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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Friede bis aus weiteres.

heute, da Rußland heute nicht an den sofortigen Erwerb Heines dachte, wohl aber
für die Zukunft, welche Nußland besser vorbereitet sehen und dann nicht lauge
auf Gelegenheit warten lassen wird, das jetzt von England erlangte zu benutzen.

England hat klein beigegeben, es schickt nun keine Verstärkungen nach In¬
dien, es steckt den Säbel in die Scheide, mit dem es gerasselt hat. Selbst¬
erkenntnis lehrte, daß er nicht lang und scharf genug zu erfolgreichem Ge¬
brauch war, und die Völker Turkestans, Afghanistans und Indiens werden
davon Akt nehmen, sie werden sich auf den Bazaren dort erzählen, hier aus den
Zeitungen erfahren, daß die "Urnssi," mächtiger als ihre Nebenbuhler, die
"Firindschi," wieder einen Fortschritt nach Süden hin in der langen Reihe ihrer
Fortschritte nach dieser Richtung hin zu verzeichnen haben, und das Bewußtsein,
daß Rußland hier wie eine unwiderstehliche Naturkraft wirkt, langsam zwar,
aber sicher, wird sich über immer weitere Kreise verbreiten. Zunächst in Af¬
ghanistan, wo es das Jahr 1878 und die russische Politik, die schir Ali erst
gegen die Engländer aufstachelte und dann im Stiche ließ, vergessen lassen
wird, und wo man Gelegenheit hat, zu erfahren, daß diese Naturmacht auch
wohlthätige Eigenschaften hat. Die Afghanen sind fanatische Muslime, denen
die Herrschaft der russischen "Fakirs" an sich nicht weniger verhaßt ist als die
der englischen. Aber ein Vergleich ihrer Zustände mit denen im benachbarten
Turkestan und Fergana, diesen neuen russischen Provinzen, kann den Verstän¬
digen und Weiterblickenden die Herrschaft oder den Einfluß der Russen durchaus
nicht hassenswert erscheinen lassen. Was wir im Westen auch von Rußlands
Wesen und Wirken halten mögen, in Asien hat es allenthalben nach seinen Er¬
oberungen reformntorisch, ordnend, bessernd gewirkt, Barbarei beseitigt, Willkür
gezähmt, Recht an die Stelle von Unrecht gebracht, Frieden geschaffen und
durch verständige Einrichtungen die Wohlfahrt des Landes gehoben. Afgha¬
nistan ist, wie einst die Usbekenchanate am Oxus, despotisch, tyrannisch, nach
Laune regiert, die Ruhe wird stets durch Parteiungen, durch die Möglichkeit
von Aufständen ehrgeiziger Chane und Serdare bedroht, räuberische Stämme
Verödeten und entvölkerten bisher namentlich den Nordwesten, der einst, fruchtbar
wie er ist, blühende Städte und Landschaften aufwies. Mit den Russen wird,
wie im Norden des Ann Darja, so auch in: Süden, zunächst in den Ländern
zwischen Margab und Herirud, die Ordnung, der Friede, die Sicherheit vor
gewaltthätigen Häuptlingen und Stämmen, kurz, die Zivilisation einziehen, totes
Land wird wieder aufleben, blühen und Frucht trcigcu, und es kann nicht fehlen,
daß die Kunde hiervon nach Süden hin sich verbreiten und die Gemüter für
Rußland günstig stimmen und weiterer Annexion die Wege ebnen wird. Daß
die russische Regierung bei dem bevorstehenden Abkommen sich für alle Fälle
verpflichten werde, davon abzusehen, ja daß sie dies könne, ist Aberglaube, der
die nächste Vergangenheit vergessen hat und mit dem nicht zu reden ist.




Friede bis aus weiteres.

heute, da Rußland heute nicht an den sofortigen Erwerb Heines dachte, wohl aber
für die Zukunft, welche Nußland besser vorbereitet sehen und dann nicht lauge
auf Gelegenheit warten lassen wird, das jetzt von England erlangte zu benutzen.

England hat klein beigegeben, es schickt nun keine Verstärkungen nach In¬
dien, es steckt den Säbel in die Scheide, mit dem es gerasselt hat. Selbst¬
erkenntnis lehrte, daß er nicht lang und scharf genug zu erfolgreichem Ge¬
brauch war, und die Völker Turkestans, Afghanistans und Indiens werden
davon Akt nehmen, sie werden sich auf den Bazaren dort erzählen, hier aus den
Zeitungen erfahren, daß die „Urnssi," mächtiger als ihre Nebenbuhler, die
„Firindschi," wieder einen Fortschritt nach Süden hin in der langen Reihe ihrer
Fortschritte nach dieser Richtung hin zu verzeichnen haben, und das Bewußtsein,
daß Rußland hier wie eine unwiderstehliche Naturkraft wirkt, langsam zwar,
aber sicher, wird sich über immer weitere Kreise verbreiten. Zunächst in Af¬
ghanistan, wo es das Jahr 1878 und die russische Politik, die schir Ali erst
gegen die Engländer aufstachelte und dann im Stiche ließ, vergessen lassen
wird, und wo man Gelegenheit hat, zu erfahren, daß diese Naturmacht auch
wohlthätige Eigenschaften hat. Die Afghanen sind fanatische Muslime, denen
die Herrschaft der russischen „Fakirs" an sich nicht weniger verhaßt ist als die
der englischen. Aber ein Vergleich ihrer Zustände mit denen im benachbarten
Turkestan und Fergana, diesen neuen russischen Provinzen, kann den Verstän¬
digen und Weiterblickenden die Herrschaft oder den Einfluß der Russen durchaus
nicht hassenswert erscheinen lassen. Was wir im Westen auch von Rußlands
Wesen und Wirken halten mögen, in Asien hat es allenthalben nach seinen Er¬
oberungen reformntorisch, ordnend, bessernd gewirkt, Barbarei beseitigt, Willkür
gezähmt, Recht an die Stelle von Unrecht gebracht, Frieden geschaffen und
durch verständige Einrichtungen die Wohlfahrt des Landes gehoben. Afgha¬
nistan ist, wie einst die Usbekenchanate am Oxus, despotisch, tyrannisch, nach
Laune regiert, die Ruhe wird stets durch Parteiungen, durch die Möglichkeit
von Aufständen ehrgeiziger Chane und Serdare bedroht, räuberische Stämme
Verödeten und entvölkerten bisher namentlich den Nordwesten, der einst, fruchtbar
wie er ist, blühende Städte und Landschaften aufwies. Mit den Russen wird,
wie im Norden des Ann Darja, so auch in: Süden, zunächst in den Ländern
zwischen Margab und Herirud, die Ordnung, der Friede, die Sicherheit vor
gewaltthätigen Häuptlingen und Stämmen, kurz, die Zivilisation einziehen, totes
Land wird wieder aufleben, blühen und Frucht trcigcu, und es kann nicht fehlen,
daß die Kunde hiervon nach Süden hin sich verbreiten und die Gemüter für
Rußland günstig stimmen und weiterer Annexion die Wege ebnen wird. Daß
die russische Regierung bei dem bevorstehenden Abkommen sich für alle Fälle
verpflichten werde, davon abzusehen, ja daß sie dies könne, ist Aberglaube, der
die nächste Vergangenheit vergessen hat und mit dem nicht zu reden ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/376>, abgerufen am 22.07.2024.