bei Gedichten von zwölf Zeilen<lb/>
den Tag, wo er sie begonnen, neben dein Datum der Vollendung, und behauptet<lb/>
von sich selber mit kühner Stirn, daß er &#x201E;im zwanzigsten Lebensjahre alle<lb/>
Fragen der Wissenschaft und des Lebens gelöst habe." &#x201E;Aus jungen Leuten dieser<lb/>
Sorte, bemerkt Turgenjew, wird niemals etwas werden. Streifen Sie alle Phrasen<lb/>
über sein eignes liebes Ich, das er hinter dem Ausdruck »Idee« versteckt,<lb/>
herunter, und Sie werden sehen, was für eine Null übrigbleibt." Turgenjew<lb/>
hat das ihm von Frau F. übersandte Material in seiner &#x201E;Neuen Gene¬<lb/>
ration" verwandt und anch dem &#x201E;russischen Leo" in diesem Roman ein Denkmal<lb/>
gesetzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1653"> Trüb und hoffnungslos erscheint dem Dichter die Zeit der &#x201E;neuen Menschen"<lb/>
und der dritten Abteilung. &#x201E;Die Epoche, in der wir leben, schreibt er 1875<lb/>
an deu Publizisten Snworin, ist widerwärtiger als jene, in der unsre Jugend<lb/>
verging. Damals standen wir vor festverschlossener Thür; jetzt ist die Thür<lb/>
ein wenig geöffnet worden, wir sehen, was dahinterliegt, und dürfen doch eben¬<lb/>
sowenig hindurch wie vorher." Mit Freude begrüßt er dabei jedes Ereignis<lb/>
in der Heimat, das ihm einen Fortschritt zu bezeugen scheint. Namentlich<lb/>
wendet er sein ganzes Interesse der russischen Malerei zu, die mit hervor¬<lb/>
ragenden Namen, wie Repiu, Wereschtschagin, Kramsloj n. die europäische<lb/>
Kunstarena zu betreten begann. &#x201E;Eine wahre Seclenfeier ists für mich, schreibt<lb/>
er an Polonski, daß Talente in der russischen Kunst hervortreten. Endlich,<lb/>
endlich!"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0472] Iwan Turgenjew in seinen Briefen. sich mit ihr befreunden. Was sollen Tcilcnt und Gelehrsamkeit, wo es gilt, den Bauer zu unterrichten, Kranken- und Armenhäuser zu bauen n, s. w. ? Hierzu gehört nur Herz, Opferfreudigkeit und jenes ehrenhafte Gefühl des echten Pa¬ triotismus. Basarow ist im Gegensatz hierzu als Held gedacht, Helden aber sind jetzt überflüssig, und von Helden der Arbeit zu sprechen, wäre lächerlich. Glänzende Erscheinungen in der Literatur haben wir kaum zu erwarten; die¬ jenigen, welche sich ins Getriebe der Politik werfen, werden nutzlos untergehen. So liegen nun einmal die Dinge, doch können sich leider viele, zumal empfäng¬ liche, enthusiastische Frauen wie Sie, mit dieser bescheidnen Wirklichkeit nicht aussöhnen. Was Sie auch immer mir schreiben — Sie wollen sich begeistern, sich hinreißen lassen, sich, wie Sie selber sagen, „ehrerbietig beugen." Bor schlechthin tüchtigen, nützlichen Menschen jedoch, deren Zeit jetzt angebrochen ist, beugt man sich nicht. Hoffen wir nur, daß dieser tüchtigen Männer recht viele seien." Im Anschluß an diese Bemerkungen analysirt Turgenjew die ihm von Fran F. zugesandten Schriftstücke und weist Schritt für Schritt die Hohlheit der in denselben ausgesprochenen Ideen nach. Namentlich ärgert ihn ein junger Dichterling, den er spöttisch den „russischen Leo" nennt. Dieser geniale Jüngling singt mit dein Brustton der Überzeugung nichtssagende Tirnden über die höchsten sittlichen Probleme in die Welt hinaus, vermerkt bei Gedichten von zwölf Zeilen den Tag, wo er sie begonnen, neben dein Datum der Vollendung, und behauptet von sich selber mit kühner Stirn, daß er „im zwanzigsten Lebensjahre alle Fragen der Wissenschaft und des Lebens gelöst habe." „Aus jungen Leuten dieser Sorte, bemerkt Turgenjew, wird niemals etwas werden. Streifen Sie alle Phrasen über sein eignes liebes Ich, das er hinter dem Ausdruck »Idee« versteckt, herunter, und Sie werden sehen, was für eine Null übrigbleibt." Turgenjew hat das ihm von Frau F. übersandte Material in seiner „Neuen Gene¬ ration" verwandt und anch dem „russischen Leo" in diesem Roman ein Denkmal gesetzt. Trüb und hoffnungslos erscheint dem Dichter die Zeit der „neuen Menschen" und der dritten Abteilung. „Die Epoche, in der wir leben, schreibt er 1875 an deu Publizisten Snworin, ist widerwärtiger als jene, in der unsre Jugend verging. Damals standen wir vor festverschlossener Thür; jetzt ist die Thür ein wenig geöffnet worden, wir sehen, was dahinterliegt, und dürfen doch eben¬ sowenig hindurch wie vorher." Mit Freude begrüßt er dabei jedes Ereignis in der Heimat, das ihm einen Fortschritt zu bezeugen scheint. Namentlich wendet er sein ganzes Interesse der russischen Malerei zu, die mit hervor¬ ragenden Namen, wie Repiu, Wereschtschagin, Kramsloj n. die europäische Kunstarena zu betreten begann. „Eine wahre Seclenfeier ists für mich, schreibt er an Polonski, daß Talente in der russischen Kunst hervortreten. Endlich, endlich!"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/472
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/472>, abgerufen am 22.07.2024.