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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Friede bis auf weiteres.

berufuug. An seine Stelle wird Oberst Ridgway treten. Die englische Eskorte,
welche die britischen Grenzkommissäre von Quella bis an den Herirud und Margab
begleitete und ein kleines Heer von 1200 Reitern bildete, wird, wie Lord Fitz-
maurice im Parlamente ankündigte, nur "teilweise" bei Ridgway verbleiben, was
mit der ferneren Erklärung desselben, der Zeitpunkt für die Rückkehr dieser Truppen
nach Indien sei noch nicht bestimmt, zu denken giebt, wenn man sich erinnert, daß
die russische Negierung in der Absendung dieser Eskorte ein bedenkliches Vorgehen
Englands in einer friedlich zu erledigenden Angelegenheit erblickt hatte.

Gleichen Anlaß zu allerlei Betrachtungen gab die Äußerung, welche Glnd-
stone im Unterhause that, als derselbe durch seiue Eröffnung des "ehrenvollen
Ausgleichs mit Nußland" eine stürmische Debatte hervorgerufen hatte, Lord
Churchill nannte den Kompromiß -- etwas überkräftig und allzueifrig -- ein
feigherziges Kapituliren, durch welches England der Achtung des indischen Volkes
verlustig gehen werde. Von den Bänken der Negierung ans erwiederte ihm
Trevelyan, schon Beaconsfield habe gemeint, daß Asien groß genug für die Eng¬
länder und die Russen sei, und die Herstellung einer endgiltigen Grenzzone durch
Verständigung werde für Judien besser sein, als das Wagnis eines Marsches
britischer Truppen nach Turkestan, wo Rußland ihnen jedenfalls mit stärkern
Streitkräften entgegentreten könne. Labouchere stellte den Antrag, den von
Gladstone verlangten Kredit von 11 Millionen Pfund Sterling auf 4 Millionen
herabzusetzen, andre Abgeordnete empfahlen Vertagung der zweiten Lesung
der Kreditvvrlagc. Da rückte der Premier mit dem. Geständnis heraus, daß
der Emir von Afghanistan garnicht den Wunsch hege, eine weiter nach Norden
gerückte Grenze für sein Land zu haben, woran Herr Gladstone die Frage
knüpfte, wer wohl behaupten könne, daß es Pflicht der englischen Regierung
gewesen sei, für Afghanistan etwas zu fordern und nötigenfalls mit Gewalt
durchzusetzen, was dessen Herrscher gar nicht wolle? Das lautete sehr über¬
zeugend, aber Lord Dufferin wird davon mit Befremden vernommen haben.
Hatte man sich cnglischerseits denn wirklich bloß für die Wünsche und Interessen
des Emirs in Kabul echauffirt, und nicht vielmehr, in erster Linie, sür die
Sicherung Indiens gegen einen russischen Vormarsch über Herat und Kandahar
nach dem Indus? Und wenn das anders war -- warum mischte man sich
überhaupt mit solchem Eifer diplomatisch und militärisch (durch Absendung einer
Eskorte, die fast eine Armee war) in eine Angelegenheit, die eigentlich nur die
beiden Nachbarreiche Rußland und Afghanistan anging und somit zwischen diesen
zu verhandeln und zu schlichten war? Fürwahr, Herr Gladstone hätte mit
dieser Erklärung, wenn sie nicht bloß eine Ausflucht, ein Bemänteln und Ver¬
stecken seines Wollens und Nichtkönnens wäre, seine ganze bisherige Politik in
der mittelasiatischen Frage als unnötig verurteilt.

Sie war aber in Wahrheit nicht unnötig, nur erfolglos. Man hatte
Rußlands Absichten hier mit gutem Grunde zu fürchten, wenn auch nicht für


Friede bis auf weiteres.

berufuug. An seine Stelle wird Oberst Ridgway treten. Die englische Eskorte,
welche die britischen Grenzkommissäre von Quella bis an den Herirud und Margab
begleitete und ein kleines Heer von 1200 Reitern bildete, wird, wie Lord Fitz-
maurice im Parlamente ankündigte, nur „teilweise" bei Ridgway verbleiben, was
mit der ferneren Erklärung desselben, der Zeitpunkt für die Rückkehr dieser Truppen
nach Indien sei noch nicht bestimmt, zu denken giebt, wenn man sich erinnert, daß
die russische Negierung in der Absendung dieser Eskorte ein bedenkliches Vorgehen
Englands in einer friedlich zu erledigenden Angelegenheit erblickt hatte.

Gleichen Anlaß zu allerlei Betrachtungen gab die Äußerung, welche Glnd-
stone im Unterhause that, als derselbe durch seiue Eröffnung des „ehrenvollen
Ausgleichs mit Nußland" eine stürmische Debatte hervorgerufen hatte, Lord
Churchill nannte den Kompromiß — etwas überkräftig und allzueifrig — ein
feigherziges Kapituliren, durch welches England der Achtung des indischen Volkes
verlustig gehen werde. Von den Bänken der Negierung ans erwiederte ihm
Trevelyan, schon Beaconsfield habe gemeint, daß Asien groß genug für die Eng¬
länder und die Russen sei, und die Herstellung einer endgiltigen Grenzzone durch
Verständigung werde für Judien besser sein, als das Wagnis eines Marsches
britischer Truppen nach Turkestan, wo Rußland ihnen jedenfalls mit stärkern
Streitkräften entgegentreten könne. Labouchere stellte den Antrag, den von
Gladstone verlangten Kredit von 11 Millionen Pfund Sterling auf 4 Millionen
herabzusetzen, andre Abgeordnete empfahlen Vertagung der zweiten Lesung
der Kreditvvrlagc. Da rückte der Premier mit dem. Geständnis heraus, daß
der Emir von Afghanistan garnicht den Wunsch hege, eine weiter nach Norden
gerückte Grenze für sein Land zu haben, woran Herr Gladstone die Frage
knüpfte, wer wohl behaupten könne, daß es Pflicht der englischen Regierung
gewesen sei, für Afghanistan etwas zu fordern und nötigenfalls mit Gewalt
durchzusetzen, was dessen Herrscher gar nicht wolle? Das lautete sehr über¬
zeugend, aber Lord Dufferin wird davon mit Befremden vernommen haben.
Hatte man sich cnglischerseits denn wirklich bloß für die Wünsche und Interessen
des Emirs in Kabul echauffirt, und nicht vielmehr, in erster Linie, sür die
Sicherung Indiens gegen einen russischen Vormarsch über Herat und Kandahar
nach dem Indus? Und wenn das anders war — warum mischte man sich
überhaupt mit solchem Eifer diplomatisch und militärisch (durch Absendung einer
Eskorte, die fast eine Armee war) in eine Angelegenheit, die eigentlich nur die
beiden Nachbarreiche Rußland und Afghanistan anging und somit zwischen diesen
zu verhandeln und zu schlichten war? Fürwahr, Herr Gladstone hätte mit
dieser Erklärung, wenn sie nicht bloß eine Ausflucht, ein Bemänteln und Ver¬
stecken seines Wollens und Nichtkönnens wäre, seine ganze bisherige Politik in
der mittelasiatischen Frage als unnötig verurteilt.

Sie war aber in Wahrheit nicht unnötig, nur erfolglos. Man hatte
Rußlands Absichten hier mit gutem Grunde zu fürchten, wenn auch nicht für


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[0375] Friede bis auf weiteres. berufuug. An seine Stelle wird Oberst Ridgway treten. Die englische Eskorte, welche die britischen Grenzkommissäre von Quella bis an den Herirud und Margab begleitete und ein kleines Heer von 1200 Reitern bildete, wird, wie Lord Fitz- maurice im Parlamente ankündigte, nur „teilweise" bei Ridgway verbleiben, was mit der ferneren Erklärung desselben, der Zeitpunkt für die Rückkehr dieser Truppen nach Indien sei noch nicht bestimmt, zu denken giebt, wenn man sich erinnert, daß die russische Negierung in der Absendung dieser Eskorte ein bedenkliches Vorgehen Englands in einer friedlich zu erledigenden Angelegenheit erblickt hatte. Gleichen Anlaß zu allerlei Betrachtungen gab die Äußerung, welche Glnd- stone im Unterhause that, als derselbe durch seiue Eröffnung des „ehrenvollen Ausgleichs mit Nußland" eine stürmische Debatte hervorgerufen hatte, Lord Churchill nannte den Kompromiß — etwas überkräftig und allzueifrig — ein feigherziges Kapituliren, durch welches England der Achtung des indischen Volkes verlustig gehen werde. Von den Bänken der Negierung ans erwiederte ihm Trevelyan, schon Beaconsfield habe gemeint, daß Asien groß genug für die Eng¬ länder und die Russen sei, und die Herstellung einer endgiltigen Grenzzone durch Verständigung werde für Judien besser sein, als das Wagnis eines Marsches britischer Truppen nach Turkestan, wo Rußland ihnen jedenfalls mit stärkern Streitkräften entgegentreten könne. Labouchere stellte den Antrag, den von Gladstone verlangten Kredit von 11 Millionen Pfund Sterling auf 4 Millionen herabzusetzen, andre Abgeordnete empfahlen Vertagung der zweiten Lesung der Kreditvvrlagc. Da rückte der Premier mit dem. Geständnis heraus, daß der Emir von Afghanistan garnicht den Wunsch hege, eine weiter nach Norden gerückte Grenze für sein Land zu haben, woran Herr Gladstone die Frage knüpfte, wer wohl behaupten könne, daß es Pflicht der englischen Regierung gewesen sei, für Afghanistan etwas zu fordern und nötigenfalls mit Gewalt durchzusetzen, was dessen Herrscher gar nicht wolle? Das lautete sehr über¬ zeugend, aber Lord Dufferin wird davon mit Befremden vernommen haben. Hatte man sich cnglischerseits denn wirklich bloß für die Wünsche und Interessen des Emirs in Kabul echauffirt, und nicht vielmehr, in erster Linie, sür die Sicherung Indiens gegen einen russischen Vormarsch über Herat und Kandahar nach dem Indus? Und wenn das anders war — warum mischte man sich überhaupt mit solchem Eifer diplomatisch und militärisch (durch Absendung einer Eskorte, die fast eine Armee war) in eine Angelegenheit, die eigentlich nur die beiden Nachbarreiche Rußland und Afghanistan anging und somit zwischen diesen zu verhandeln und zu schlichten war? Fürwahr, Herr Gladstone hätte mit dieser Erklärung, wenn sie nicht bloß eine Ausflucht, ein Bemänteln und Ver¬ stecken seines Wollens und Nichtkönnens wäre, seine ganze bisherige Politik in der mittelasiatischen Frage als unnötig verurteilt. Sie war aber in Wahrheit nicht unnötig, nur erfolglos. Man hatte Rußlands Absichten hier mit gutem Grunde zu fürchten, wenn auch nicht für

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/375>, abgerufen am 22.07.2024.