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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Alles weiß ich, aber wenn du mich totschlägst -- ich fahre mit dir nach
Nußland.

So gingen beide nach Spaßkvje, dessen Gebieterin den Studenten der Me¬
dizin in einer guten Stunde zu ihrem Leibarzt ernannte. Kndrjaschcw setzte
später seine Studien in Moskau fort, erwarb ein Patent als Zahnarzt und
ward in seiner Heimat ein gesuchter Arzt. Iwan Turgenjew, mit dem er im
Auslande auf dem Fuße vollkommener Gleichheit gelebt hatte, wurde von ihm
in Rußland nie anders denn als "Bärin," "gnädiger Herr," behandelt, wobei
sich in die freiwillige Unterordnung eine gewisse gutmütige Ironie mischte.
Turgenjew seinerseits hat seinen Porfiri niemals verleugnet und behandelte ihn
in Gesellschaft stets als vvllbürtig. Kudrjaschew war äußerlich seinem ältern
Halbbruder sehr ähnlich, nur war er noch höher und breiter als Iwan Ser-
gejewitsch und außerordentlich dick. Er sang vortrefflich und spielte meisterhaft
ans der Guitarre. Im übrigen war seine Hauptleidenschaft das Essen. Als
er mit Turgenjew in Deutschland weilte, schlug er dessen Einladungen zu Tische
regelmäßig aus. "Eure Hcrrenkvst, Pflegte er zu sagen, sagt meinem Magen
nicht zu. Ich werde bei euch doch nicht satt." Dagegen vertilgte er so un¬
geheure Massen vou Brot, daß die Passanten oft vor seinem Fenster stehen
blieben, um den dicken russischen Studenten essen zu sehen. "Sonderbare
Menschen, diese Deutschen, bemerkte dann Kudrjaschew mit Seelenruhe, alles,
was über ihren engen Rahmen hinausgeht, setzt sie in Erstannen."

Ein andres Original der Leibeignenzeit, den als Hvfjägcr in Spaßkvje
angestellten Afanassi, hat Turgenjew in seineu "Skizzen" nnter dem Namen
Jermvlai verewigt. Afauassi war ein ausgezeichneter Kenner ans dein Gebiete
der Jagd und Fischerei. Er beherrschte alle Zweige des Waidwerks von der
Bärenhatz bis zum Schmerlcnfang mit vollkommener Sicherheit und hatte die
Eigentümlichkeiten der Tiere, ihre Gewohnheiten, ihre Sprache, kurz, alle Ge¬
heimnisse des Waldes und der Steppe sorgfältig studirt. Dabei verstand er
über das, was er wußte, vortrefflich zu reden. Turgenjew wurde nicht müde,
aus diesen: lebendigen Quell des Volks- und Naturlebens zu schöpfen. Er e"
zählt selber, daß Afauassi an seinem Hauptwerke, den "Skizzen ans dem Tage-
buche eines Jägers," einen beträchtlichen Anteil habe. So ist beispielsweise
das herrliche Naturbildcheu "Von den Nachtigallen" buchstäblich nach Afcmassis
Mitteilungen geschrieben. Wie Kudrjaschew, so besaß auch Afanassi einen vor¬
züglichen Magen. "Mein Jäger ist imstande, Flintenkugeln zu verdauen,"
pflegte Turgenjew von ihm zu sagen.

Erwähnt sei noch Turgenjews Koch Stepan, der in Petersburg eine stadt¬
bekannte Persönlichkeit war. Stepan kam auf eigentümliche Art in seinen Dienst.
Eines Tages erschien bei Turgenjew ein unbekannter junger Bursche, empfahl
sich als Koch und bat, Iwan Sergcjewitsch möchte ihn von seinem Herrn kaufe".
"Es nimmt sonst ein böses Ende mit mir," fügte er hinzu. Turgenjew kaufte


Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Alles weiß ich, aber wenn du mich totschlägst — ich fahre mit dir nach
Nußland.

So gingen beide nach Spaßkvje, dessen Gebieterin den Studenten der Me¬
dizin in einer guten Stunde zu ihrem Leibarzt ernannte. Kndrjaschcw setzte
später seine Studien in Moskau fort, erwarb ein Patent als Zahnarzt und
ward in seiner Heimat ein gesuchter Arzt. Iwan Turgenjew, mit dem er im
Auslande auf dem Fuße vollkommener Gleichheit gelebt hatte, wurde von ihm
in Rußland nie anders denn als „Bärin," „gnädiger Herr," behandelt, wobei
sich in die freiwillige Unterordnung eine gewisse gutmütige Ironie mischte.
Turgenjew seinerseits hat seinen Porfiri niemals verleugnet und behandelte ihn
in Gesellschaft stets als vvllbürtig. Kudrjaschew war äußerlich seinem ältern
Halbbruder sehr ähnlich, nur war er noch höher und breiter als Iwan Ser-
gejewitsch und außerordentlich dick. Er sang vortrefflich und spielte meisterhaft
ans der Guitarre. Im übrigen war seine Hauptleidenschaft das Essen. Als
er mit Turgenjew in Deutschland weilte, schlug er dessen Einladungen zu Tische
regelmäßig aus. „Eure Hcrrenkvst, Pflegte er zu sagen, sagt meinem Magen
nicht zu. Ich werde bei euch doch nicht satt." Dagegen vertilgte er so un¬
geheure Massen vou Brot, daß die Passanten oft vor seinem Fenster stehen
blieben, um den dicken russischen Studenten essen zu sehen. „Sonderbare
Menschen, diese Deutschen, bemerkte dann Kudrjaschew mit Seelenruhe, alles,
was über ihren engen Rahmen hinausgeht, setzt sie in Erstannen."

Ein andres Original der Leibeignenzeit, den als Hvfjägcr in Spaßkvje
angestellten Afanassi, hat Turgenjew in seineu „Skizzen" nnter dem Namen
Jermvlai verewigt. Afauassi war ein ausgezeichneter Kenner ans dein Gebiete
der Jagd und Fischerei. Er beherrschte alle Zweige des Waidwerks von der
Bärenhatz bis zum Schmerlcnfang mit vollkommener Sicherheit und hatte die
Eigentümlichkeiten der Tiere, ihre Gewohnheiten, ihre Sprache, kurz, alle Ge¬
heimnisse des Waldes und der Steppe sorgfältig studirt. Dabei verstand er
über das, was er wußte, vortrefflich zu reden. Turgenjew wurde nicht müde,
aus diesen: lebendigen Quell des Volks- und Naturlebens zu schöpfen. Er e»
zählt selber, daß Afauassi an seinem Hauptwerke, den „Skizzen ans dem Tage-
buche eines Jägers," einen beträchtlichen Anteil habe. So ist beispielsweise
das herrliche Naturbildcheu „Von den Nachtigallen" buchstäblich nach Afcmassis
Mitteilungen geschrieben. Wie Kudrjaschew, so besaß auch Afanassi einen vor¬
züglichen Magen. „Mein Jäger ist imstande, Flintenkugeln zu verdauen,"
pflegte Turgenjew von ihm zu sagen.

Erwähnt sei noch Turgenjews Koch Stepan, der in Petersburg eine stadt¬
bekannte Persönlichkeit war. Stepan kam auf eigentümliche Art in seinen Dienst.
Eines Tages erschien bei Turgenjew ein unbekannter junger Bursche, empfahl
sich als Koch und bat, Iwan Sergcjewitsch möchte ihn von seinem Herrn kaufe».
„Es nimmt sonst ein böses Ende mit mir," fügte er hinzu. Turgenjew kaufte


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[0363] Iwan Turgenjew in seinen Briefen. Alles weiß ich, aber wenn du mich totschlägst — ich fahre mit dir nach Nußland. So gingen beide nach Spaßkvje, dessen Gebieterin den Studenten der Me¬ dizin in einer guten Stunde zu ihrem Leibarzt ernannte. Kndrjaschcw setzte später seine Studien in Moskau fort, erwarb ein Patent als Zahnarzt und ward in seiner Heimat ein gesuchter Arzt. Iwan Turgenjew, mit dem er im Auslande auf dem Fuße vollkommener Gleichheit gelebt hatte, wurde von ihm in Rußland nie anders denn als „Bärin," „gnädiger Herr," behandelt, wobei sich in die freiwillige Unterordnung eine gewisse gutmütige Ironie mischte. Turgenjew seinerseits hat seinen Porfiri niemals verleugnet und behandelte ihn in Gesellschaft stets als vvllbürtig. Kudrjaschew war äußerlich seinem ältern Halbbruder sehr ähnlich, nur war er noch höher und breiter als Iwan Ser- gejewitsch und außerordentlich dick. Er sang vortrefflich und spielte meisterhaft ans der Guitarre. Im übrigen war seine Hauptleidenschaft das Essen. Als er mit Turgenjew in Deutschland weilte, schlug er dessen Einladungen zu Tische regelmäßig aus. „Eure Hcrrenkvst, Pflegte er zu sagen, sagt meinem Magen nicht zu. Ich werde bei euch doch nicht satt." Dagegen vertilgte er so un¬ geheure Massen vou Brot, daß die Passanten oft vor seinem Fenster stehen blieben, um den dicken russischen Studenten essen zu sehen. „Sonderbare Menschen, diese Deutschen, bemerkte dann Kudrjaschew mit Seelenruhe, alles, was über ihren engen Rahmen hinausgeht, setzt sie in Erstannen." Ein andres Original der Leibeignenzeit, den als Hvfjägcr in Spaßkvje angestellten Afanassi, hat Turgenjew in seineu „Skizzen" nnter dem Namen Jermvlai verewigt. Afauassi war ein ausgezeichneter Kenner ans dein Gebiete der Jagd und Fischerei. Er beherrschte alle Zweige des Waidwerks von der Bärenhatz bis zum Schmerlcnfang mit vollkommener Sicherheit und hatte die Eigentümlichkeiten der Tiere, ihre Gewohnheiten, ihre Sprache, kurz, alle Ge¬ heimnisse des Waldes und der Steppe sorgfältig studirt. Dabei verstand er über das, was er wußte, vortrefflich zu reden. Turgenjew wurde nicht müde, aus diesen: lebendigen Quell des Volks- und Naturlebens zu schöpfen. Er e» zählt selber, daß Afauassi an seinem Hauptwerke, den „Skizzen ans dem Tage- buche eines Jägers," einen beträchtlichen Anteil habe. So ist beispielsweise das herrliche Naturbildcheu „Von den Nachtigallen" buchstäblich nach Afcmassis Mitteilungen geschrieben. Wie Kudrjaschew, so besaß auch Afanassi einen vor¬ züglichen Magen. „Mein Jäger ist imstande, Flintenkugeln zu verdauen," pflegte Turgenjew von ihm zu sagen. Erwähnt sei noch Turgenjews Koch Stepan, der in Petersburg eine stadt¬ bekannte Persönlichkeit war. Stepan kam auf eigentümliche Art in seinen Dienst. Eines Tages erschien bei Turgenjew ein unbekannter junger Bursche, empfahl sich als Koch und bat, Iwan Sergcjewitsch möchte ihn von seinem Herrn kaufe». „Es nimmt sonst ein böses Ende mit mir," fügte er hinzu. Turgenjew kaufte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/363>, abgerufen am 22.07.2024.