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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Französische übersetzte, ändert an seinem Ausspruche nichts. Auf die Ausstel¬
lungen, welche die Freunde an seinen dichterischen Erzeugnissen machten, ging
er bereitwillig und lebhaft ein. Dagegen war er gleichgiltig gegen die Aus¬
fälle der Kritik und ebenso gegen den äußern Erfolg.

Turgenjew arbeitete nicht mit der großen farbenreichen Palette der Viel¬
schreiber, die "für den Leser" dichten. Sein Schaffen ist ein organisches Pro¬
duziren aus dem Innersten, das von unnatürlichen Wucherungen und gesuchten
Effekten freibleibt. "Schreibe, was dir aus der Seele kommt, so formulirt er
selber seinen poetischen Grundsatz, ohne dich vorzeitig um die Meinung des
Publikums zu bekümmern. Das wenigstens kann ich mir nachrühmen, daß ich
bisher immer so Verfahren bin. Was heißt es denn überhaupt, fürs Publikum
schreiben?" Selten hat ein Schriftsteller den Begriff Publikum in seiner
ganzen Vieldeutigkeit und Veränderlichkeit so genau kennen gelernt, wie Tur¬
genjew. Aber wenn auch die ungerechten Vorwürfe und Schmähungen, mit
denen er überschüttet wurde, sein Herz tief verwundeten, seinen Überzeugungen
ist er darum auch nicht einen Augenblick untren geworden. Aus der wüsten
Kulturbrandung, die in den letzten dreißig Jahren das Zarenreich überflutete,
ragt eine einzige Gestalt fest und unverrückt in die Zukunft hinein: Iwan
Turgenjew. Man hat die kulturgeschichtliche Bedeutung seines Auftretens bisher
außerhalb Rußlands wenig gewürdigt. Daß einmal die Losung: "Für oder
gegen Turgenjew!" die russische Gesellschaft in zwei scharf geschiedne Lager
teilte, daß er, ehemals der Liebling aller, mit einem Schlage die Gunst der
blinden großen Mehrheit verlor, ist bei uns nicht vielen bekannt. Seine Schuld
bestand einzig darin, daß er den Mut hatte, seinem Volke die Wahrheit zu
sagen. Schwer genug hat er für diesen Mut gebüßt. Während er, in schein¬
barer Unthätigkeit, ein komfortables Leben im Auslande führte, warf das Ver-
hängnis, das auf Rußland lastete, düstre Schatten in seine Seele. Er trug
ein politisches Martyrium, das er, bei der Sensibilität seines dichterischen
Gemütes, peinlicher empfand, als mancher Verbannte die rauhen Unbilden der
sibirischen Steppe. Aber standhaft blieb er seinem Freimut treu und hatte
schließlich die Genugthuung, die besten unter seinen einstigen Gegnern als be¬
kehrte Anhänger wieder zu begrüßen.

Nur ab und zu thut Turgenjew in den Briefen seiner eignen schrift¬
stellerischen Thätigkeit Erwähnung. Vor der Vollendung kommt er fast nie auf
seine Dichtungen zu sprechen. In stimmungsvoller Einsamkeit meistert er die
Bilder, die sich seiner Phantasie aufdrängen; erst nach dem letzten Pinselstrich
übergiebt er sie der Öffentlichkeit. Über die Art seines Schaffens sagt er
selber: "Ich bin, solange ich schriftstellerisch arbeite, niemals von einer Idee,
sondern stets von Bildern ausgegangen." Dieser Grundsatz bewahrte ihn vor
tendenziösen Verirrungen, rettete in ihm den Künstler. Er nennt sich selbst in
einem der Briefe einen Belletristen; "als Publizist, fügt er hinzu, habe ich


Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Französische übersetzte, ändert an seinem Ausspruche nichts. Auf die Ausstel¬
lungen, welche die Freunde an seinen dichterischen Erzeugnissen machten, ging
er bereitwillig und lebhaft ein. Dagegen war er gleichgiltig gegen die Aus¬
fälle der Kritik und ebenso gegen den äußern Erfolg.

Turgenjew arbeitete nicht mit der großen farbenreichen Palette der Viel¬
schreiber, die „für den Leser" dichten. Sein Schaffen ist ein organisches Pro¬
duziren aus dem Innersten, das von unnatürlichen Wucherungen und gesuchten
Effekten freibleibt. „Schreibe, was dir aus der Seele kommt, so formulirt er
selber seinen poetischen Grundsatz, ohne dich vorzeitig um die Meinung des
Publikums zu bekümmern. Das wenigstens kann ich mir nachrühmen, daß ich
bisher immer so Verfahren bin. Was heißt es denn überhaupt, fürs Publikum
schreiben?" Selten hat ein Schriftsteller den Begriff Publikum in seiner
ganzen Vieldeutigkeit und Veränderlichkeit so genau kennen gelernt, wie Tur¬
genjew. Aber wenn auch die ungerechten Vorwürfe und Schmähungen, mit
denen er überschüttet wurde, sein Herz tief verwundeten, seinen Überzeugungen
ist er darum auch nicht einen Augenblick untren geworden. Aus der wüsten
Kulturbrandung, die in den letzten dreißig Jahren das Zarenreich überflutete,
ragt eine einzige Gestalt fest und unverrückt in die Zukunft hinein: Iwan
Turgenjew. Man hat die kulturgeschichtliche Bedeutung seines Auftretens bisher
außerhalb Rußlands wenig gewürdigt. Daß einmal die Losung: „Für oder
gegen Turgenjew!" die russische Gesellschaft in zwei scharf geschiedne Lager
teilte, daß er, ehemals der Liebling aller, mit einem Schlage die Gunst der
blinden großen Mehrheit verlor, ist bei uns nicht vielen bekannt. Seine Schuld
bestand einzig darin, daß er den Mut hatte, seinem Volke die Wahrheit zu
sagen. Schwer genug hat er für diesen Mut gebüßt. Während er, in schein¬
barer Unthätigkeit, ein komfortables Leben im Auslande führte, warf das Ver-
hängnis, das auf Rußland lastete, düstre Schatten in seine Seele. Er trug
ein politisches Martyrium, das er, bei der Sensibilität seines dichterischen
Gemütes, peinlicher empfand, als mancher Verbannte die rauhen Unbilden der
sibirischen Steppe. Aber standhaft blieb er seinem Freimut treu und hatte
schließlich die Genugthuung, die besten unter seinen einstigen Gegnern als be¬
kehrte Anhänger wieder zu begrüßen.

Nur ab und zu thut Turgenjew in den Briefen seiner eignen schrift¬
stellerischen Thätigkeit Erwähnung. Vor der Vollendung kommt er fast nie auf
seine Dichtungen zu sprechen. In stimmungsvoller Einsamkeit meistert er die
Bilder, die sich seiner Phantasie aufdrängen; erst nach dem letzten Pinselstrich
übergiebt er sie der Öffentlichkeit. Über die Art seines Schaffens sagt er
selber: „Ich bin, solange ich schriftstellerisch arbeite, niemals von einer Idee,
sondern stets von Bildern ausgegangen." Dieser Grundsatz bewahrte ihn vor
tendenziösen Verirrungen, rettete in ihm den Künstler. Er nennt sich selbst in
einem der Briefe einen Belletristen; „als Publizist, fügt er hinzu, habe ich


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[0407] Iwan Turgenjew in seinen Briefen. Französische übersetzte, ändert an seinem Ausspruche nichts. Auf die Ausstel¬ lungen, welche die Freunde an seinen dichterischen Erzeugnissen machten, ging er bereitwillig und lebhaft ein. Dagegen war er gleichgiltig gegen die Aus¬ fälle der Kritik und ebenso gegen den äußern Erfolg. Turgenjew arbeitete nicht mit der großen farbenreichen Palette der Viel¬ schreiber, die „für den Leser" dichten. Sein Schaffen ist ein organisches Pro¬ duziren aus dem Innersten, das von unnatürlichen Wucherungen und gesuchten Effekten freibleibt. „Schreibe, was dir aus der Seele kommt, so formulirt er selber seinen poetischen Grundsatz, ohne dich vorzeitig um die Meinung des Publikums zu bekümmern. Das wenigstens kann ich mir nachrühmen, daß ich bisher immer so Verfahren bin. Was heißt es denn überhaupt, fürs Publikum schreiben?" Selten hat ein Schriftsteller den Begriff Publikum in seiner ganzen Vieldeutigkeit und Veränderlichkeit so genau kennen gelernt, wie Tur¬ genjew. Aber wenn auch die ungerechten Vorwürfe und Schmähungen, mit denen er überschüttet wurde, sein Herz tief verwundeten, seinen Überzeugungen ist er darum auch nicht einen Augenblick untren geworden. Aus der wüsten Kulturbrandung, die in den letzten dreißig Jahren das Zarenreich überflutete, ragt eine einzige Gestalt fest und unverrückt in die Zukunft hinein: Iwan Turgenjew. Man hat die kulturgeschichtliche Bedeutung seines Auftretens bisher außerhalb Rußlands wenig gewürdigt. Daß einmal die Losung: „Für oder gegen Turgenjew!" die russische Gesellschaft in zwei scharf geschiedne Lager teilte, daß er, ehemals der Liebling aller, mit einem Schlage die Gunst der blinden großen Mehrheit verlor, ist bei uns nicht vielen bekannt. Seine Schuld bestand einzig darin, daß er den Mut hatte, seinem Volke die Wahrheit zu sagen. Schwer genug hat er für diesen Mut gebüßt. Während er, in schein¬ barer Unthätigkeit, ein komfortables Leben im Auslande führte, warf das Ver- hängnis, das auf Rußland lastete, düstre Schatten in seine Seele. Er trug ein politisches Martyrium, das er, bei der Sensibilität seines dichterischen Gemütes, peinlicher empfand, als mancher Verbannte die rauhen Unbilden der sibirischen Steppe. Aber standhaft blieb er seinem Freimut treu und hatte schließlich die Genugthuung, die besten unter seinen einstigen Gegnern als be¬ kehrte Anhänger wieder zu begrüßen. Nur ab und zu thut Turgenjew in den Briefen seiner eignen schrift¬ stellerischen Thätigkeit Erwähnung. Vor der Vollendung kommt er fast nie auf seine Dichtungen zu sprechen. In stimmungsvoller Einsamkeit meistert er die Bilder, die sich seiner Phantasie aufdrängen; erst nach dem letzten Pinselstrich übergiebt er sie der Öffentlichkeit. Über die Art seines Schaffens sagt er selber: „Ich bin, solange ich schriftstellerisch arbeite, niemals von einer Idee, sondern stets von Bildern ausgegangen." Dieser Grundsatz bewahrte ihn vor tendenziösen Verirrungen, rettete in ihm den Künstler. Er nennt sich selbst in einem der Briefe einen Belletristen; „als Publizist, fügt er hinzu, habe ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/407>, abgerufen am 22.07.2024.