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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Reumonts Lrinnerungon.

damit vorzüglich, der Berliner Universität und Akademie neue bedeutende Kräfte
zuzuführen. Der Umstand jedoch, daß hierbei besonders berühmte Namen in
Betracht kommen, hat vergessen lassen, daß mehrere der Gewählten durch Alter
"ut bisherige Beziehungen schon zu sehr in andern Kreisen heimisch geworden
waren. Am wenigsten hat Rückert, der zur Belebung der orientalischen Studien
mitwirken sollte, den gehegten Erwartungen entsprochen. Auch bei Tieck, der
durch geistvolle Unterhaltung und durch sein großes Talent als Vorleser die
Mußestunden des Königs angenehm ausfüllen, und dem zugleich ein sorgen¬
freierer Lebensabend geschaffen werden sollte, wurde Friedrich Wilhelms Absicht
nur unvollkommen erreicht. Er hatte sich in Dresden an bequemes Leben ge¬
wöhnt, er litt an der Gicht, und so war ihm seine neue Stellung nicht selten
hinderlich. Nach gewissen Literaturgeschichten hätte er in den "zerstreuten und
unaufmerksamer" Hofkreisen vorlesen müssen, und das Hütte ihn verdrossen.
Reumont aber sagt nach Erfahrung: "Die Hofkreise waren nicht zerstreut noch
unaufmerksam, aber Tieck, wenn er nicht Shakespeare oder den Prinzen von
Homburg oder andre dramatische Werke vorlas, war in seiner Wahl oft
nichts weniger als glücklich . . . Daß seine pekuniären Verhältnisse auch bei des
Königs Großmut nicht prvsperirten, hing mit der geringen Ordnung zusammen,
die bei ihm sein ganzes Leben lang gewaltet hat." Gut gelang es dem Könige
mit Schelling, der mit der Befugnis zu Vorlesungen an der Universität berufen
worden war, und der sich in das abendliche Gesellschaftsleben im Schlosse leicht
hineinfand. Er war dem Könige persönlich angenehm; denn dieser teilte seinen
Standpunkt in ästhetischen Anschauungen und erblickte in seiner Stellung zum
Positiven Christentum ein Gegengewicht gegen die in den letzten Zeiten der vor-
hergegangnen Regierung überwiegend begünstigte Hegelsche Philosophie. Zu
den glücklichsten Berufungen gehörte die der Brüder Grimm, zu welcher Sa-
vigny und die Bettina mitgewirkt haben, die aber keine Schwierigkeiten fand,
da der König die gelehrten Arbeiten der beiden zu würdigen wußte und an
den populären Schriften, die sie der deutschen Nation liebgemacht hatten, große
Freude fand. "In seine eignen engeren Kreise sind die Brüder kaum gelangt.
Aber ihre Wirksamkeit in Berlin hat reiche Früchte getragen."

Das Lieblingsfach des Königs unter den Künsten war die Architektur. Er
ging dabei vom klassischen Gesichtspunkte aus, wozu die Lehren seiner Jugend
in gleichem Maße mitgewirkt hatten wie sein lebendiger Sinn für die Harmonie
und die Einfachheit und Strenge in den Formen der hellenischen Baukunst.
Eingeführt war er in die Kunstwissenschaft von Aloys Hirt, der, einst weit
überschätzt, jetzt oft nicht genügend anerkannt wird. Daneben wirkten die tiefern
Anschauungen und die Praxis Schwkels mächtig auf den Kronprinzen, und
später machte sich der Einfluß Numohrs geltend. Schon früh offenbarte sich
Friedrich Wilhelms ungewöhnliche künstlerische Begabung. Die nach seinem
Tode auf Veranlassung seiner Gemahlin durch Olfers und Slüter veröffent-


Reumonts Lrinnerungon.

damit vorzüglich, der Berliner Universität und Akademie neue bedeutende Kräfte
zuzuführen. Der Umstand jedoch, daß hierbei besonders berühmte Namen in
Betracht kommen, hat vergessen lassen, daß mehrere der Gewählten durch Alter
»ut bisherige Beziehungen schon zu sehr in andern Kreisen heimisch geworden
waren. Am wenigsten hat Rückert, der zur Belebung der orientalischen Studien
mitwirken sollte, den gehegten Erwartungen entsprochen. Auch bei Tieck, der
durch geistvolle Unterhaltung und durch sein großes Talent als Vorleser die
Mußestunden des Königs angenehm ausfüllen, und dem zugleich ein sorgen¬
freierer Lebensabend geschaffen werden sollte, wurde Friedrich Wilhelms Absicht
nur unvollkommen erreicht. Er hatte sich in Dresden an bequemes Leben ge¬
wöhnt, er litt an der Gicht, und so war ihm seine neue Stellung nicht selten
hinderlich. Nach gewissen Literaturgeschichten hätte er in den „zerstreuten und
unaufmerksamer" Hofkreisen vorlesen müssen, und das Hütte ihn verdrossen.
Reumont aber sagt nach Erfahrung: „Die Hofkreise waren nicht zerstreut noch
unaufmerksam, aber Tieck, wenn er nicht Shakespeare oder den Prinzen von
Homburg oder andre dramatische Werke vorlas, war in seiner Wahl oft
nichts weniger als glücklich . . . Daß seine pekuniären Verhältnisse auch bei des
Königs Großmut nicht prvsperirten, hing mit der geringen Ordnung zusammen,
die bei ihm sein ganzes Leben lang gewaltet hat." Gut gelang es dem Könige
mit Schelling, der mit der Befugnis zu Vorlesungen an der Universität berufen
worden war, und der sich in das abendliche Gesellschaftsleben im Schlosse leicht
hineinfand. Er war dem Könige persönlich angenehm; denn dieser teilte seinen
Standpunkt in ästhetischen Anschauungen und erblickte in seiner Stellung zum
Positiven Christentum ein Gegengewicht gegen die in den letzten Zeiten der vor-
hergegangnen Regierung überwiegend begünstigte Hegelsche Philosophie. Zu
den glücklichsten Berufungen gehörte die der Brüder Grimm, zu welcher Sa-
vigny und die Bettina mitgewirkt haben, die aber keine Schwierigkeiten fand,
da der König die gelehrten Arbeiten der beiden zu würdigen wußte und an
den populären Schriften, die sie der deutschen Nation liebgemacht hatten, große
Freude fand. „In seine eignen engeren Kreise sind die Brüder kaum gelangt.
Aber ihre Wirksamkeit in Berlin hat reiche Früchte getragen."

Das Lieblingsfach des Königs unter den Künsten war die Architektur. Er
ging dabei vom klassischen Gesichtspunkte aus, wozu die Lehren seiner Jugend
in gleichem Maße mitgewirkt hatten wie sein lebendiger Sinn für die Harmonie
und die Einfachheit und Strenge in den Formen der hellenischen Baukunst.
Eingeführt war er in die Kunstwissenschaft von Aloys Hirt, der, einst weit
überschätzt, jetzt oft nicht genügend anerkannt wird. Daneben wirkten die tiefern
Anschauungen und die Praxis Schwkels mächtig auf den Kronprinzen, und
später machte sich der Einfluß Numohrs geltend. Schon früh offenbarte sich
Friedrich Wilhelms ungewöhnliche künstlerische Begabung. Die nach seinem
Tode auf Veranlassung seiner Gemahlin durch Olfers und Slüter veröffent-


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[0402] Reumonts Lrinnerungon. damit vorzüglich, der Berliner Universität und Akademie neue bedeutende Kräfte zuzuführen. Der Umstand jedoch, daß hierbei besonders berühmte Namen in Betracht kommen, hat vergessen lassen, daß mehrere der Gewählten durch Alter »ut bisherige Beziehungen schon zu sehr in andern Kreisen heimisch geworden waren. Am wenigsten hat Rückert, der zur Belebung der orientalischen Studien mitwirken sollte, den gehegten Erwartungen entsprochen. Auch bei Tieck, der durch geistvolle Unterhaltung und durch sein großes Talent als Vorleser die Mußestunden des Königs angenehm ausfüllen, und dem zugleich ein sorgen¬ freierer Lebensabend geschaffen werden sollte, wurde Friedrich Wilhelms Absicht nur unvollkommen erreicht. Er hatte sich in Dresden an bequemes Leben ge¬ wöhnt, er litt an der Gicht, und so war ihm seine neue Stellung nicht selten hinderlich. Nach gewissen Literaturgeschichten hätte er in den „zerstreuten und unaufmerksamer" Hofkreisen vorlesen müssen, und das Hütte ihn verdrossen. Reumont aber sagt nach Erfahrung: „Die Hofkreise waren nicht zerstreut noch unaufmerksam, aber Tieck, wenn er nicht Shakespeare oder den Prinzen von Homburg oder andre dramatische Werke vorlas, war in seiner Wahl oft nichts weniger als glücklich . . . Daß seine pekuniären Verhältnisse auch bei des Königs Großmut nicht prvsperirten, hing mit der geringen Ordnung zusammen, die bei ihm sein ganzes Leben lang gewaltet hat." Gut gelang es dem Könige mit Schelling, der mit der Befugnis zu Vorlesungen an der Universität berufen worden war, und der sich in das abendliche Gesellschaftsleben im Schlosse leicht hineinfand. Er war dem Könige persönlich angenehm; denn dieser teilte seinen Standpunkt in ästhetischen Anschauungen und erblickte in seiner Stellung zum Positiven Christentum ein Gegengewicht gegen die in den letzten Zeiten der vor- hergegangnen Regierung überwiegend begünstigte Hegelsche Philosophie. Zu den glücklichsten Berufungen gehörte die der Brüder Grimm, zu welcher Sa- vigny und die Bettina mitgewirkt haben, die aber keine Schwierigkeiten fand, da der König die gelehrten Arbeiten der beiden zu würdigen wußte und an den populären Schriften, die sie der deutschen Nation liebgemacht hatten, große Freude fand. „In seine eignen engeren Kreise sind die Brüder kaum gelangt. Aber ihre Wirksamkeit in Berlin hat reiche Früchte getragen." Das Lieblingsfach des Königs unter den Künsten war die Architektur. Er ging dabei vom klassischen Gesichtspunkte aus, wozu die Lehren seiner Jugend in gleichem Maße mitgewirkt hatten wie sein lebendiger Sinn für die Harmonie und die Einfachheit und Strenge in den Formen der hellenischen Baukunst. Eingeführt war er in die Kunstwissenschaft von Aloys Hirt, der, einst weit überschätzt, jetzt oft nicht genügend anerkannt wird. Daneben wirkten die tiefern Anschauungen und die Praxis Schwkels mächtig auf den Kronprinzen, und später machte sich der Einfluß Numohrs geltend. Schon früh offenbarte sich Friedrich Wilhelms ungewöhnliche künstlerische Begabung. Die nach seinem Tode auf Veranlassung seiner Gemahlin durch Olfers und Slüter veröffent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/402>, abgerufen am 22.07.2024.