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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gute Leute -- schlechte Musikanten.

Und nun ward -- mein Lied, es sträubt sich,
Seiner Martern grauenvolle
Einzelheiten treu zu schildern! --
Und nun ward mit starken Nägeln,
Die durch Hand' und Fuß' ihm drangen,
Der Erlöser angeheftet
An das Kreuz auf Golgatha. (S, 229.)

Es mögen einzelne bessere Verse in dem "Epos" vorkommen, aber der
Tenor des Ganzen gleicht den angeführten Stellen. -- Ein wenig, aber auch nur
ein wenig günstiger stellt sich das Urteil über die Dichtung "Der Heiland,"
die den Stoff in einer Folge von einzelnen Gedichten -- sechzig, wenn wir
recht gezählt haben -- behandelt, und hie und da einmal einen ansprechenden
Laut oder ein anschauliches Bild hat. Im ganzen zeigt sich aber auch hier die
Ohnmacht des Dilettantismus. Mail denke an die große Zahl inniger, tiefer,
schöner Weihnachtslieder und Bilder und vergleiche damit, wie Herr Langen
nach Luk. 2 die Geburt des Heilandes "poetisch" darstellt:


[Beginn Spaltensatz] Vom Kaiser war der Spruch ergangen,
Daß man ihm zählen sollt' das Reich;
Da gab's im Land ein großes Wandern,
Zum Stamme kehrt' ein jeder Zweig. Auch Joseph und Maria zogen
Zur Zeit von Galiläa aus,
Gen Bethlem lenkten sie die Schritte,
Weil sie aus König Davids Haus. [Spaltenumbruch] Und als sie kamen zu dem Orte,
Saß in der Herberg Gast bei Gast;
Ein Lager war nur noch im Stalle,
Den wählten müde sie zur Rast. Und in der Nacht geschah das Wunder:
Den Herrn gebar die Jungfrau rein!
Das Kindlein barg sie in der Krippe --
Den Gottessohn auf hartem Stein. [Ende Spaltensatz]

Und das Will Poesie, will religiöse Poesie sein, will sich in Herz und Sinn
einprägen, will erwecken und erbauen, will womöglich den Unglauben und den
Materialismus der Zeit überwinden helfen! Gute Leute -- schlechte Musikanten;
wir aber brauchen gute oder keine Musik und werden, wenn es sein muß, noch
tausendmal wiederholen, daß die beste Absicht dergleichen Stammeln nicht zur
Dichtung erhebt.




Gute Leute — schlechte Musikanten.

Und nun ward — mein Lied, es sträubt sich,
Seiner Martern grauenvolle
Einzelheiten treu zu schildern! —
Und nun ward mit starken Nägeln,
Die durch Hand' und Fuß' ihm drangen,
Der Erlöser angeheftet
An das Kreuz auf Golgatha. (S, 229.)

Es mögen einzelne bessere Verse in dem „Epos" vorkommen, aber der
Tenor des Ganzen gleicht den angeführten Stellen. — Ein wenig, aber auch nur
ein wenig günstiger stellt sich das Urteil über die Dichtung „Der Heiland,"
die den Stoff in einer Folge von einzelnen Gedichten — sechzig, wenn wir
recht gezählt haben — behandelt, und hie und da einmal einen ansprechenden
Laut oder ein anschauliches Bild hat. Im ganzen zeigt sich aber auch hier die
Ohnmacht des Dilettantismus. Mail denke an die große Zahl inniger, tiefer,
schöner Weihnachtslieder und Bilder und vergleiche damit, wie Herr Langen
nach Luk. 2 die Geburt des Heilandes „poetisch" darstellt:


[Beginn Spaltensatz] Vom Kaiser war der Spruch ergangen,
Daß man ihm zählen sollt' das Reich;
Da gab's im Land ein großes Wandern,
Zum Stamme kehrt' ein jeder Zweig. Auch Joseph und Maria zogen
Zur Zeit von Galiläa aus,
Gen Bethlem lenkten sie die Schritte,
Weil sie aus König Davids Haus. [Spaltenumbruch] Und als sie kamen zu dem Orte,
Saß in der Herberg Gast bei Gast;
Ein Lager war nur noch im Stalle,
Den wählten müde sie zur Rast. Und in der Nacht geschah das Wunder:
Den Herrn gebar die Jungfrau rein!
Das Kindlein barg sie in der Krippe —
Den Gottessohn auf hartem Stein. [Ende Spaltensatz]

Und das Will Poesie, will religiöse Poesie sein, will sich in Herz und Sinn
einprägen, will erwecken und erbauen, will womöglich den Unglauben und den
Materialismus der Zeit überwinden helfen! Gute Leute — schlechte Musikanten;
wir aber brauchen gute oder keine Musik und werden, wenn es sein muß, noch
tausendmal wiederholen, daß die beste Absicht dergleichen Stammeln nicht zur
Dichtung erhebt.




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[0429] Gute Leute — schlechte Musikanten. Und nun ward — mein Lied, es sträubt sich, Seiner Martern grauenvolle Einzelheiten treu zu schildern! — Und nun ward mit starken Nägeln, Die durch Hand' und Fuß' ihm drangen, Der Erlöser angeheftet An das Kreuz auf Golgatha. (S, 229.) Es mögen einzelne bessere Verse in dem „Epos" vorkommen, aber der Tenor des Ganzen gleicht den angeführten Stellen. — Ein wenig, aber auch nur ein wenig günstiger stellt sich das Urteil über die Dichtung „Der Heiland," die den Stoff in einer Folge von einzelnen Gedichten — sechzig, wenn wir recht gezählt haben — behandelt, und hie und da einmal einen ansprechenden Laut oder ein anschauliches Bild hat. Im ganzen zeigt sich aber auch hier die Ohnmacht des Dilettantismus. Mail denke an die große Zahl inniger, tiefer, schöner Weihnachtslieder und Bilder und vergleiche damit, wie Herr Langen nach Luk. 2 die Geburt des Heilandes „poetisch" darstellt: Vom Kaiser war der Spruch ergangen, Daß man ihm zählen sollt' das Reich; Da gab's im Land ein großes Wandern, Zum Stamme kehrt' ein jeder Zweig. Auch Joseph und Maria zogen Zur Zeit von Galiläa aus, Gen Bethlem lenkten sie die Schritte, Weil sie aus König Davids Haus. Und als sie kamen zu dem Orte, Saß in der Herberg Gast bei Gast; Ein Lager war nur noch im Stalle, Den wählten müde sie zur Rast. Und in der Nacht geschah das Wunder: Den Herrn gebar die Jungfrau rein! Das Kindlein barg sie in der Krippe — Den Gottessohn auf hartem Stein. Und das Will Poesie, will religiöse Poesie sein, will sich in Herz und Sinn einprägen, will erwecken und erbauen, will womöglich den Unglauben und den Materialismus der Zeit überwinden helfen! Gute Leute — schlechte Musikanten; wir aber brauchen gute oder keine Musik und werden, wenn es sein muß, noch tausendmal wiederholen, daß die beste Absicht dergleichen Stammeln nicht zur Dichtung erhebt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/429>, abgerufen am 22.07.2024.