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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Trieft.

gestaltung der Verhältnisse würde sich ergeben, wenn die Stadt einmal im Be¬
sitze ihrer unentbehrlichen Bahnverbindungen wäre! Doch damit hat es, wie es
scheint, noch gute Wege.

Eine andre Ursache des Mißbehagens ist nicht lokaler, sondern allgemeiner
Natur. Sie liegt in den traurigen österreichischen Valntaverhältnissen, die sich
naturgemäß nirgends lebhafter fühlbar machen, als in einer ans den Verkehr
mit dem Auslande angewiesenen See- und Handelsstadt. Wie soll und kann
sich der Kaufmann auf weittragende Unternehmungen einlassen, wenn er niemals
weiß, wieviel sein Geld in zwei, drei Monaten wert sein wird? Weiß er doch
nicht einmal mit Bestimmtheit zu sagen, wieviel er morgen in seinem Vermögen
besitzt! In Asien geraten Russen und Afghanen ans "Mißverständnis" aneinander,
und auf der Triester Börse schnellt plötzlich der Kurs auf London von 123
auf 126 empor. Für den österreichischen Fabrikanten, der seine Erzeugnisse an
das Ausland verkauft, während er das Rohmaterial und feine Arbeiter in
österreichischem Gelde bezahlt, desgleichen für den ungarischen Viehzüchter und
Landwirt mag ein durch das hohe Disagio geschaffener Schutzzoll sein An¬
genehmes haben; für den Triester Kaufmann ist er ein Krebsschaden. Wie soll
unter solchen Umständen der Triester Handel jene Rührigkeit bekunden, deren
Mangel man ihm so gern zum Vorwurfe macht? Es ist wahr, daß sich hier
von dem Expansivnsdrange, wie er dem deutschen und dem englischen Handel eigen
ist, mir wenig verspüren läßt. Es fehlt und fehlte an energischen kaufmännischen
Pionieren, die hinausziehen in die Fremde, um auf den entferntesten Punkten
der Erde Handelsverbindungen mit der Heimat anzuknüpfen. Aber was nützen
die eifrigsten Bestrebungen, wenn die Basis alles kaufmännischen Verkehrs, ein
festes Geldwesen, mangelt? Seit 1866 hat Österreich, das "Bischen Herzego¬
wina" abgerechnet, keinen Krieg geführt, und doch muß es hente für 100 Mark
anstatt 50 Gulden 61 Gulden zahlen! Solange die Valuta nicht geregelt ist,
wird der österreichische Handel stets von der Hand in den Mund leben, vor
allem in einer Seestadt, die der Natur der Sache nach nur Handelsstadt
sein kann, wo alles mit dem Handel zusammenhängt, und der Rückgang in den
Geschäften bis in die untersten Schichten seinen nachteiligen Einfluß ausübt.
Andre Handelsstädte sind zugleich mehr oder minder bedeutende Jndustrieplcitze;
Trieft ist einer industriellen Entwicklung in größerm Stile absolut unfähig,
weil ihm die zwei wichtigsten Vorbedingungen hierzu, Wasserkraft und Kohle,
vollständig abgehen. Es sieht seinen Handel sich von Jahr zu Jahr vermindern;
einen anderweitigen Ersatz dafür zu finden, ist unmöglich. Wo soll da eine
hoffnungsfreudige Stimmung herkommen?

Wer sich in einer unbehaglichen Lage fühlt, ist stets bereit, demjenigen
williges Ohr zu leihen, der ihm eine Wendung zum Bessern in Aussicht stellt.
Dies ist ohne Zweifel eine der Hauptursachen, weshalb die Partei, welche sich
hier die liberale und italienisch-nationale nennt, in der Bevölkerung einen so


Trieft.

gestaltung der Verhältnisse würde sich ergeben, wenn die Stadt einmal im Be¬
sitze ihrer unentbehrlichen Bahnverbindungen wäre! Doch damit hat es, wie es
scheint, noch gute Wege.

Eine andre Ursache des Mißbehagens ist nicht lokaler, sondern allgemeiner
Natur. Sie liegt in den traurigen österreichischen Valntaverhältnissen, die sich
naturgemäß nirgends lebhafter fühlbar machen, als in einer ans den Verkehr
mit dem Auslande angewiesenen See- und Handelsstadt. Wie soll und kann
sich der Kaufmann auf weittragende Unternehmungen einlassen, wenn er niemals
weiß, wieviel sein Geld in zwei, drei Monaten wert sein wird? Weiß er doch
nicht einmal mit Bestimmtheit zu sagen, wieviel er morgen in seinem Vermögen
besitzt! In Asien geraten Russen und Afghanen ans „Mißverständnis" aneinander,
und auf der Triester Börse schnellt plötzlich der Kurs auf London von 123
auf 126 empor. Für den österreichischen Fabrikanten, der seine Erzeugnisse an
das Ausland verkauft, während er das Rohmaterial und feine Arbeiter in
österreichischem Gelde bezahlt, desgleichen für den ungarischen Viehzüchter und
Landwirt mag ein durch das hohe Disagio geschaffener Schutzzoll sein An¬
genehmes haben; für den Triester Kaufmann ist er ein Krebsschaden. Wie soll
unter solchen Umständen der Triester Handel jene Rührigkeit bekunden, deren
Mangel man ihm so gern zum Vorwurfe macht? Es ist wahr, daß sich hier
von dem Expansivnsdrange, wie er dem deutschen und dem englischen Handel eigen
ist, mir wenig verspüren läßt. Es fehlt und fehlte an energischen kaufmännischen
Pionieren, die hinausziehen in die Fremde, um auf den entferntesten Punkten
der Erde Handelsverbindungen mit der Heimat anzuknüpfen. Aber was nützen
die eifrigsten Bestrebungen, wenn die Basis alles kaufmännischen Verkehrs, ein
festes Geldwesen, mangelt? Seit 1866 hat Österreich, das „Bischen Herzego¬
wina" abgerechnet, keinen Krieg geführt, und doch muß es hente für 100 Mark
anstatt 50 Gulden 61 Gulden zahlen! Solange die Valuta nicht geregelt ist,
wird der österreichische Handel stets von der Hand in den Mund leben, vor
allem in einer Seestadt, die der Natur der Sache nach nur Handelsstadt
sein kann, wo alles mit dem Handel zusammenhängt, und der Rückgang in den
Geschäften bis in die untersten Schichten seinen nachteiligen Einfluß ausübt.
Andre Handelsstädte sind zugleich mehr oder minder bedeutende Jndustrieplcitze;
Trieft ist einer industriellen Entwicklung in größerm Stile absolut unfähig,
weil ihm die zwei wichtigsten Vorbedingungen hierzu, Wasserkraft und Kohle,
vollständig abgehen. Es sieht seinen Handel sich von Jahr zu Jahr vermindern;
einen anderweitigen Ersatz dafür zu finden, ist unmöglich. Wo soll da eine
hoffnungsfreudige Stimmung herkommen?

Wer sich in einer unbehaglichen Lage fühlt, ist stets bereit, demjenigen
williges Ohr zu leihen, der ihm eine Wendung zum Bessern in Aussicht stellt.
Dies ist ohne Zweifel eine der Hauptursachen, weshalb die Partei, welche sich
hier die liberale und italienisch-nationale nennt, in der Bevölkerung einen so


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[0466] Trieft. gestaltung der Verhältnisse würde sich ergeben, wenn die Stadt einmal im Be¬ sitze ihrer unentbehrlichen Bahnverbindungen wäre! Doch damit hat es, wie es scheint, noch gute Wege. Eine andre Ursache des Mißbehagens ist nicht lokaler, sondern allgemeiner Natur. Sie liegt in den traurigen österreichischen Valntaverhältnissen, die sich naturgemäß nirgends lebhafter fühlbar machen, als in einer ans den Verkehr mit dem Auslande angewiesenen See- und Handelsstadt. Wie soll und kann sich der Kaufmann auf weittragende Unternehmungen einlassen, wenn er niemals weiß, wieviel sein Geld in zwei, drei Monaten wert sein wird? Weiß er doch nicht einmal mit Bestimmtheit zu sagen, wieviel er morgen in seinem Vermögen besitzt! In Asien geraten Russen und Afghanen ans „Mißverständnis" aneinander, und auf der Triester Börse schnellt plötzlich der Kurs auf London von 123 auf 126 empor. Für den österreichischen Fabrikanten, der seine Erzeugnisse an das Ausland verkauft, während er das Rohmaterial und feine Arbeiter in österreichischem Gelde bezahlt, desgleichen für den ungarischen Viehzüchter und Landwirt mag ein durch das hohe Disagio geschaffener Schutzzoll sein An¬ genehmes haben; für den Triester Kaufmann ist er ein Krebsschaden. Wie soll unter solchen Umständen der Triester Handel jene Rührigkeit bekunden, deren Mangel man ihm so gern zum Vorwurfe macht? Es ist wahr, daß sich hier von dem Expansivnsdrange, wie er dem deutschen und dem englischen Handel eigen ist, mir wenig verspüren läßt. Es fehlt und fehlte an energischen kaufmännischen Pionieren, die hinausziehen in die Fremde, um auf den entferntesten Punkten der Erde Handelsverbindungen mit der Heimat anzuknüpfen. Aber was nützen die eifrigsten Bestrebungen, wenn die Basis alles kaufmännischen Verkehrs, ein festes Geldwesen, mangelt? Seit 1866 hat Österreich, das „Bischen Herzego¬ wina" abgerechnet, keinen Krieg geführt, und doch muß es hente für 100 Mark anstatt 50 Gulden 61 Gulden zahlen! Solange die Valuta nicht geregelt ist, wird der österreichische Handel stets von der Hand in den Mund leben, vor allem in einer Seestadt, die der Natur der Sache nach nur Handelsstadt sein kann, wo alles mit dem Handel zusammenhängt, und der Rückgang in den Geschäften bis in die untersten Schichten seinen nachteiligen Einfluß ausübt. Andre Handelsstädte sind zugleich mehr oder minder bedeutende Jndustrieplcitze; Trieft ist einer industriellen Entwicklung in größerm Stile absolut unfähig, weil ihm die zwei wichtigsten Vorbedingungen hierzu, Wasserkraft und Kohle, vollständig abgehen. Es sieht seinen Handel sich von Jahr zu Jahr vermindern; einen anderweitigen Ersatz dafür zu finden, ist unmöglich. Wo soll da eine hoffnungsfreudige Stimmung herkommen? Wer sich in einer unbehaglichen Lage fühlt, ist stets bereit, demjenigen williges Ohr zu leihen, der ihm eine Wendung zum Bessern in Aussicht stellt. Dies ist ohne Zweifel eine der Hauptursachen, weshalb die Partei, welche sich hier die liberale und italienisch-nationale nennt, in der Bevölkerung einen so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/466>, abgerufen am 22.07.2024.