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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

habe durch Schaffung dieser Gestalt das demokratische junge Rußland aus Ge¬
fälligkeit gegen den Adel beleidigen wollen. Tschernyschewski untersuchte Tur¬
genjews Vergangenheit und machte die überraschende Entdeckung, daß derselbe
dafür Geld bekommen habe, daß er Rudin, den Helden eines ältern Romanes
-- einen Vorläufer der "Jungen" -- recht abstoßend schilderte. Auch die rus¬
sischen Studenten in Heidelberg, die damals eine stattliche Kolonie bildeten,
ließen sich mit ihrem Tadel vernehmen. Diesen letztern hat Turgenjew aus¬
führlich geantwortet. "Wenn der Leser Basarow, schreibt er ihnen, mit all
seiner Grobheit und Herzlosigkeit, seiner mitleidlosen Schärfe und Nüchternheit
nicht liebgewinnt, dann bin ich daran schuld, dann bin ich der Aufgabe, die ich
mir gestellt hatte, nicht gerecht geworden. Aber ihn "mit Syrup anrühren,"
wie er sich selber ausdrückt, das wollte ich nicht, wenn ich dadurch vielleicht
auch die Jugend auf meine Seite gebracht hätte. Durch solche Mittel möchte
ich mir keine Popularität erkaufen. Besser den Kampf verlieren (und es scheint,
ich habe ihn verloren), als den Sieg durch eine List erringen. Mir schwebte
eine Gestalt vor -- finster, groß, wild, halb aus dem Boden hervorwachsend,
nicht ohne Bosheit, doch ehrenhaft -- voll frischer Kraft, und dennoch dem
Verderben geweiht, da sie erst am Vorabend der Zukunft steht. Ich dachte mir
eine Art Pendant zu Pugatschew -- und da kommen nun meine jungen Zeit¬
genossen und schelten mich kopfschüttelnd: "Halt, Bruder, du hast einen dummen
Streich gemacht; das adeliche Jünkerchen kommt bei dir besser weg als Ba¬
sarow -- das soll dir nicht geschenkt sein." Unter solchen Umständen bleibt
mir nichts weiter übrig, als wie es im Zigeunerliede heißt: "Den Hut zu zieh'n
und tiefer mich zu neigen." Nur zwei Leute haben bisher den Basarow, d. h.
meine in demselben verkörperten Ansichten und Absichten, richtig verstanden:
Dostojewski und Botkin."


4.

Die ablehnende Aufnahme, welche die "Väter und Söhne" fanden, hatte
einen entscheidenden Einfluß auf Turgenjews Beziehungen zum russischen Pu¬
blikum. Er hatte die Empfindung, daß ihm Unrecht geschehe, und sah keine
Möglichkeit, den Gegner durch Vernunftgründe zu überzeugen. Mit einen: Ge¬
fühl tiefer Niedergeschlagenheit verfolgte er aus der Ferne den Lauf der Dinge.
Nur selten verließ er in den nächsten Jahren sein Tusculum in Baden-Baden,
um die Heimat zu besuchen. Seine Beziehungen zu Nekrassow waren für immer
gelöst. Auch Dostojewski, mit dem er eine Zeit lang in geistigem Verkehr ge¬
standen hatte, benahm sich so gegen ihn, daß er mit ihm brechen mußte. "Ich
müßte Dostojewski einen Verleumder nennen, äußert er sich einmal gegen
Polonski, wenn ich nicht wüßte, daß es bei ihm rappete." Dostojewski er¬
niedrigte sich sogar soweit, daß er ohne alle Veranlassung eine von Beleidi¬
gungen strotzende Schmähschrift gegen Turgenjew in die Welt sandte, während


Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

habe durch Schaffung dieser Gestalt das demokratische junge Rußland aus Ge¬
fälligkeit gegen den Adel beleidigen wollen. Tschernyschewski untersuchte Tur¬
genjews Vergangenheit und machte die überraschende Entdeckung, daß derselbe
dafür Geld bekommen habe, daß er Rudin, den Helden eines ältern Romanes
— einen Vorläufer der „Jungen" — recht abstoßend schilderte. Auch die rus¬
sischen Studenten in Heidelberg, die damals eine stattliche Kolonie bildeten,
ließen sich mit ihrem Tadel vernehmen. Diesen letztern hat Turgenjew aus¬
führlich geantwortet. „Wenn der Leser Basarow, schreibt er ihnen, mit all
seiner Grobheit und Herzlosigkeit, seiner mitleidlosen Schärfe und Nüchternheit
nicht liebgewinnt, dann bin ich daran schuld, dann bin ich der Aufgabe, die ich
mir gestellt hatte, nicht gerecht geworden. Aber ihn »mit Syrup anrühren,«
wie er sich selber ausdrückt, das wollte ich nicht, wenn ich dadurch vielleicht
auch die Jugend auf meine Seite gebracht hätte. Durch solche Mittel möchte
ich mir keine Popularität erkaufen. Besser den Kampf verlieren (und es scheint,
ich habe ihn verloren), als den Sieg durch eine List erringen. Mir schwebte
eine Gestalt vor — finster, groß, wild, halb aus dem Boden hervorwachsend,
nicht ohne Bosheit, doch ehrenhaft — voll frischer Kraft, und dennoch dem
Verderben geweiht, da sie erst am Vorabend der Zukunft steht. Ich dachte mir
eine Art Pendant zu Pugatschew — und da kommen nun meine jungen Zeit¬
genossen und schelten mich kopfschüttelnd: »Halt, Bruder, du hast einen dummen
Streich gemacht; das adeliche Jünkerchen kommt bei dir besser weg als Ba¬
sarow — das soll dir nicht geschenkt sein.« Unter solchen Umständen bleibt
mir nichts weiter übrig, als wie es im Zigeunerliede heißt: »Den Hut zu zieh'n
und tiefer mich zu neigen.« Nur zwei Leute haben bisher den Basarow, d. h.
meine in demselben verkörperten Ansichten und Absichten, richtig verstanden:
Dostojewski und Botkin."


4.

Die ablehnende Aufnahme, welche die „Väter und Söhne" fanden, hatte
einen entscheidenden Einfluß auf Turgenjews Beziehungen zum russischen Pu¬
blikum. Er hatte die Empfindung, daß ihm Unrecht geschehe, und sah keine
Möglichkeit, den Gegner durch Vernunftgründe zu überzeugen. Mit einen: Ge¬
fühl tiefer Niedergeschlagenheit verfolgte er aus der Ferne den Lauf der Dinge.
Nur selten verließ er in den nächsten Jahren sein Tusculum in Baden-Baden,
um die Heimat zu besuchen. Seine Beziehungen zu Nekrassow waren für immer
gelöst. Auch Dostojewski, mit dem er eine Zeit lang in geistigem Verkehr ge¬
standen hatte, benahm sich so gegen ihn, daß er mit ihm brechen mußte. „Ich
müßte Dostojewski einen Verleumder nennen, äußert er sich einmal gegen
Polonski, wenn ich nicht wüßte, daß es bei ihm rappete." Dostojewski er¬
niedrigte sich sogar soweit, daß er ohne alle Veranlassung eine von Beleidi¬
gungen strotzende Schmähschrift gegen Turgenjew in die Welt sandte, während


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[0412] Iwan Turgenjew in seinen Briefen. habe durch Schaffung dieser Gestalt das demokratische junge Rußland aus Ge¬ fälligkeit gegen den Adel beleidigen wollen. Tschernyschewski untersuchte Tur¬ genjews Vergangenheit und machte die überraschende Entdeckung, daß derselbe dafür Geld bekommen habe, daß er Rudin, den Helden eines ältern Romanes — einen Vorläufer der „Jungen" — recht abstoßend schilderte. Auch die rus¬ sischen Studenten in Heidelberg, die damals eine stattliche Kolonie bildeten, ließen sich mit ihrem Tadel vernehmen. Diesen letztern hat Turgenjew aus¬ führlich geantwortet. „Wenn der Leser Basarow, schreibt er ihnen, mit all seiner Grobheit und Herzlosigkeit, seiner mitleidlosen Schärfe und Nüchternheit nicht liebgewinnt, dann bin ich daran schuld, dann bin ich der Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, nicht gerecht geworden. Aber ihn »mit Syrup anrühren,« wie er sich selber ausdrückt, das wollte ich nicht, wenn ich dadurch vielleicht auch die Jugend auf meine Seite gebracht hätte. Durch solche Mittel möchte ich mir keine Popularität erkaufen. Besser den Kampf verlieren (und es scheint, ich habe ihn verloren), als den Sieg durch eine List erringen. Mir schwebte eine Gestalt vor — finster, groß, wild, halb aus dem Boden hervorwachsend, nicht ohne Bosheit, doch ehrenhaft — voll frischer Kraft, und dennoch dem Verderben geweiht, da sie erst am Vorabend der Zukunft steht. Ich dachte mir eine Art Pendant zu Pugatschew — und da kommen nun meine jungen Zeit¬ genossen und schelten mich kopfschüttelnd: »Halt, Bruder, du hast einen dummen Streich gemacht; das adeliche Jünkerchen kommt bei dir besser weg als Ba¬ sarow — das soll dir nicht geschenkt sein.« Unter solchen Umständen bleibt mir nichts weiter übrig, als wie es im Zigeunerliede heißt: »Den Hut zu zieh'n und tiefer mich zu neigen.« Nur zwei Leute haben bisher den Basarow, d. h. meine in demselben verkörperten Ansichten und Absichten, richtig verstanden: Dostojewski und Botkin." 4. Die ablehnende Aufnahme, welche die „Väter und Söhne" fanden, hatte einen entscheidenden Einfluß auf Turgenjews Beziehungen zum russischen Pu¬ blikum. Er hatte die Empfindung, daß ihm Unrecht geschehe, und sah keine Möglichkeit, den Gegner durch Vernunftgründe zu überzeugen. Mit einen: Ge¬ fühl tiefer Niedergeschlagenheit verfolgte er aus der Ferne den Lauf der Dinge. Nur selten verließ er in den nächsten Jahren sein Tusculum in Baden-Baden, um die Heimat zu besuchen. Seine Beziehungen zu Nekrassow waren für immer gelöst. Auch Dostojewski, mit dem er eine Zeit lang in geistigem Verkehr ge¬ standen hatte, benahm sich so gegen ihn, daß er mit ihm brechen mußte. „Ich müßte Dostojewski einen Verleumder nennen, äußert er sich einmal gegen Polonski, wenn ich nicht wüßte, daß es bei ihm rappete." Dostojewski er¬ niedrigte sich sogar soweit, daß er ohne alle Veranlassung eine von Beleidi¬ gungen strotzende Schmähschrift gegen Turgenjew in die Welt sandte, während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/412>, abgerufen am 22.07.2024.