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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Das neue Königreich in Afrika.

Fabrikanten und dergleichen denen, welche die Hilfsquellen des Staates zu er¬
schließen bemüht sind, an dessen Leitung er in hervorragender Stellung beteiligt
sein wird, mit reichlichen Geldanlagen zur Hand gehen. Er sprach xro äorno,
wobei man es im Eifer nicht allzu genau mit der Wahrheit zu nehmen, Dunkles
für hell anzusehen oder nur das Helle zu betonen, das Dunkle zu verschweigen
pflegt. Manches in seinen Darstellungen ist wohl mehr Rhetorik als Wieder¬
gabe der Wirklichkeit, und im allgemeinen dürfen die Reden, mit denen er den
Kongo in England empfahl, unbedenklich in das Gebiet der bessern Sorten
der Reklame verwiesen werden. Stanley und die Internationale Afrikanische
Gesellschaft haben unleugbar Außerordentliches geleistet, und niemand, der
die Verhältnisse kennt, wird tadeln wollen, daß sie in der kurzen Zeit ihrer
Thätigkeit nicht noch mehr zustande gebracht haben. Der Kongo und sein Ge¬
biet haben ferner jetzt schon unstreitig einen nicht geringen Wert. Aber frag¬
lich ist doch sehr, ob dieser Wert so hoch angeschlagen werden darf, daß man
sich für ihn stark erwärmen kann. Mr. Tistle, ein diplomatischer Agent der
Vereinigten Staaten, der im Februar und März d. I. am Kongo war und
bis nach Stanley Pook hinaufging, soll über die Hilfsquellen des Landes kein
recht günstiges Urteil gefällt haben, und der "Kölnischen Zeitung" wurde unterm
6. April aus Vivi, einer der obern Stationen am untern Laufe des Stromes,
geschrieben: "Ich habe noch keinen mit den Kongoverhältnisfen vertrauten, sei
er nun Kaufmann oder was immer, gesprochen, der nicht über Stanleys in
Europa gehaltene Reden gelächelt hätte. ... Es besteht allerdings, wie ich
durch das, was ich mit eignen Augen gesehen habe, bezeugen kaun, ein arger
Widerspruch zwischen den übertreibender Schilderungen des gewandten Ameri¬
kaners und dem Aussehen des kahlen und nicht sehr dicht bevölkerten Landes.
Welch ein Paradies an Fruchtbarkeit und Üppigkeit ist im Vergleiche hiermit
.Kamerun und namentlich das Kameruugebirge!" Es fragt sich, wie weit strom¬
aufwärts dieser Berichterstatter gekommen ist, auch kann ihm deutscher Patrio¬
tismus manches dunkler und ärmer gezeigt haben, als es ist. Aber einige Vor¬
sicht und Nüchternheit wird nach seinem und des amerikanischen Diplomaten
Zeugnis den Angaben Stanleys gegenüber am Orte sein. Das Paradies am
Kongo ist auf alle Fälle nicht ganz so schön und reich, wie man vielfach an¬
nimmt, und die Konsumtionsfähigkeit seiner schwarzen Bewohner wird noch
geraume Zeit viel zu wünschen übrig lassen. Auch sind wohl die Fragen er¬
laubt: Während in der ganzen Geschichte ein Staatsorganismus der obere
Schlußstein und die Krönung vieljähriger Kulturbestrebungen war, soll er hier
Grundstein sein? soll alles übrige erst nach folgen? Sieht das nicht fast wie
verkehrte Welt aus?

Für Deutschland hat das fast nur insofern Bedeutung, als wir uns freuen,
daß die Gesittung auch von dieser Seite in das Innere von Afrika einzudringen
und die Barbarei zu beseitigen anfängt. Viel Nutzen für uns werden wir davon nicht


Das neue Königreich in Afrika.

Fabrikanten und dergleichen denen, welche die Hilfsquellen des Staates zu er¬
schließen bemüht sind, an dessen Leitung er in hervorragender Stellung beteiligt
sein wird, mit reichlichen Geldanlagen zur Hand gehen. Er sprach xro äorno,
wobei man es im Eifer nicht allzu genau mit der Wahrheit zu nehmen, Dunkles
für hell anzusehen oder nur das Helle zu betonen, das Dunkle zu verschweigen
pflegt. Manches in seinen Darstellungen ist wohl mehr Rhetorik als Wieder¬
gabe der Wirklichkeit, und im allgemeinen dürfen die Reden, mit denen er den
Kongo in England empfahl, unbedenklich in das Gebiet der bessern Sorten
der Reklame verwiesen werden. Stanley und die Internationale Afrikanische
Gesellschaft haben unleugbar Außerordentliches geleistet, und niemand, der
die Verhältnisse kennt, wird tadeln wollen, daß sie in der kurzen Zeit ihrer
Thätigkeit nicht noch mehr zustande gebracht haben. Der Kongo und sein Ge¬
biet haben ferner jetzt schon unstreitig einen nicht geringen Wert. Aber frag¬
lich ist doch sehr, ob dieser Wert so hoch angeschlagen werden darf, daß man
sich für ihn stark erwärmen kann. Mr. Tistle, ein diplomatischer Agent der
Vereinigten Staaten, der im Februar und März d. I. am Kongo war und
bis nach Stanley Pook hinaufging, soll über die Hilfsquellen des Landes kein
recht günstiges Urteil gefällt haben, und der „Kölnischen Zeitung" wurde unterm
6. April aus Vivi, einer der obern Stationen am untern Laufe des Stromes,
geschrieben: „Ich habe noch keinen mit den Kongoverhältnisfen vertrauten, sei
er nun Kaufmann oder was immer, gesprochen, der nicht über Stanleys in
Europa gehaltene Reden gelächelt hätte. ... Es besteht allerdings, wie ich
durch das, was ich mit eignen Augen gesehen habe, bezeugen kaun, ein arger
Widerspruch zwischen den übertreibender Schilderungen des gewandten Ameri¬
kaners und dem Aussehen des kahlen und nicht sehr dicht bevölkerten Landes.
Welch ein Paradies an Fruchtbarkeit und Üppigkeit ist im Vergleiche hiermit
.Kamerun und namentlich das Kameruugebirge!" Es fragt sich, wie weit strom¬
aufwärts dieser Berichterstatter gekommen ist, auch kann ihm deutscher Patrio¬
tismus manches dunkler und ärmer gezeigt haben, als es ist. Aber einige Vor¬
sicht und Nüchternheit wird nach seinem und des amerikanischen Diplomaten
Zeugnis den Angaben Stanleys gegenüber am Orte sein. Das Paradies am
Kongo ist auf alle Fälle nicht ganz so schön und reich, wie man vielfach an¬
nimmt, und die Konsumtionsfähigkeit seiner schwarzen Bewohner wird noch
geraume Zeit viel zu wünschen übrig lassen. Auch sind wohl die Fragen er¬
laubt: Während in der ganzen Geschichte ein Staatsorganismus der obere
Schlußstein und die Krönung vieljähriger Kulturbestrebungen war, soll er hier
Grundstein sein? soll alles übrige erst nach folgen? Sieht das nicht fast wie
verkehrte Welt aus?

Für Deutschland hat das fast nur insofern Bedeutung, als wir uns freuen,
daß die Gesittung auch von dieser Seite in das Innere von Afrika einzudringen
und die Barbarei zu beseitigen anfängt. Viel Nutzen für uns werden wir davon nicht


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[0395] Das neue Königreich in Afrika. Fabrikanten und dergleichen denen, welche die Hilfsquellen des Staates zu er¬ schließen bemüht sind, an dessen Leitung er in hervorragender Stellung beteiligt sein wird, mit reichlichen Geldanlagen zur Hand gehen. Er sprach xro äorno, wobei man es im Eifer nicht allzu genau mit der Wahrheit zu nehmen, Dunkles für hell anzusehen oder nur das Helle zu betonen, das Dunkle zu verschweigen pflegt. Manches in seinen Darstellungen ist wohl mehr Rhetorik als Wieder¬ gabe der Wirklichkeit, und im allgemeinen dürfen die Reden, mit denen er den Kongo in England empfahl, unbedenklich in das Gebiet der bessern Sorten der Reklame verwiesen werden. Stanley und die Internationale Afrikanische Gesellschaft haben unleugbar Außerordentliches geleistet, und niemand, der die Verhältnisse kennt, wird tadeln wollen, daß sie in der kurzen Zeit ihrer Thätigkeit nicht noch mehr zustande gebracht haben. Der Kongo und sein Ge¬ biet haben ferner jetzt schon unstreitig einen nicht geringen Wert. Aber frag¬ lich ist doch sehr, ob dieser Wert so hoch angeschlagen werden darf, daß man sich für ihn stark erwärmen kann. Mr. Tistle, ein diplomatischer Agent der Vereinigten Staaten, der im Februar und März d. I. am Kongo war und bis nach Stanley Pook hinaufging, soll über die Hilfsquellen des Landes kein recht günstiges Urteil gefällt haben, und der „Kölnischen Zeitung" wurde unterm 6. April aus Vivi, einer der obern Stationen am untern Laufe des Stromes, geschrieben: „Ich habe noch keinen mit den Kongoverhältnisfen vertrauten, sei er nun Kaufmann oder was immer, gesprochen, der nicht über Stanleys in Europa gehaltene Reden gelächelt hätte. ... Es besteht allerdings, wie ich durch das, was ich mit eignen Augen gesehen habe, bezeugen kaun, ein arger Widerspruch zwischen den übertreibender Schilderungen des gewandten Ameri¬ kaners und dem Aussehen des kahlen und nicht sehr dicht bevölkerten Landes. Welch ein Paradies an Fruchtbarkeit und Üppigkeit ist im Vergleiche hiermit .Kamerun und namentlich das Kameruugebirge!" Es fragt sich, wie weit strom¬ aufwärts dieser Berichterstatter gekommen ist, auch kann ihm deutscher Patrio¬ tismus manches dunkler und ärmer gezeigt haben, als es ist. Aber einige Vor¬ sicht und Nüchternheit wird nach seinem und des amerikanischen Diplomaten Zeugnis den Angaben Stanleys gegenüber am Orte sein. Das Paradies am Kongo ist auf alle Fälle nicht ganz so schön und reich, wie man vielfach an¬ nimmt, und die Konsumtionsfähigkeit seiner schwarzen Bewohner wird noch geraume Zeit viel zu wünschen übrig lassen. Auch sind wohl die Fragen er¬ laubt: Während in der ganzen Geschichte ein Staatsorganismus der obere Schlußstein und die Krönung vieljähriger Kulturbestrebungen war, soll er hier Grundstein sein? soll alles übrige erst nach folgen? Sieht das nicht fast wie verkehrte Welt aus? Für Deutschland hat das fast nur insofern Bedeutung, als wir uns freuen, daß die Gesittung auch von dieser Seite in das Innere von Afrika einzudringen und die Barbarei zu beseitigen anfängt. Viel Nutzen für uns werden wir davon nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/395>, abgerufen am 25.08.2024.