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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Criest,

bedeutenden Anhang findet, daß ihre Vertreter in dem städtischen Miniatur¬
parlamente, dem Stadträte, der zugleich Landtag der Stadt-Provinz ist, fast
die Hälfte der Sitze einnehmen. Wie in allen italienischen Städten, ist auch
in Trieft der Munizipalgeist ungemein entwickelt. Der Triestiner ist Lokal-
Patriot oxveUsiros. Es braucht nicht viel, um ihn zu überzeugen, daß alles
Unheil nur der stiefmütterlichen Behandlung vonseiten des Staates zuzuschreiben
ist. Politische und nationale Schlagworte thun bei einem südlich lebhaften
Volke das übrige, und so erklärt sich die Macht der Progressopartei in der
kommunalen Verwaltung. Obwohl die Opposition und ihre Presse bei ihren
Nörgeleien gegen die Negierung vor allem die iwlümitü. Triests betonen und
dabei gerne auf gewisse mysteriöse ^MÄÄoni, hinweisen, würde man den im
Stadträte perorirenden Catoncn der Linken doch Unrecht thun, wollte man sie
deshalb für offne oder verkappte Sezessionisten halten, denn um solchen Utopien
nachzujagen, sind die Leute viel zu gescheidt. Aber sie verstehen es, die gege¬
benen Verhältnisse in ihrem Interesse auszunutzen, und wenn sie namentlich
gegen die in neuester Zeit so markant hervortretenden slawischen Bestrebungen
energisch Front machen, so finden sie dabei anch außerhalb ihrer Partei Unter¬
stützung. Die Vorgänge in Böhmen beweisen zur Genüge, was die Slawen
unter der von ihnen geforderten "Gleichberechtigung" verstehen. Bis jetzt sind
die slawischen "Aspirationen" im Küstenlande noch kein Faktor geworden, mit dein
man ernstlich rechnen muß. Sollten dieselben jedoch wirkliche Bedeutung er¬
langen, etwa in dem Sinne, daß, wie die Prager "Politik" vor einiger Zeit
den freundlichen Rat gab, Stadt und Gebiet von Trieft administrativ mit Krain
zu vereinigen seien, so würde eine solche "Reform" nicht nur auf den Wider¬
stand der italienisch-liberalen, sondern auch auf den der konservativen Partei
und der durch Besitz und Intelligenz schwer ins Gewicht fallenden Deutschen
stoßen, welche sich durchaus keine Illusion darüber machen, daß der Slawismus
für sie nicht minder bedrohlich ist als für die Italiener im Küstenlande.

Eine Handelsstadt, für welche vor allem die materiellen Interessen ma߬
gebend sind, kann keinen geeigneten Boden für politische und nationale Phan¬
tastereien bieten. Das liegt auf der Hand. Die österreichische Negierung könnte
sich deshalb Glück wünschen, wenn alle ihre nationalen Schwierigkeiten so rasch
und leicht zu heben wären wie diejenigen Triests. Sie braucht für ihr großes,
allzeit getreues Handelsemporium an der Adricr nur zu thun, was die ungarische
Negierung für Fiume thut, und alle Klagen werden verstummen. Was Trieft
verlangt, ist keine Begünstigung auf Kosten andrer, wie z. B. die galizische
Flußregülirung, denn jeder der Stadt zugewandte Vorteil kommt zugleich
dem Reiche selbst zugute. Will Österreich seinen Handel nicht unheilbar schä¬
digen lassen, so muß es die Wünsche Triests zu befriedigen trachten. Wenn
man hier das Projekt einer deutschen Dampferlinie mit Trieft als Kopfstation
gleich bei seinem Auftauchen in allen urteilsfähigen Kreisen freudigst begrüßte,


Criest,

bedeutenden Anhang findet, daß ihre Vertreter in dem städtischen Miniatur¬
parlamente, dem Stadträte, der zugleich Landtag der Stadt-Provinz ist, fast
die Hälfte der Sitze einnehmen. Wie in allen italienischen Städten, ist auch
in Trieft der Munizipalgeist ungemein entwickelt. Der Triestiner ist Lokal-
Patriot oxveUsiros. Es braucht nicht viel, um ihn zu überzeugen, daß alles
Unheil nur der stiefmütterlichen Behandlung vonseiten des Staates zuzuschreiben
ist. Politische und nationale Schlagworte thun bei einem südlich lebhaften
Volke das übrige, und so erklärt sich die Macht der Progressopartei in der
kommunalen Verwaltung. Obwohl die Opposition und ihre Presse bei ihren
Nörgeleien gegen die Negierung vor allem die iwlümitü. Triests betonen und
dabei gerne auf gewisse mysteriöse ^MÄÄoni, hinweisen, würde man den im
Stadträte perorirenden Catoncn der Linken doch Unrecht thun, wollte man sie
deshalb für offne oder verkappte Sezessionisten halten, denn um solchen Utopien
nachzujagen, sind die Leute viel zu gescheidt. Aber sie verstehen es, die gege¬
benen Verhältnisse in ihrem Interesse auszunutzen, und wenn sie namentlich
gegen die in neuester Zeit so markant hervortretenden slawischen Bestrebungen
energisch Front machen, so finden sie dabei anch außerhalb ihrer Partei Unter¬
stützung. Die Vorgänge in Böhmen beweisen zur Genüge, was die Slawen
unter der von ihnen geforderten „Gleichberechtigung" verstehen. Bis jetzt sind
die slawischen „Aspirationen" im Küstenlande noch kein Faktor geworden, mit dein
man ernstlich rechnen muß. Sollten dieselben jedoch wirkliche Bedeutung er¬
langen, etwa in dem Sinne, daß, wie die Prager „Politik" vor einiger Zeit
den freundlichen Rat gab, Stadt und Gebiet von Trieft administrativ mit Krain
zu vereinigen seien, so würde eine solche „Reform" nicht nur auf den Wider¬
stand der italienisch-liberalen, sondern auch auf den der konservativen Partei
und der durch Besitz und Intelligenz schwer ins Gewicht fallenden Deutschen
stoßen, welche sich durchaus keine Illusion darüber machen, daß der Slawismus
für sie nicht minder bedrohlich ist als für die Italiener im Küstenlande.

Eine Handelsstadt, für welche vor allem die materiellen Interessen ma߬
gebend sind, kann keinen geeigneten Boden für politische und nationale Phan¬
tastereien bieten. Das liegt auf der Hand. Die österreichische Negierung könnte
sich deshalb Glück wünschen, wenn alle ihre nationalen Schwierigkeiten so rasch
und leicht zu heben wären wie diejenigen Triests. Sie braucht für ihr großes,
allzeit getreues Handelsemporium an der Adricr nur zu thun, was die ungarische
Negierung für Fiume thut, und alle Klagen werden verstummen. Was Trieft
verlangt, ist keine Begünstigung auf Kosten andrer, wie z. B. die galizische
Flußregülirung, denn jeder der Stadt zugewandte Vorteil kommt zugleich
dem Reiche selbst zugute. Will Österreich seinen Handel nicht unheilbar schä¬
digen lassen, so muß es die Wünsche Triests zu befriedigen trachten. Wenn
man hier das Projekt einer deutschen Dampferlinie mit Trieft als Kopfstation
gleich bei seinem Auftauchen in allen urteilsfähigen Kreisen freudigst begrüßte,


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[0467] Criest, bedeutenden Anhang findet, daß ihre Vertreter in dem städtischen Miniatur¬ parlamente, dem Stadträte, der zugleich Landtag der Stadt-Provinz ist, fast die Hälfte der Sitze einnehmen. Wie in allen italienischen Städten, ist auch in Trieft der Munizipalgeist ungemein entwickelt. Der Triestiner ist Lokal- Patriot oxveUsiros. Es braucht nicht viel, um ihn zu überzeugen, daß alles Unheil nur der stiefmütterlichen Behandlung vonseiten des Staates zuzuschreiben ist. Politische und nationale Schlagworte thun bei einem südlich lebhaften Volke das übrige, und so erklärt sich die Macht der Progressopartei in der kommunalen Verwaltung. Obwohl die Opposition und ihre Presse bei ihren Nörgeleien gegen die Negierung vor allem die iwlümitü. Triests betonen und dabei gerne auf gewisse mysteriöse ^MÄÄoni, hinweisen, würde man den im Stadträte perorirenden Catoncn der Linken doch Unrecht thun, wollte man sie deshalb für offne oder verkappte Sezessionisten halten, denn um solchen Utopien nachzujagen, sind die Leute viel zu gescheidt. Aber sie verstehen es, die gege¬ benen Verhältnisse in ihrem Interesse auszunutzen, und wenn sie namentlich gegen die in neuester Zeit so markant hervortretenden slawischen Bestrebungen energisch Front machen, so finden sie dabei anch außerhalb ihrer Partei Unter¬ stützung. Die Vorgänge in Böhmen beweisen zur Genüge, was die Slawen unter der von ihnen geforderten „Gleichberechtigung" verstehen. Bis jetzt sind die slawischen „Aspirationen" im Küstenlande noch kein Faktor geworden, mit dein man ernstlich rechnen muß. Sollten dieselben jedoch wirkliche Bedeutung er¬ langen, etwa in dem Sinne, daß, wie die Prager „Politik" vor einiger Zeit den freundlichen Rat gab, Stadt und Gebiet von Trieft administrativ mit Krain zu vereinigen seien, so würde eine solche „Reform" nicht nur auf den Wider¬ stand der italienisch-liberalen, sondern auch auf den der konservativen Partei und der durch Besitz und Intelligenz schwer ins Gewicht fallenden Deutschen stoßen, welche sich durchaus keine Illusion darüber machen, daß der Slawismus für sie nicht minder bedrohlich ist als für die Italiener im Küstenlande. Eine Handelsstadt, für welche vor allem die materiellen Interessen ma߬ gebend sind, kann keinen geeigneten Boden für politische und nationale Phan¬ tastereien bieten. Das liegt auf der Hand. Die österreichische Negierung könnte sich deshalb Glück wünschen, wenn alle ihre nationalen Schwierigkeiten so rasch und leicht zu heben wären wie diejenigen Triests. Sie braucht für ihr großes, allzeit getreues Handelsemporium an der Adricr nur zu thun, was die ungarische Negierung für Fiume thut, und alle Klagen werden verstummen. Was Trieft verlangt, ist keine Begünstigung auf Kosten andrer, wie z. B. die galizische Flußregülirung, denn jeder der Stadt zugewandte Vorteil kommt zugleich dem Reiche selbst zugute. Will Österreich seinen Handel nicht unheilbar schä¬ digen lassen, so muß es die Wünsche Triests zu befriedigen trachten. Wenn man hier das Projekt einer deutschen Dampferlinie mit Trieft als Kopfstation gleich bei seinem Auftauchen in allen urteilsfähigen Kreisen freudigst begrüßte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/467>, abgerufen am 22.07.2024.