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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Um eine perle.

als das, welches die Brust der Gottesmutter durchbohrte, blinkte ihr vor den
Augen. Endlich raffte sie sich wieder auf und ließ uach Pater Vigilio, ihrem
alten Beichtvater, senden.

Er kam, ließ sich die Vision erzählen, erwog lange und besorgten Gemüts,
was von der Sache zu halten sei, und blieb zweifelhaft. Er hatte ein zartes
Gewissen und fürchtete vor allem die schon genugsam mit Bedrängnissen be¬
schwerte noch tiefer in das Labyrinth innerer Widersprüche hineinzutreiben. Da
jedoch der Gedanke, schon unter dem Einfluß des Bösen den Traum geträumt
zu haben, ihren Verstand schier zu verwirren drohte, so führte er endlich die
Vision wohl zwar auf eine himmlische Quelle zurück, deutete aber an, möglich
sei immerhin, daß jene Gebetsäumnis ihr Fassungsvermögen für die Redeweise
so heiliger Personen etwas getrübt habe, daß also recht sehr zu bedenken sei,
ob Florida blindlings befolgen dürfe, was sie an Weisungen vernommen zu
haben wähne.

Aber mein Vater muß doch gerettet werden! rief Florida und rang die
Hände, es giebt ja für ihn keine andre Hilfe! Freilich, er hat meinen Giuseppe
erschlagen und ich würde nicht imstande sein, ihm ohne Schaudern die Hand
zu drücken. Aber ist er nicht dennoch mein Vater? bin ich nicht seine Tochter?
und darf ichs geschehen lassen, daß man ihn dem Scharfrichter überliefert?

Er darf allerdings nicht sterben, mein armes Kind, stimmte Pater Vigilio bei
und schüttelte in ratloser Verlegenheit den Kopf, aber er vermochte dennoch nicht
das entscheidende Wort zu sprechen; die Frist ist ja noch nicht abgelaufen, sagte
er zuletzt, wer weiß, wie die heilige Schmerzensmutter noch den Sinn unsrer
Feinde wenden wird!

So empfahl er ihr denn, fleißige Bittgänge zu machen, und versprach ihr,
auch er wolle im Gebete sich die Kniee Wundknieen und die Hände wnndringen.
Die Zeit der Mirakel ist ja noch keineswegs vorbei, sagte er, wie sündhaft fest
die Schwachgläubigen auch die Augen schließen. Hoffe auf die Güte des Himmels.
Es wird noch alles gut werden.




Zweiundzwanzigstes Aapitel.

Tag für Tag pilgerte Florida nun dichtverschleiert von einer Kirche zur
andern; anfangs war die seit jenem Schrcckensabend nicht aus dem Seufzen
und Weinen herausgekommene Friaulerin hinter ihr dreingezogen, aber ihr
lautes Jammern störte nicht nur die Andacht Floridas, die Gegner der
Buonacolsis nahmen auch Anstoß daran, und so entsagte Florida dem Geleit
Eufemias.

Darüber war der letzte von den siebzehn Aufschnbtagen herangekommen,
welche das Gericht bewilligt hatte. Je längere Zeit seit dem vielverheißendcn
Traume verstrichen war, destomehr war Floridas Glaube, daß es mehr als


Um eine perle.

als das, welches die Brust der Gottesmutter durchbohrte, blinkte ihr vor den
Augen. Endlich raffte sie sich wieder auf und ließ uach Pater Vigilio, ihrem
alten Beichtvater, senden.

Er kam, ließ sich die Vision erzählen, erwog lange und besorgten Gemüts,
was von der Sache zu halten sei, und blieb zweifelhaft. Er hatte ein zartes
Gewissen und fürchtete vor allem die schon genugsam mit Bedrängnissen be¬
schwerte noch tiefer in das Labyrinth innerer Widersprüche hineinzutreiben. Da
jedoch der Gedanke, schon unter dem Einfluß des Bösen den Traum geträumt
zu haben, ihren Verstand schier zu verwirren drohte, so führte er endlich die
Vision wohl zwar auf eine himmlische Quelle zurück, deutete aber an, möglich
sei immerhin, daß jene Gebetsäumnis ihr Fassungsvermögen für die Redeweise
so heiliger Personen etwas getrübt habe, daß also recht sehr zu bedenken sei,
ob Florida blindlings befolgen dürfe, was sie an Weisungen vernommen zu
haben wähne.

Aber mein Vater muß doch gerettet werden! rief Florida und rang die
Hände, es giebt ja für ihn keine andre Hilfe! Freilich, er hat meinen Giuseppe
erschlagen und ich würde nicht imstande sein, ihm ohne Schaudern die Hand
zu drücken. Aber ist er nicht dennoch mein Vater? bin ich nicht seine Tochter?
und darf ichs geschehen lassen, daß man ihn dem Scharfrichter überliefert?

Er darf allerdings nicht sterben, mein armes Kind, stimmte Pater Vigilio bei
und schüttelte in ratloser Verlegenheit den Kopf, aber er vermochte dennoch nicht
das entscheidende Wort zu sprechen; die Frist ist ja noch nicht abgelaufen, sagte
er zuletzt, wer weiß, wie die heilige Schmerzensmutter noch den Sinn unsrer
Feinde wenden wird!

So empfahl er ihr denn, fleißige Bittgänge zu machen, und versprach ihr,
auch er wolle im Gebete sich die Kniee Wundknieen und die Hände wnndringen.
Die Zeit der Mirakel ist ja noch keineswegs vorbei, sagte er, wie sündhaft fest
die Schwachgläubigen auch die Augen schließen. Hoffe auf die Güte des Himmels.
Es wird noch alles gut werden.




Zweiundzwanzigstes Aapitel.

Tag für Tag pilgerte Florida nun dichtverschleiert von einer Kirche zur
andern; anfangs war die seit jenem Schrcckensabend nicht aus dem Seufzen
und Weinen herausgekommene Friaulerin hinter ihr dreingezogen, aber ihr
lautes Jammern störte nicht nur die Andacht Floridas, die Gegner der
Buonacolsis nahmen auch Anstoß daran, und so entsagte Florida dem Geleit
Eufemias.

Darüber war der letzte von den siebzehn Aufschnbtagen herangekommen,
welche das Gericht bewilligt hatte. Je längere Zeit seit dem vielverheißendcn
Traume verstrichen war, destomehr war Floridas Glaube, daß es mehr als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/381>, abgerufen am 22.07.2024.