Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Das neue Königreich in Afrika.

zu Lande mit der Erfüllung der ersten Vorbedingungen eines Staatsbaues
begann. Die Gesellschaft entwickelte eine rege Thätigkeit, schloß nach und nach
gegen vierhundert Landkäufe mit Häuptlingen auf beiden Ufern des Kongo ab
und mußte sich zu diesem Zwecke genau über deren Namen, deren Stellung
und deren Besitzverhältnisse, über die Schissbarkeit des Stromes und seiner
Nebenflüsse, über die Natur an den Ufern und über die Mittel unterrichten,
mit welchen die mannichfach sich zeigenden Schwierigkeiten zu mildern oder ganz
zu überwinden waren. Sie hat in allen diesen Beziehungen in vergleichsweise
kurzer Zeit viel vor sich gebracht und sich längs des ganzen mittlern Laufes
des Stromes Ansehen erworben, sodaß ihre blaue Flagge mit dem gelben
Sterne von Locmgo bis nach Banana Point und von da noch einige sechzig
deutsche Meilen weiter ins Binnenland hinein geachtet ist. "Wir wurden, so
schreibt Delmar Morgan, der vor zwei Jahren den untern Kongo bereiste, den
Eingebornen als Kinder des Bulu Matadi (des Steinbrechers) vorgestellt, wie
mau Stanley wegen der außerordentlichen Anstrengungen nennt, mit denen er
und seine Schaar von hundertfünfzig Arbeitern sich durch die Wildnisse am Ufer
Wege zum Transport der Bestandteile der Dampfer bahnte, welche von Stanley-
Pool aufwärts fahren. Riesige Hindernisse waren dabei hinwegzuräumen,
Felsen zu sprengen und fortzuschaffen, mächtige Urwaldsbäume zu fällen, und
noch jetzt sieht man die tiefen Spuren im Boden, welche die breiten eisernen
Räder der Wagen zurückließen, auf denen die Kessel und die übrigen Bestand¬
teile der Boote herbeigeschafft wurden." Die Gesellschaft ist heute erloschen und
in das Königreich des Kongo aufgegangen, welches sein Entstehen zum guten
Teile der klugen Voraussicht des Fürsten Bismarck verdankt, der hier nicht
Zustände und Kämpfe sich entwickeln zu sehen wünschte, wie sie Europa im
Mittelalter, Amerika im vorigen Jahrhundert und Asien noch in unsern Tagen
erlebte. Er sah hier Portugiesen, Franzosen und die Internationale Gesellschaft
als Nebenbuhler auftreten, und so drang er nach Verständigung mit Frankreich
auf Abgrenzung namentlich der Westküste durch eine Konferenz, die alle Teile
befriedigte. Er war mich hier der große Erhalter des Friedens, obwohl er
nicht förmlich als Schiedsrichter das letzte Wort sprach.

Der Kongo ist ein Strom, der sich großer natürlicher Vorteile erfreut,
welche dem Lande, dessen Hauptverkehrsader er ist, wenn Wissenschaft und Kapital
ihm in genügendem Maße zu Hilfe kommen, rasches Aufblühen verheißen. Von
seiner Mündung kann jetzt ein Dampfer fünfundzwanzig deutsche Meilen hinauf¬
fahre", und am Endpunkte dieser Strecke, wo die Navigation von der See aus
aufhört, find Stationen und Niederlassungen, die zu dem neuen Staate gehören.
Von hier aus reist man elf Meilen zu Lande nach einer zweiten Station, wo
die Reisenden sich wieder einschiffen, um mit Dampfern oder Ruderbooten
achtzehn Meilen weiter flußaufwärts zu fahren und dann abermals zu Lande
zwanzig Meilen bis Leopoldsville zu reisen, welches zum Zentralpunkte für den


Das neue Königreich in Afrika.

zu Lande mit der Erfüllung der ersten Vorbedingungen eines Staatsbaues
begann. Die Gesellschaft entwickelte eine rege Thätigkeit, schloß nach und nach
gegen vierhundert Landkäufe mit Häuptlingen auf beiden Ufern des Kongo ab
und mußte sich zu diesem Zwecke genau über deren Namen, deren Stellung
und deren Besitzverhältnisse, über die Schissbarkeit des Stromes und seiner
Nebenflüsse, über die Natur an den Ufern und über die Mittel unterrichten,
mit welchen die mannichfach sich zeigenden Schwierigkeiten zu mildern oder ganz
zu überwinden waren. Sie hat in allen diesen Beziehungen in vergleichsweise
kurzer Zeit viel vor sich gebracht und sich längs des ganzen mittlern Laufes
des Stromes Ansehen erworben, sodaß ihre blaue Flagge mit dem gelben
Sterne von Locmgo bis nach Banana Point und von da noch einige sechzig
deutsche Meilen weiter ins Binnenland hinein geachtet ist. „Wir wurden, so
schreibt Delmar Morgan, der vor zwei Jahren den untern Kongo bereiste, den
Eingebornen als Kinder des Bulu Matadi (des Steinbrechers) vorgestellt, wie
mau Stanley wegen der außerordentlichen Anstrengungen nennt, mit denen er
und seine Schaar von hundertfünfzig Arbeitern sich durch die Wildnisse am Ufer
Wege zum Transport der Bestandteile der Dampfer bahnte, welche von Stanley-
Pool aufwärts fahren. Riesige Hindernisse waren dabei hinwegzuräumen,
Felsen zu sprengen und fortzuschaffen, mächtige Urwaldsbäume zu fällen, und
noch jetzt sieht man die tiefen Spuren im Boden, welche die breiten eisernen
Räder der Wagen zurückließen, auf denen die Kessel und die übrigen Bestand¬
teile der Boote herbeigeschafft wurden." Die Gesellschaft ist heute erloschen und
in das Königreich des Kongo aufgegangen, welches sein Entstehen zum guten
Teile der klugen Voraussicht des Fürsten Bismarck verdankt, der hier nicht
Zustände und Kämpfe sich entwickeln zu sehen wünschte, wie sie Europa im
Mittelalter, Amerika im vorigen Jahrhundert und Asien noch in unsern Tagen
erlebte. Er sah hier Portugiesen, Franzosen und die Internationale Gesellschaft
als Nebenbuhler auftreten, und so drang er nach Verständigung mit Frankreich
auf Abgrenzung namentlich der Westküste durch eine Konferenz, die alle Teile
befriedigte. Er war mich hier der große Erhalter des Friedens, obwohl er
nicht förmlich als Schiedsrichter das letzte Wort sprach.

Der Kongo ist ein Strom, der sich großer natürlicher Vorteile erfreut,
welche dem Lande, dessen Hauptverkehrsader er ist, wenn Wissenschaft und Kapital
ihm in genügendem Maße zu Hilfe kommen, rasches Aufblühen verheißen. Von
seiner Mündung kann jetzt ein Dampfer fünfundzwanzig deutsche Meilen hinauf¬
fahre», und am Endpunkte dieser Strecke, wo die Navigation von der See aus
aufhört, find Stationen und Niederlassungen, die zu dem neuen Staate gehören.
Von hier aus reist man elf Meilen zu Lande nach einer zweiten Station, wo
die Reisenden sich wieder einschiffen, um mit Dampfern oder Ruderbooten
achtzehn Meilen weiter flußaufwärts zu fahren und dann abermals zu Lande
zwanzig Meilen bis Leopoldsville zu reisen, welches zum Zentralpunkte für den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195781"/>
          <fw type="header" place="top"> Das neue Königreich in Afrika.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1368" prev="#ID_1367"> zu Lande mit der Erfüllung der ersten Vorbedingungen eines Staatsbaues<lb/>
begann. Die Gesellschaft entwickelte eine rege Thätigkeit, schloß nach und nach<lb/>
gegen vierhundert Landkäufe mit Häuptlingen auf beiden Ufern des Kongo ab<lb/>
und mußte sich zu diesem Zwecke genau über deren Namen, deren Stellung<lb/>
und deren Besitzverhältnisse, über die Schissbarkeit des Stromes und seiner<lb/>
Nebenflüsse, über die Natur an den Ufern und über die Mittel unterrichten,<lb/>
mit welchen die mannichfach sich zeigenden Schwierigkeiten zu mildern oder ganz<lb/>
zu überwinden waren. Sie hat in allen diesen Beziehungen in vergleichsweise<lb/>
kurzer Zeit viel vor sich gebracht und sich längs des ganzen mittlern Laufes<lb/>
des Stromes Ansehen erworben, sodaß ihre blaue Flagge mit dem gelben<lb/>
Sterne von Locmgo bis nach Banana Point und von da noch einige sechzig<lb/>
deutsche Meilen weiter ins Binnenland hinein geachtet ist. &#x201E;Wir wurden, so<lb/>
schreibt Delmar Morgan, der vor zwei Jahren den untern Kongo bereiste, den<lb/>
Eingebornen als Kinder des Bulu Matadi (des Steinbrechers) vorgestellt, wie<lb/>
mau Stanley wegen der außerordentlichen Anstrengungen nennt, mit denen er<lb/>
und seine Schaar von hundertfünfzig Arbeitern sich durch die Wildnisse am Ufer<lb/>
Wege zum Transport der Bestandteile der Dampfer bahnte, welche von Stanley-<lb/>
Pool aufwärts fahren. Riesige Hindernisse waren dabei hinwegzuräumen,<lb/>
Felsen zu sprengen und fortzuschaffen, mächtige Urwaldsbäume zu fällen, und<lb/>
noch jetzt sieht man die tiefen Spuren im Boden, welche die breiten eisernen<lb/>
Räder der Wagen zurückließen, auf denen die Kessel und die übrigen Bestand¬<lb/>
teile der Boote herbeigeschafft wurden." Die Gesellschaft ist heute erloschen und<lb/>
in das Königreich des Kongo aufgegangen, welches sein Entstehen zum guten<lb/>
Teile der klugen Voraussicht des Fürsten Bismarck verdankt, der hier nicht<lb/>
Zustände und Kämpfe sich entwickeln zu sehen wünschte, wie sie Europa im<lb/>
Mittelalter, Amerika im vorigen Jahrhundert und Asien noch in unsern Tagen<lb/>
erlebte. Er sah hier Portugiesen, Franzosen und die Internationale Gesellschaft<lb/>
als Nebenbuhler auftreten, und so drang er nach Verständigung mit Frankreich<lb/>
auf Abgrenzung namentlich der Westküste durch eine Konferenz, die alle Teile<lb/>
befriedigte. Er war mich hier der große Erhalter des Friedens, obwohl er<lb/>
nicht förmlich als Schiedsrichter das letzte Wort sprach.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1369" next="#ID_1370"> Der Kongo ist ein Strom, der sich großer natürlicher Vorteile erfreut,<lb/>
welche dem Lande, dessen Hauptverkehrsader er ist, wenn Wissenschaft und Kapital<lb/>
ihm in genügendem Maße zu Hilfe kommen, rasches Aufblühen verheißen. Von<lb/>
seiner Mündung kann jetzt ein Dampfer fünfundzwanzig deutsche Meilen hinauf¬<lb/>
fahre», und am Endpunkte dieser Strecke, wo die Navigation von der See aus<lb/>
aufhört, find Stationen und Niederlassungen, die zu dem neuen Staate gehören.<lb/>
Von hier aus reist man elf Meilen zu Lande nach einer zweiten Station, wo<lb/>
die Reisenden sich wieder einschiffen, um mit Dampfern oder Ruderbooten<lb/>
achtzehn Meilen weiter flußaufwärts zu fahren und dann abermals zu Lande<lb/>
zwanzig Meilen bis Leopoldsville zu reisen, welches zum Zentralpunkte für den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0392] Das neue Königreich in Afrika. zu Lande mit der Erfüllung der ersten Vorbedingungen eines Staatsbaues begann. Die Gesellschaft entwickelte eine rege Thätigkeit, schloß nach und nach gegen vierhundert Landkäufe mit Häuptlingen auf beiden Ufern des Kongo ab und mußte sich zu diesem Zwecke genau über deren Namen, deren Stellung und deren Besitzverhältnisse, über die Schissbarkeit des Stromes und seiner Nebenflüsse, über die Natur an den Ufern und über die Mittel unterrichten, mit welchen die mannichfach sich zeigenden Schwierigkeiten zu mildern oder ganz zu überwinden waren. Sie hat in allen diesen Beziehungen in vergleichsweise kurzer Zeit viel vor sich gebracht und sich längs des ganzen mittlern Laufes des Stromes Ansehen erworben, sodaß ihre blaue Flagge mit dem gelben Sterne von Locmgo bis nach Banana Point und von da noch einige sechzig deutsche Meilen weiter ins Binnenland hinein geachtet ist. „Wir wurden, so schreibt Delmar Morgan, der vor zwei Jahren den untern Kongo bereiste, den Eingebornen als Kinder des Bulu Matadi (des Steinbrechers) vorgestellt, wie mau Stanley wegen der außerordentlichen Anstrengungen nennt, mit denen er und seine Schaar von hundertfünfzig Arbeitern sich durch die Wildnisse am Ufer Wege zum Transport der Bestandteile der Dampfer bahnte, welche von Stanley- Pool aufwärts fahren. Riesige Hindernisse waren dabei hinwegzuräumen, Felsen zu sprengen und fortzuschaffen, mächtige Urwaldsbäume zu fällen, und noch jetzt sieht man die tiefen Spuren im Boden, welche die breiten eisernen Räder der Wagen zurückließen, auf denen die Kessel und die übrigen Bestand¬ teile der Boote herbeigeschafft wurden." Die Gesellschaft ist heute erloschen und in das Königreich des Kongo aufgegangen, welches sein Entstehen zum guten Teile der klugen Voraussicht des Fürsten Bismarck verdankt, der hier nicht Zustände und Kämpfe sich entwickeln zu sehen wünschte, wie sie Europa im Mittelalter, Amerika im vorigen Jahrhundert und Asien noch in unsern Tagen erlebte. Er sah hier Portugiesen, Franzosen und die Internationale Gesellschaft als Nebenbuhler auftreten, und so drang er nach Verständigung mit Frankreich auf Abgrenzung namentlich der Westküste durch eine Konferenz, die alle Teile befriedigte. Er war mich hier der große Erhalter des Friedens, obwohl er nicht förmlich als Schiedsrichter das letzte Wort sprach. Der Kongo ist ein Strom, der sich großer natürlicher Vorteile erfreut, welche dem Lande, dessen Hauptverkehrsader er ist, wenn Wissenschaft und Kapital ihm in genügendem Maße zu Hilfe kommen, rasches Aufblühen verheißen. Von seiner Mündung kann jetzt ein Dampfer fünfundzwanzig deutsche Meilen hinauf¬ fahre», und am Endpunkte dieser Strecke, wo die Navigation von der See aus aufhört, find Stationen und Niederlassungen, die zu dem neuen Staate gehören. Von hier aus reist man elf Meilen zu Lande nach einer zweiten Station, wo die Reisenden sich wieder einschiffen, um mit Dampfern oder Ruderbooten achtzehn Meilen weiter flußaufwärts zu fahren und dann abermals zu Lande zwanzig Meilen bis Leopoldsville zu reisen, welches zum Zentralpunkte für den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/392
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/392>, abgerufen am 22.07.2024.