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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Entwürfe für das Reichsgerichtsgeba'nde in Leipzig.

italienischen Palaststils gehalten haben, ebensowenig Recht wie diejenigen, deren
Entwürfen historisch-ästhetische Studien zu gründe gelegt worden sind. Eine
Säulenvorhalle mit einem griechischen Tempelgiebel, eine Pilastcrstcllung, welche
zwei Stockwerke^zusammenfaßt, eine Kuppel in der Art des Florentiner Doms
und der Peterskirche oder ein Kuppeldach im Louvrestil sind gerade nicht
architektonische Bestandteile, welche zwingend auf ein Neichsgerichtsgebäude
hindeuten. Der in der Kuppel liegende Baugedanke, der im allgemeinen nur
die Herrschaft, die Majestät, die gebietende Macht und die alles überragende
Würde ausdrückt, ist von der großen Mehrzahl der konkurrirenden Künstler
als leitendes Motiv erfaßt worden. Man hat also für das Neichsgerichts¬
gebäude kein andres charakteristisches Merkzeichen finden können als vor zwei
Jahren für das Reichstagögebäude, obwohl beide Bauwerke in ihrer Bestimmung
keineswegs verwandt sind. Eine Annäherung zwischen ihnen ist nur durch den
zufälligen Umstand herbeigeführt worden, daß beide einen großen Sitzungssaal,
einen weitläufigen Apparat von Bureau- und Verwaltuugsrciumen, Reprüsen-
tations- und Wohnzimmer für die Präsidenten und sonstigen Beamten brauchen
und daß die Dimensionen der Bauplätze nicht sehr von einander verschieden
sind. Dieses zufällige Zusammentreffen hat die Mehrzahl der Bewerber ver¬
anlaßt, sich nicht mir in der Anordnung des Grundrisses, sondern auch in der
Gestaltung der äußeren Architektur an die beiden mit dem ersten Preise ge¬
krönten Entwürfe für das Neichstagsgebäude zu halten, und zwar so, daß
das in der Ausführung begriffene Projekt Wallots das Übergewicht über den
von Thiersch verfaßten Entwurf hat. Eine solche Ableitung wäre nur dann
zu tadeln, wenn jene beiden Pläne die Idee des Neichstagsgebäudcs so voll¬
kommen zum Ausdruck brächten, daß sich nichts andres darunter denken ließe.
Das ist aber nicht der Fall. Es ist Wallot ebensowenig wie Thiersch gelungen,
ihre Entwürfe so individuell zu gestalte", daß ihre Bestimmung keinem Zweifel
unterliegen kann. Die Schuld daran liegt nicht etwa in dem zu eng bemessenen
Umfange ihres persönlichen Könnens. Nur auf Grund einer Reihe von Ver¬
suchen und Erfahrungen läßt sich ein charakteristischer Typus für einen neuen
Baugedanken gewinnen. Man erinnere sich, einer wie langen Zeit es bedurft
hat, bis sich aus der römischen Profanbasilika die christliche Andachtshalle und
aus dieser wiederum die Kirche entwickelte. Im Vergleich zu dieser langen
Entwicklungszeit ist unser Jahrhundert garnicht einmal so unproduktiv, wie es
allgemein gescholten wird. Seit der Einrichtung der Eisenbahnen sind kaum
sechzig Jahre verflossen, und doch hat sich bereits für große Kopfstatioueu,
Empfangs- und Abfahrtshallen und für Bahnhofsgebäude ein allgemeiner,
charaktervoller Typus entfaltet, welcher die große Idee des Weltverkehrs in eine
architektonische Formel zusammenfaßt.

Es wäre also unbillig, wenn wir schon jetzt von unsern Architekten die
Schöpfung eines allgemeinverständlichen Typus für ein Neichstagsgebäude


Die Entwürfe für das Reichsgerichtsgeba'nde in Leipzig.

italienischen Palaststils gehalten haben, ebensowenig Recht wie diejenigen, deren
Entwürfen historisch-ästhetische Studien zu gründe gelegt worden sind. Eine
Säulenvorhalle mit einem griechischen Tempelgiebel, eine Pilastcrstcllung, welche
zwei Stockwerke^zusammenfaßt, eine Kuppel in der Art des Florentiner Doms
und der Peterskirche oder ein Kuppeldach im Louvrestil sind gerade nicht
architektonische Bestandteile, welche zwingend auf ein Neichsgerichtsgebäude
hindeuten. Der in der Kuppel liegende Baugedanke, der im allgemeinen nur
die Herrschaft, die Majestät, die gebietende Macht und die alles überragende
Würde ausdrückt, ist von der großen Mehrzahl der konkurrirenden Künstler
als leitendes Motiv erfaßt worden. Man hat also für das Neichsgerichts¬
gebäude kein andres charakteristisches Merkzeichen finden können als vor zwei
Jahren für das Reichstagögebäude, obwohl beide Bauwerke in ihrer Bestimmung
keineswegs verwandt sind. Eine Annäherung zwischen ihnen ist nur durch den
zufälligen Umstand herbeigeführt worden, daß beide einen großen Sitzungssaal,
einen weitläufigen Apparat von Bureau- und Verwaltuugsrciumen, Reprüsen-
tations- und Wohnzimmer für die Präsidenten und sonstigen Beamten brauchen
und daß die Dimensionen der Bauplätze nicht sehr von einander verschieden
sind. Dieses zufällige Zusammentreffen hat die Mehrzahl der Bewerber ver¬
anlaßt, sich nicht mir in der Anordnung des Grundrisses, sondern auch in der
Gestaltung der äußeren Architektur an die beiden mit dem ersten Preise ge¬
krönten Entwürfe für das Neichstagsgebäude zu halten, und zwar so, daß
das in der Ausführung begriffene Projekt Wallots das Übergewicht über den
von Thiersch verfaßten Entwurf hat. Eine solche Ableitung wäre nur dann
zu tadeln, wenn jene beiden Pläne die Idee des Neichstagsgebäudcs so voll¬
kommen zum Ausdruck brächten, daß sich nichts andres darunter denken ließe.
Das ist aber nicht der Fall. Es ist Wallot ebensowenig wie Thiersch gelungen,
ihre Entwürfe so individuell zu gestalte», daß ihre Bestimmung keinem Zweifel
unterliegen kann. Die Schuld daran liegt nicht etwa in dem zu eng bemessenen
Umfange ihres persönlichen Könnens. Nur auf Grund einer Reihe von Ver¬
suchen und Erfahrungen läßt sich ein charakteristischer Typus für einen neuen
Baugedanken gewinnen. Man erinnere sich, einer wie langen Zeit es bedurft
hat, bis sich aus der römischen Profanbasilika die christliche Andachtshalle und
aus dieser wiederum die Kirche entwickelte. Im Vergleich zu dieser langen
Entwicklungszeit ist unser Jahrhundert garnicht einmal so unproduktiv, wie es
allgemein gescholten wird. Seit der Einrichtung der Eisenbahnen sind kaum
sechzig Jahre verflossen, und doch hat sich bereits für große Kopfstatioueu,
Empfangs- und Abfahrtshallen und für Bahnhofsgebäude ein allgemeiner,
charaktervoller Typus entfaltet, welcher die große Idee des Weltverkehrs in eine
architektonische Formel zusammenfaßt.

Es wäre also unbillig, wenn wir schon jetzt von unsern Architekten die
Schöpfung eines allgemeinverständlichen Typus für ein Neichstagsgebäude


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[0047] Die Entwürfe für das Reichsgerichtsgeba'nde in Leipzig. italienischen Palaststils gehalten haben, ebensowenig Recht wie diejenigen, deren Entwürfen historisch-ästhetische Studien zu gründe gelegt worden sind. Eine Säulenvorhalle mit einem griechischen Tempelgiebel, eine Pilastcrstcllung, welche zwei Stockwerke^zusammenfaßt, eine Kuppel in der Art des Florentiner Doms und der Peterskirche oder ein Kuppeldach im Louvrestil sind gerade nicht architektonische Bestandteile, welche zwingend auf ein Neichsgerichtsgebäude hindeuten. Der in der Kuppel liegende Baugedanke, der im allgemeinen nur die Herrschaft, die Majestät, die gebietende Macht und die alles überragende Würde ausdrückt, ist von der großen Mehrzahl der konkurrirenden Künstler als leitendes Motiv erfaßt worden. Man hat also für das Neichsgerichts¬ gebäude kein andres charakteristisches Merkzeichen finden können als vor zwei Jahren für das Reichstagögebäude, obwohl beide Bauwerke in ihrer Bestimmung keineswegs verwandt sind. Eine Annäherung zwischen ihnen ist nur durch den zufälligen Umstand herbeigeführt worden, daß beide einen großen Sitzungssaal, einen weitläufigen Apparat von Bureau- und Verwaltuugsrciumen, Reprüsen- tations- und Wohnzimmer für die Präsidenten und sonstigen Beamten brauchen und daß die Dimensionen der Bauplätze nicht sehr von einander verschieden sind. Dieses zufällige Zusammentreffen hat die Mehrzahl der Bewerber ver¬ anlaßt, sich nicht mir in der Anordnung des Grundrisses, sondern auch in der Gestaltung der äußeren Architektur an die beiden mit dem ersten Preise ge¬ krönten Entwürfe für das Neichstagsgebäude zu halten, und zwar so, daß das in der Ausführung begriffene Projekt Wallots das Übergewicht über den von Thiersch verfaßten Entwurf hat. Eine solche Ableitung wäre nur dann zu tadeln, wenn jene beiden Pläne die Idee des Neichstagsgebäudcs so voll¬ kommen zum Ausdruck brächten, daß sich nichts andres darunter denken ließe. Das ist aber nicht der Fall. Es ist Wallot ebensowenig wie Thiersch gelungen, ihre Entwürfe so individuell zu gestalte», daß ihre Bestimmung keinem Zweifel unterliegen kann. Die Schuld daran liegt nicht etwa in dem zu eng bemessenen Umfange ihres persönlichen Könnens. Nur auf Grund einer Reihe von Ver¬ suchen und Erfahrungen läßt sich ein charakteristischer Typus für einen neuen Baugedanken gewinnen. Man erinnere sich, einer wie langen Zeit es bedurft hat, bis sich aus der römischen Profanbasilika die christliche Andachtshalle und aus dieser wiederum die Kirche entwickelte. Im Vergleich zu dieser langen Entwicklungszeit ist unser Jahrhundert garnicht einmal so unproduktiv, wie es allgemein gescholten wird. Seit der Einrichtung der Eisenbahnen sind kaum sechzig Jahre verflossen, und doch hat sich bereits für große Kopfstatioueu, Empfangs- und Abfahrtshallen und für Bahnhofsgebäude ein allgemeiner, charaktervoller Typus entfaltet, welcher die große Idee des Weltverkehrs in eine architektonische Formel zusammenfaßt. Es wäre also unbillig, wenn wir schon jetzt von unsern Architekten die Schöpfung eines allgemeinverständlichen Typus für ein Neichstagsgebäude

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/47>, abgerufen am 22.07.2024.