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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Trieft.

sonders mehr oder minder verkappte Jrredentisten. Es dürfte deshalb wohl
am Platze sein, hier auch gleich darzulegen, wie es um die Sache steht.

In einem Lande wie Osterreich, wo seit Jahrzehnten die Nationalität das
A und O des öffentlichen Lebens bildet, ist es ein ungemein dankbares Geschäft,
sich als Vorkämpfer irgendeiner "unterdrückten" Nationalität aufzuspielen. Es
bedarf hierzu uur eines guten Mundwerkes, gesunder Ellbogen und einer kecken
Stirne; Wissen und Gewissen sind dabei Nebensache. Daß diese Industrie auch
in Trieft ihre Vertreter fand, kann nicht befremden. An Strebern, Bieder¬
männern ü. 1", Rabagas, die mit Erfolg auf die leichteutflammbare Jugend und
auf die urteilslose Menge spekuliren, ist hier ebensowenig Mangel als anderswo.
Aus diesen Kreisen, verstärkt durch revolutionäre Elemente drüben in Italien
und unter den hier lebenden Staatsangehörigen des Königreiches, rekrutircn sich
jene "Märtyrer," welche als Emigranten die florumhüllten Fahnen Triests und
Trients in Rom spazieren tragen oder hier, ein bischen Verschwörung spielend,
ab und zu einmal eine Petarde platzen lassen. Die Leute sind teils Phantasten
oder Fanatiker ^ la, Oberdank, teils "eatilinarische" Existenzen, die im Trüben zu
fischen hoffen. Von wirklicher Bedeutung sind sie nicht. Dafür daß bei der
weitaus überlegenen Mehrheit der Triestiner italienischer Zunge jene krhpto-
sezessionistischen Bestrebungen niemals Wurzel geschlagen haben und niemals
Wurzel schlagen werden, sprechen handgreifliche Gründe. Man denke sich einmal
Trieft mit seinem schmalen Gebiete von Österreich oder dem Staatengebilde,
welches infolge eines europäischen Krieges vielleicht an dessen Stelle getreten
wäre, getrennt und zu Italien geschlagen. Die unvermeidliche Folge wäre der
sofortige Ruin der Stadt, denn eine große See- und Handelsstadt ohne weites,
kvnsumfähiges Hinterland ist einfach ein Unding. In dieser Beziehung ist die
kurze Zeit, während welcher Trieft von Österreich getrennt war, ungemein lehr¬
reich. Zu Anfang des Jahrhunderts zählte die Stadt samt Gebiet 40 862 Ein¬
wohner. Unter der französischen Herrschaft sank die Zahl rasch auf 20633,
also auf die Hälfte herab! Dafür stieg sie bis zum Jahre 1819 wieder auf
43087. Solche Zahlen sprechen! Für Italien selbst aber wäre die Erwerbung
Triests das schlimmste aller Danaergeschenke, denn abgesehen davon, daß die
beiden Nachbarstädte, Trieft und das nur von seiner Schönheit und seiner Ver¬
gangenheit lebende Venedig, an Elend Wetteifer" könnten, bekäme das junge
Königreich auch noch die unmittelbare Nachbarschaft des liebenswürdigen Slawen¬
tums. Das alles ist so in die Augen springend, daß es keiner weitern Be¬
gründung bedarf. Wie sollten also vernünftige Leute. Kaufleute, die sich berufs¬
mäßig aufs Rechnen verstehen, auch bei der entschiedensten italienisch-nationalen
Gesinnung sür sezessionistische Bestrebungen begeistern können?

Wenn somit der Triester Jrredentismns, oder richtiger das, was von irr-
dentistischen Velleitäten hier vielleicht in gewissen Köpfen spuken mag, durch
seine Bedeutungslosigkeit als politischer Faktor garnicht in Betracht gezogen


Trieft.

sonders mehr oder minder verkappte Jrredentisten. Es dürfte deshalb wohl
am Platze sein, hier auch gleich darzulegen, wie es um die Sache steht.

In einem Lande wie Osterreich, wo seit Jahrzehnten die Nationalität das
A und O des öffentlichen Lebens bildet, ist es ein ungemein dankbares Geschäft,
sich als Vorkämpfer irgendeiner „unterdrückten" Nationalität aufzuspielen. Es
bedarf hierzu uur eines guten Mundwerkes, gesunder Ellbogen und einer kecken
Stirne; Wissen und Gewissen sind dabei Nebensache. Daß diese Industrie auch
in Trieft ihre Vertreter fand, kann nicht befremden. An Strebern, Bieder¬
männern ü. 1», Rabagas, die mit Erfolg auf die leichteutflammbare Jugend und
auf die urteilslose Menge spekuliren, ist hier ebensowenig Mangel als anderswo.
Aus diesen Kreisen, verstärkt durch revolutionäre Elemente drüben in Italien
und unter den hier lebenden Staatsangehörigen des Königreiches, rekrutircn sich
jene „Märtyrer," welche als Emigranten die florumhüllten Fahnen Triests und
Trients in Rom spazieren tragen oder hier, ein bischen Verschwörung spielend,
ab und zu einmal eine Petarde platzen lassen. Die Leute sind teils Phantasten
oder Fanatiker ^ la, Oberdank, teils „eatilinarische" Existenzen, die im Trüben zu
fischen hoffen. Von wirklicher Bedeutung sind sie nicht. Dafür daß bei der
weitaus überlegenen Mehrheit der Triestiner italienischer Zunge jene krhpto-
sezessionistischen Bestrebungen niemals Wurzel geschlagen haben und niemals
Wurzel schlagen werden, sprechen handgreifliche Gründe. Man denke sich einmal
Trieft mit seinem schmalen Gebiete von Österreich oder dem Staatengebilde,
welches infolge eines europäischen Krieges vielleicht an dessen Stelle getreten
wäre, getrennt und zu Italien geschlagen. Die unvermeidliche Folge wäre der
sofortige Ruin der Stadt, denn eine große See- und Handelsstadt ohne weites,
kvnsumfähiges Hinterland ist einfach ein Unding. In dieser Beziehung ist die
kurze Zeit, während welcher Trieft von Österreich getrennt war, ungemein lehr¬
reich. Zu Anfang des Jahrhunderts zählte die Stadt samt Gebiet 40 862 Ein¬
wohner. Unter der französischen Herrschaft sank die Zahl rasch auf 20633,
also auf die Hälfte herab! Dafür stieg sie bis zum Jahre 1819 wieder auf
43087. Solche Zahlen sprechen! Für Italien selbst aber wäre die Erwerbung
Triests das schlimmste aller Danaergeschenke, denn abgesehen davon, daß die
beiden Nachbarstädte, Trieft und das nur von seiner Schönheit und seiner Ver¬
gangenheit lebende Venedig, an Elend Wetteifer» könnten, bekäme das junge
Königreich auch noch die unmittelbare Nachbarschaft des liebenswürdigen Slawen¬
tums. Das alles ist so in die Augen springend, daß es keiner weitern Be¬
gründung bedarf. Wie sollten also vernünftige Leute. Kaufleute, die sich berufs¬
mäßig aufs Rechnen verstehen, auch bei der entschiedensten italienisch-nationalen
Gesinnung sür sezessionistische Bestrebungen begeistern können?

Wenn somit der Triester Jrredentismns, oder richtiger das, was von irr-
dentistischen Velleitäten hier vielleicht in gewissen Köpfen spuken mag, durch
seine Bedeutungslosigkeit als politischer Faktor garnicht in Betracht gezogen


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[0464] Trieft. sonders mehr oder minder verkappte Jrredentisten. Es dürfte deshalb wohl am Platze sein, hier auch gleich darzulegen, wie es um die Sache steht. In einem Lande wie Osterreich, wo seit Jahrzehnten die Nationalität das A und O des öffentlichen Lebens bildet, ist es ein ungemein dankbares Geschäft, sich als Vorkämpfer irgendeiner „unterdrückten" Nationalität aufzuspielen. Es bedarf hierzu uur eines guten Mundwerkes, gesunder Ellbogen und einer kecken Stirne; Wissen und Gewissen sind dabei Nebensache. Daß diese Industrie auch in Trieft ihre Vertreter fand, kann nicht befremden. An Strebern, Bieder¬ männern ü. 1», Rabagas, die mit Erfolg auf die leichteutflammbare Jugend und auf die urteilslose Menge spekuliren, ist hier ebensowenig Mangel als anderswo. Aus diesen Kreisen, verstärkt durch revolutionäre Elemente drüben in Italien und unter den hier lebenden Staatsangehörigen des Königreiches, rekrutircn sich jene „Märtyrer," welche als Emigranten die florumhüllten Fahnen Triests und Trients in Rom spazieren tragen oder hier, ein bischen Verschwörung spielend, ab und zu einmal eine Petarde platzen lassen. Die Leute sind teils Phantasten oder Fanatiker ^ la, Oberdank, teils „eatilinarische" Existenzen, die im Trüben zu fischen hoffen. Von wirklicher Bedeutung sind sie nicht. Dafür daß bei der weitaus überlegenen Mehrheit der Triestiner italienischer Zunge jene krhpto- sezessionistischen Bestrebungen niemals Wurzel geschlagen haben und niemals Wurzel schlagen werden, sprechen handgreifliche Gründe. Man denke sich einmal Trieft mit seinem schmalen Gebiete von Österreich oder dem Staatengebilde, welches infolge eines europäischen Krieges vielleicht an dessen Stelle getreten wäre, getrennt und zu Italien geschlagen. Die unvermeidliche Folge wäre der sofortige Ruin der Stadt, denn eine große See- und Handelsstadt ohne weites, kvnsumfähiges Hinterland ist einfach ein Unding. In dieser Beziehung ist die kurze Zeit, während welcher Trieft von Österreich getrennt war, ungemein lehr¬ reich. Zu Anfang des Jahrhunderts zählte die Stadt samt Gebiet 40 862 Ein¬ wohner. Unter der französischen Herrschaft sank die Zahl rasch auf 20633, also auf die Hälfte herab! Dafür stieg sie bis zum Jahre 1819 wieder auf 43087. Solche Zahlen sprechen! Für Italien selbst aber wäre die Erwerbung Triests das schlimmste aller Danaergeschenke, denn abgesehen davon, daß die beiden Nachbarstädte, Trieft und das nur von seiner Schönheit und seiner Ver¬ gangenheit lebende Venedig, an Elend Wetteifer» könnten, bekäme das junge Königreich auch noch die unmittelbare Nachbarschaft des liebenswürdigen Slawen¬ tums. Das alles ist so in die Augen springend, daß es keiner weitern Be¬ gründung bedarf. Wie sollten also vernünftige Leute. Kaufleute, die sich berufs¬ mäßig aufs Rechnen verstehen, auch bei der entschiedensten italienisch-nationalen Gesinnung sür sezessionistische Bestrebungen begeistern können? Wenn somit der Triester Jrredentismns, oder richtiger das, was von irr- dentistischen Velleitäten hier vielleicht in gewissen Köpfen spuken mag, durch seine Bedeutungslosigkeit als politischer Faktor garnicht in Betracht gezogen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/464>, abgerufen am 22.07.2024.