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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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den der Rauch wirft. Für ein paar Wochen meiner Jugend gäbe ich nicht nur
mein bischen schriftstellerischen Ruf hin, sondern sogar den Ruhm eines wirk¬
lichen Genies, wenn ich eins wäre. Du fragst, was ich dann thäte? Nun, ich
würde zum Beispiel zehn Stunden täglich mit der Flinte im Arm den Reb¬
hühnern nachlaufen." In den europäischen Journalen begann eine förmliche
Jagd auf Turgenjewsche Novellen; ehe dieselben noch im russischen Original
erschienen waren, wurden sie bereits in deutschen und französischen Übersetzungen
gedruckt. Diese Art der Veröffentlichung führte in einem Falle zu einer sonder¬
baren Taktlosigkeit des Petersburger solos; derselbe ließ Turgeujcws "Selt¬
same Geschichte" aus dem Deutschen ins Russische übersetzen und publizirte sie
in dieser verballhornten Gestalt, um dem ^jo8tun( .Ivvroxx, der die Original¬
novelle zuerst bringen sollte, einen Possen zu spielen.

Die überraschenden Erfolge, welche Turgenjew außerhalb Rußlands erntete,
konnten auch in der Heimat des Dichters ihren Eindruck nicht verfehlen, Es
schmeichelte der russischen Eigenliebe, einen Sohn der sarmatischen Steppe vom
zivilisirten Westen rückhaltlos anerkannt zu sehen. Die kritischen Heißsporne
vom "Zeitgenossen" waren verstummt; Leon Tolstvj, Gontscharvw und Pisscmsti
ließen ihre Federn rösten, Dostojewski war tot und Nekrassow galt längst nicht
mehr als literarischer Sittenrichter, seit er durch sein unzweideutig niedriges
Benehmen den Ausspruch Turgenjews, daß bei ihm "der Lorber eine gemeine
Stirn kröne," in vollem Maße bestätigt hatte. Was war unter solchen Um¬
ständen natürlicher, als daß man wieder ucich dem Alten ausschaute, der seit
einem Jahrzehnt vom russischen Horizont so gut wie verschwunden war? Jetzt
fand man ihn wieder als literarischen Niesen, las seinen Namen neben den
besten Namen des Jahrhunderts. Die vornehme Haltung Turgenjews in der
Zeit seines freiwilligen Exils strafte diejenigen Lügen, welche behauptet hatte",
er sei unter die Renegaten gegangen. Mit Beifall nahm man seinen energischen
Bruch mit den: Apostaten Katkow und seine ablehnende Haltung gegenüber den
panslawistischen Chauvinisten auf. Bereits im Anfang der siebziger Jahre waren
Saltykow-Schtschedrin und Leon Tolstoj, neben Turgenjew die beiden besten
Talente Rußlands, mit dein Dichter der "Väter und Söhne" in literarisch-
frenndschaftlichen Briefwechsel getreten. Unter solchen Umstanden konnte es mich
für das durch genannte Dichtung gekränkte Jung-Nußlnnd nicht entehrend sein,
dem greisen Veteran die Hand zur Versöhnung zu reichen.

Mit dem "jungen Rußland" waren übrigens seit den "Vätern und Söhnen"
gewaltige Umwandlungen vorgegangen. Aus den Reihen der Orthodoxie, des
Nationalismus und des Strebertums war in? Gegensatz zu den Freiheitsstürmern
der fünfziger Jahre eine reaktionäre Partei hervorgewachsen, die alsbald einen
starken Einfluß auf die leitenden Kreise zu gewinnen wußte und jenem ver¬
hängnisvollen Regierungssystem zum Dasein verhalf, an welchem Rußland heute
uoch krankt. Das Werk der Reform, das so glücklich nnter Zusammenwirkung


den der Rauch wirft. Für ein paar Wochen meiner Jugend gäbe ich nicht nur
mein bischen schriftstellerischen Ruf hin, sondern sogar den Ruhm eines wirk¬
lichen Genies, wenn ich eins wäre. Du fragst, was ich dann thäte? Nun, ich
würde zum Beispiel zehn Stunden täglich mit der Flinte im Arm den Reb¬
hühnern nachlaufen." In den europäischen Journalen begann eine förmliche
Jagd auf Turgenjewsche Novellen; ehe dieselben noch im russischen Original
erschienen waren, wurden sie bereits in deutschen und französischen Übersetzungen
gedruckt. Diese Art der Veröffentlichung führte in einem Falle zu einer sonder¬
baren Taktlosigkeit des Petersburger solos; derselbe ließ Turgeujcws „Selt¬
same Geschichte" aus dem Deutschen ins Russische übersetzen und publizirte sie
in dieser verballhornten Gestalt, um dem ^jo8tun( .Ivvroxx, der die Original¬
novelle zuerst bringen sollte, einen Possen zu spielen.

Die überraschenden Erfolge, welche Turgenjew außerhalb Rußlands erntete,
konnten auch in der Heimat des Dichters ihren Eindruck nicht verfehlen, Es
schmeichelte der russischen Eigenliebe, einen Sohn der sarmatischen Steppe vom
zivilisirten Westen rückhaltlos anerkannt zu sehen. Die kritischen Heißsporne
vom „Zeitgenossen" waren verstummt; Leon Tolstvj, Gontscharvw und Pisscmsti
ließen ihre Federn rösten, Dostojewski war tot und Nekrassow galt längst nicht
mehr als literarischer Sittenrichter, seit er durch sein unzweideutig niedriges
Benehmen den Ausspruch Turgenjews, daß bei ihm „der Lorber eine gemeine
Stirn kröne," in vollem Maße bestätigt hatte. Was war unter solchen Um¬
ständen natürlicher, als daß man wieder ucich dem Alten ausschaute, der seit
einem Jahrzehnt vom russischen Horizont so gut wie verschwunden war? Jetzt
fand man ihn wieder als literarischen Niesen, las seinen Namen neben den
besten Namen des Jahrhunderts. Die vornehme Haltung Turgenjews in der
Zeit seines freiwilligen Exils strafte diejenigen Lügen, welche behauptet hatte»,
er sei unter die Renegaten gegangen. Mit Beifall nahm man seinen energischen
Bruch mit den: Apostaten Katkow und seine ablehnende Haltung gegenüber den
panslawistischen Chauvinisten auf. Bereits im Anfang der siebziger Jahre waren
Saltykow-Schtschedrin und Leon Tolstoj, neben Turgenjew die beiden besten
Talente Rußlands, mit dein Dichter der „Väter und Söhne" in literarisch-
frenndschaftlichen Briefwechsel getreten. Unter solchen Umstanden konnte es mich
für das durch genannte Dichtung gekränkte Jung-Nußlnnd nicht entehrend sein,
dem greisen Veteran die Hand zur Versöhnung zu reichen.

Mit dem „jungen Rußland" waren übrigens seit den „Vätern und Söhnen"
gewaltige Umwandlungen vorgegangen. Aus den Reihen der Orthodoxie, des
Nationalismus und des Strebertums war in? Gegensatz zu den Freiheitsstürmern
der fünfziger Jahre eine reaktionäre Partei hervorgewachsen, die alsbald einen
starken Einfluß auf die leitenden Kreise zu gewinnen wußte und jenem ver¬
hängnisvollen Regierungssystem zum Dasein verhalf, an welchem Rußland heute
uoch krankt. Das Werk der Reform, das so glücklich nnter Zusammenwirkung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/415>, abgerufen am 22.07.2024.