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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Ausdrucksmittel der Baukunst.

Werke entbehren eines Inhalts, wie ihn die Schöpfungen der Schwesterkünste,
der Plastik und der Malerei, besitzen; in der Natur haben die architektonischen
Formen, wie die musikalischen, kein bestimmtes, individuelles Vorbild, Insofern
ist der architektonische Ausdruck, wie der musikalische, unbestimmt zu nennen,
und eben deshalb ist er, wie dieser, so vielfach willkürlichen Interpretationen
ausgesetzt.

Inhaltlos in dem bezeichneten Sinne, ist die Sprache der Baukunst gleich¬
wohl an Gehalt und Bedeutung nicht minder reich als die aller übrigen Künste.
Wenn das künstlerische Schaffen einer Zeit in seinein innern Zusammenhange
mit den allgemeinen Knltnrznstcinden geschildert werden soll, pflegt die Architektur
mit Recht als diejenige Kunst in den Vordergrund gestellt zu werden, in welcher
sich die allgemeine Geistesrichtung der Epoche recht eigentlich in typischer Weise
ausprägt; die kuustphilosophischeu und kunstgeschichtlichen Erörterungen über
diese typische Bedeutung der Architektur gehören zum Teil zu dem Geistvollsten
und Tiefsinnigsten, was über Kunst geschrieben worden ist, während es andrer¬
seits freilich nicht ein Beispiele" fehlt, daß sich die kunstwissenschaftliche Dar¬
stellung gerade in dieser Beziehung ans bedenkliche Wege verirrt; die Ver-
gleichung der Architekturformen mit den Formen der allgemeinen Gesittung nud
Bildung läuft nicht selten auf ein Spiel mit ziemlich oberflächlichen Ähnlich¬
keiten hinaus, und oft genug ist bemerkt worden, daß der Dilettantismus auf
kunstgeschichtlichen Gebiete sich gerade in solchen "kulturhistorischen Parallelen"
besonders gefällt. Die Thatsache aber, daß die Architektur, wie keine andre
Kunstform, befähigt ist, den Gesnmtcharaktcr einer Knlturepoche zu versinnlichen,
wird niemand bezweifeln. In der Vorstellung eines antiken Tempels, einer
gothischen Kathedrale wird sofort das Bild eines eigentümlichen geschichtlichen
Zustandes in seineu große" und allgemeinen Zügen mit prägnanter Deutlich¬
keit lebendig; der in diesem Sinne typischen Formenwelt der Architektur ordnen
sich die Gestaltungen der übrigen Künste als organische Glieder ein.

Nicht bestimmte Gedanken, nicht bestimmte Vorstellungen, von denen ein
Zeitalter beherrscht ist, kommen in der Architektur zum Ausdruck. Von dem
konkreten Inhalt des Zeitbewußtseins kaun sie nur, wie Bischer in seiner
Ästhetik sagt, "das Allgemeine, einen gewissen Ton, das Stimmungselement ab¬
lösen und für sich herausnehmen, um es zum Ausdruck zu bringen." Die
Frage, wie dies geschieht, wie das, was in solchem Sinne der Inhalt der archi¬
tektonischen Formen genannt werden kann, in ihnen wirklich ausgesprochen, uicht
bloß allegorisch angedeutet wird, die Frage nach der Eigentümlichkeit des künst¬
lerischen Prozesses, in welchem die Phantasie jenes Allgemeine in architektonischen
Linien und Massen zur Erscheinung bringt, führt in letzter Instanz auf die
Frage nach der symbolischen Kraft finnenfälliger Formen überhaupt, die in
ähnliche Tiefen hinabweist wie die Probleme der sprachphilosophischen For¬
schung.


Die Ausdrucksmittel der Baukunst.

Werke entbehren eines Inhalts, wie ihn die Schöpfungen der Schwesterkünste,
der Plastik und der Malerei, besitzen; in der Natur haben die architektonischen
Formen, wie die musikalischen, kein bestimmtes, individuelles Vorbild, Insofern
ist der architektonische Ausdruck, wie der musikalische, unbestimmt zu nennen,
und eben deshalb ist er, wie dieser, so vielfach willkürlichen Interpretationen
ausgesetzt.

Inhaltlos in dem bezeichneten Sinne, ist die Sprache der Baukunst gleich¬
wohl an Gehalt und Bedeutung nicht minder reich als die aller übrigen Künste.
Wenn das künstlerische Schaffen einer Zeit in seinein innern Zusammenhange
mit den allgemeinen Knltnrznstcinden geschildert werden soll, pflegt die Architektur
mit Recht als diejenige Kunst in den Vordergrund gestellt zu werden, in welcher
sich die allgemeine Geistesrichtung der Epoche recht eigentlich in typischer Weise
ausprägt; die kuustphilosophischeu und kunstgeschichtlichen Erörterungen über
diese typische Bedeutung der Architektur gehören zum Teil zu dem Geistvollsten
und Tiefsinnigsten, was über Kunst geschrieben worden ist, während es andrer¬
seits freilich nicht ein Beispiele» fehlt, daß sich die kunstwissenschaftliche Dar¬
stellung gerade in dieser Beziehung ans bedenkliche Wege verirrt; die Ver-
gleichung der Architekturformen mit den Formen der allgemeinen Gesittung nud
Bildung läuft nicht selten auf ein Spiel mit ziemlich oberflächlichen Ähnlich¬
keiten hinaus, und oft genug ist bemerkt worden, daß der Dilettantismus auf
kunstgeschichtlichen Gebiete sich gerade in solchen „kulturhistorischen Parallelen"
besonders gefällt. Die Thatsache aber, daß die Architektur, wie keine andre
Kunstform, befähigt ist, den Gesnmtcharaktcr einer Knlturepoche zu versinnlichen,
wird niemand bezweifeln. In der Vorstellung eines antiken Tempels, einer
gothischen Kathedrale wird sofort das Bild eines eigentümlichen geschichtlichen
Zustandes in seineu große» und allgemeinen Zügen mit prägnanter Deutlich¬
keit lebendig; der in diesem Sinne typischen Formenwelt der Architektur ordnen
sich die Gestaltungen der übrigen Künste als organische Glieder ein.

Nicht bestimmte Gedanken, nicht bestimmte Vorstellungen, von denen ein
Zeitalter beherrscht ist, kommen in der Architektur zum Ausdruck. Von dem
konkreten Inhalt des Zeitbewußtseins kaun sie nur, wie Bischer in seiner
Ästhetik sagt, „das Allgemeine, einen gewissen Ton, das Stimmungselement ab¬
lösen und für sich herausnehmen, um es zum Ausdruck zu bringen." Die
Frage, wie dies geschieht, wie das, was in solchem Sinne der Inhalt der archi¬
tektonischen Formen genannt werden kann, in ihnen wirklich ausgesprochen, uicht
bloß allegorisch angedeutet wird, die Frage nach der Eigentümlichkeit des künst¬
lerischen Prozesses, in welchem die Phantasie jenes Allgemeine in architektonischen
Linien und Massen zur Erscheinung bringt, führt in letzter Instanz auf die
Frage nach der symbolischen Kraft finnenfälliger Formen überhaupt, die in
ähnliche Tiefen hinabweist wie die Probleme der sprachphilosophischen For¬
schung.


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[0369] Die Ausdrucksmittel der Baukunst. Werke entbehren eines Inhalts, wie ihn die Schöpfungen der Schwesterkünste, der Plastik und der Malerei, besitzen; in der Natur haben die architektonischen Formen, wie die musikalischen, kein bestimmtes, individuelles Vorbild, Insofern ist der architektonische Ausdruck, wie der musikalische, unbestimmt zu nennen, und eben deshalb ist er, wie dieser, so vielfach willkürlichen Interpretationen ausgesetzt. Inhaltlos in dem bezeichneten Sinne, ist die Sprache der Baukunst gleich¬ wohl an Gehalt und Bedeutung nicht minder reich als die aller übrigen Künste. Wenn das künstlerische Schaffen einer Zeit in seinein innern Zusammenhange mit den allgemeinen Knltnrznstcinden geschildert werden soll, pflegt die Architektur mit Recht als diejenige Kunst in den Vordergrund gestellt zu werden, in welcher sich die allgemeine Geistesrichtung der Epoche recht eigentlich in typischer Weise ausprägt; die kuustphilosophischeu und kunstgeschichtlichen Erörterungen über diese typische Bedeutung der Architektur gehören zum Teil zu dem Geistvollsten und Tiefsinnigsten, was über Kunst geschrieben worden ist, während es andrer¬ seits freilich nicht ein Beispiele» fehlt, daß sich die kunstwissenschaftliche Dar¬ stellung gerade in dieser Beziehung ans bedenkliche Wege verirrt; die Ver- gleichung der Architekturformen mit den Formen der allgemeinen Gesittung nud Bildung läuft nicht selten auf ein Spiel mit ziemlich oberflächlichen Ähnlich¬ keiten hinaus, und oft genug ist bemerkt worden, daß der Dilettantismus auf kunstgeschichtlichen Gebiete sich gerade in solchen „kulturhistorischen Parallelen" besonders gefällt. Die Thatsache aber, daß die Architektur, wie keine andre Kunstform, befähigt ist, den Gesnmtcharaktcr einer Knlturepoche zu versinnlichen, wird niemand bezweifeln. In der Vorstellung eines antiken Tempels, einer gothischen Kathedrale wird sofort das Bild eines eigentümlichen geschichtlichen Zustandes in seineu große» und allgemeinen Zügen mit prägnanter Deutlich¬ keit lebendig; der in diesem Sinne typischen Formenwelt der Architektur ordnen sich die Gestaltungen der übrigen Künste als organische Glieder ein. Nicht bestimmte Gedanken, nicht bestimmte Vorstellungen, von denen ein Zeitalter beherrscht ist, kommen in der Architektur zum Ausdruck. Von dem konkreten Inhalt des Zeitbewußtseins kaun sie nur, wie Bischer in seiner Ästhetik sagt, „das Allgemeine, einen gewissen Ton, das Stimmungselement ab¬ lösen und für sich herausnehmen, um es zum Ausdruck zu bringen." Die Frage, wie dies geschieht, wie das, was in solchem Sinne der Inhalt der archi¬ tektonischen Formen genannt werden kann, in ihnen wirklich ausgesprochen, uicht bloß allegorisch angedeutet wird, die Frage nach der Eigentümlichkeit des künst¬ lerischen Prozesses, in welchem die Phantasie jenes Allgemeine in architektonischen Linien und Massen zur Erscheinung bringt, führt in letzter Instanz auf die Frage nach der symbolischen Kraft finnenfälliger Formen überhaupt, die in ähnliche Tiefen hinabweist wie die Probleme der sprachphilosophischen For¬ schung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/369>, abgerufen am 22.07.2024.