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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iwan Turgenjew i" seinen Briefen.

einen Brief, worin es schwarz auf weiß steht, daß Sie die Übersetzung ge¬
lesen haben und im Laufe der Zeit publiziren wollen, auch bereit sind, einen
Vorschuß auf das Honorar zu zahlen. Ich habe diesen Plan ersonnen, um
einem jungen Russen, der hier in Paris als Todkranker im Hospital liegt, die
letzten Stunden zu erleichtern. Er wird höchstens noch sechs Wochen leben,
besitzt keinen roten Heller und ist zu stolz, auch nur die geringste Unterstützung
anzunehmen. Schreiben Sie, daß Sie zweihundert Franken geben wollen. Das
Geld zahle ich dann aus meiner Tasche, als ob ich's von Ihnen erhalten hätte.
Aber bitte, verraten Sie mich nicht, und nehmen Sie mir's nicht übel, daß
ich Ihnen eine Rolle in dieser kleinen Tragikomödie zugedacht habe."

Im allgemeinen ist Turgenjew den "Russen in der Fremde" uicht sehr zu¬
gethan, sie mögen oft genug seine Galle rege gemacht haben. "Es scheint, daß
es hier wenig Russen giebt -- Gott sei Dank, Gott sei Dank," schreibt er in,
Jahre 1860 aus Bad Soden. Kurze Zeit darauf berichtet er aus Ventuor:
"Denken Sie uur, es giebt hier außer Kruse und dem liebenswürdigeu Nostvwzvw
keine Russen -- das reine Paradies!" Europa wimmelte damals von sarma-
tischen Touristen, zum Teil recht problematischen Erscheinungen, die im Westen
den Stein der Weisen zu finden hofften und sich lästig machten, wo sie nur
konnten. Turgenjew hat diese Gattung in seinem "Rauch" mit scharfen Worten
gegeißelt.

Im übrigen hat es kaum einen zweiten Russen gegeben, der es mit seinem
Volke so ehrlich meinte, wie Turgenjew. Sein Verhalten in der Frage der
Bauernemanzipation widerlegt am besten den Vorwurf des Renegatentums, der
dem Dichter bald vonseiten der radikalen Jugend, bald von den Slawophilen
gemacht wurde. Das "Tagebuch eiues Jägers" war ein Hauptschlag, der die
Leibeigenschaft ins Mark traf. Wie sich Turgenjew persönlich zu seinen Bauern
verhielt, ist aus einem Briefe zu ersehen, den er auf eine Anfrage über diesen
Punkt an den Petersburger Publizisten Wengervw schrieb. "Als meine Mutter,
heißt es dort, im Jahre 1850 starb, schenkte ich sogleich dem ganzen Hof¬
gesinde die Freiheit, entließ alle Bauern, welche es verlangten, auf Zins, arbeitete
mit alle" Kräften auf die Förderung der Emanzipationssache hin, erließ den
Emanzipirten später beim Loskauf den fünften Teil des Lösegeldes und nahm
keine Entschädigung für deu Grund und Boden, auf welchem sich ihre An-
siedlungen befanden, was eine nicht unbedeutende Summe ausmachte. Ein
andrer hätte vielleicht an meiner Stelle mehr gethan und schneller gehandelt,
als ich. Ich versprach Ihnen jedoch, die Wahrheit zu sagen, und sage sie ganz
so, wie sie ist. Zum Prahlen bietet dieser Thatbestand freilich wenig Anlaß:
aber ich hoffe, daß er mir auch uicht gerade Schande bereiten wird."

Auch durch Errichtung vou Krankenhäusern, Schulen und andern nützliche"
Instituten suchte Turgenjew das Wohl seiner Bauern zu heben. Interessant
ist ein Schreiben, das er genau ein Jahr vor seinem Tode aus Bvugival an


Iwan Turgenjew i» seinen Briefen.

einen Brief, worin es schwarz auf weiß steht, daß Sie die Übersetzung ge¬
lesen haben und im Laufe der Zeit publiziren wollen, auch bereit sind, einen
Vorschuß auf das Honorar zu zahlen. Ich habe diesen Plan ersonnen, um
einem jungen Russen, der hier in Paris als Todkranker im Hospital liegt, die
letzten Stunden zu erleichtern. Er wird höchstens noch sechs Wochen leben,
besitzt keinen roten Heller und ist zu stolz, auch nur die geringste Unterstützung
anzunehmen. Schreiben Sie, daß Sie zweihundert Franken geben wollen. Das
Geld zahle ich dann aus meiner Tasche, als ob ich's von Ihnen erhalten hätte.
Aber bitte, verraten Sie mich nicht, und nehmen Sie mir's nicht übel, daß
ich Ihnen eine Rolle in dieser kleinen Tragikomödie zugedacht habe."

Im allgemeinen ist Turgenjew den „Russen in der Fremde" uicht sehr zu¬
gethan, sie mögen oft genug seine Galle rege gemacht haben. „Es scheint, daß
es hier wenig Russen giebt — Gott sei Dank, Gott sei Dank," schreibt er in,
Jahre 1860 aus Bad Soden. Kurze Zeit darauf berichtet er aus Ventuor:
„Denken Sie uur, es giebt hier außer Kruse und dem liebenswürdigeu Nostvwzvw
keine Russen — das reine Paradies!" Europa wimmelte damals von sarma-
tischen Touristen, zum Teil recht problematischen Erscheinungen, die im Westen
den Stein der Weisen zu finden hofften und sich lästig machten, wo sie nur
konnten. Turgenjew hat diese Gattung in seinem „Rauch" mit scharfen Worten
gegeißelt.

Im übrigen hat es kaum einen zweiten Russen gegeben, der es mit seinem
Volke so ehrlich meinte, wie Turgenjew. Sein Verhalten in der Frage der
Bauernemanzipation widerlegt am besten den Vorwurf des Renegatentums, der
dem Dichter bald vonseiten der radikalen Jugend, bald von den Slawophilen
gemacht wurde. Das „Tagebuch eiues Jägers" war ein Hauptschlag, der die
Leibeigenschaft ins Mark traf. Wie sich Turgenjew persönlich zu seinen Bauern
verhielt, ist aus einem Briefe zu ersehen, den er auf eine Anfrage über diesen
Punkt an den Petersburger Publizisten Wengervw schrieb. „Als meine Mutter,
heißt es dort, im Jahre 1850 starb, schenkte ich sogleich dem ganzen Hof¬
gesinde die Freiheit, entließ alle Bauern, welche es verlangten, auf Zins, arbeitete
mit alle» Kräften auf die Förderung der Emanzipationssache hin, erließ den
Emanzipirten später beim Loskauf den fünften Teil des Lösegeldes und nahm
keine Entschädigung für deu Grund und Boden, auf welchem sich ihre An-
siedlungen befanden, was eine nicht unbedeutende Summe ausmachte. Ein
andrer hätte vielleicht an meiner Stelle mehr gethan und schneller gehandelt,
als ich. Ich versprach Ihnen jedoch, die Wahrheit zu sagen, und sage sie ganz
so, wie sie ist. Zum Prahlen bietet dieser Thatbestand freilich wenig Anlaß:
aber ich hoffe, daß er mir auch uicht gerade Schande bereiten wird."

Auch durch Errichtung vou Krankenhäusern, Schulen und andern nützliche»
Instituten suchte Turgenjew das Wohl seiner Bauern zu heben. Interessant
ist ein Schreiben, das er genau ein Jahr vor seinem Tode aus Bvugival an


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[0361] Iwan Turgenjew i» seinen Briefen. einen Brief, worin es schwarz auf weiß steht, daß Sie die Übersetzung ge¬ lesen haben und im Laufe der Zeit publiziren wollen, auch bereit sind, einen Vorschuß auf das Honorar zu zahlen. Ich habe diesen Plan ersonnen, um einem jungen Russen, der hier in Paris als Todkranker im Hospital liegt, die letzten Stunden zu erleichtern. Er wird höchstens noch sechs Wochen leben, besitzt keinen roten Heller und ist zu stolz, auch nur die geringste Unterstützung anzunehmen. Schreiben Sie, daß Sie zweihundert Franken geben wollen. Das Geld zahle ich dann aus meiner Tasche, als ob ich's von Ihnen erhalten hätte. Aber bitte, verraten Sie mich nicht, und nehmen Sie mir's nicht übel, daß ich Ihnen eine Rolle in dieser kleinen Tragikomödie zugedacht habe." Im allgemeinen ist Turgenjew den „Russen in der Fremde" uicht sehr zu¬ gethan, sie mögen oft genug seine Galle rege gemacht haben. „Es scheint, daß es hier wenig Russen giebt — Gott sei Dank, Gott sei Dank," schreibt er in, Jahre 1860 aus Bad Soden. Kurze Zeit darauf berichtet er aus Ventuor: „Denken Sie uur, es giebt hier außer Kruse und dem liebenswürdigeu Nostvwzvw keine Russen — das reine Paradies!" Europa wimmelte damals von sarma- tischen Touristen, zum Teil recht problematischen Erscheinungen, die im Westen den Stein der Weisen zu finden hofften und sich lästig machten, wo sie nur konnten. Turgenjew hat diese Gattung in seinem „Rauch" mit scharfen Worten gegeißelt. Im übrigen hat es kaum einen zweiten Russen gegeben, der es mit seinem Volke so ehrlich meinte, wie Turgenjew. Sein Verhalten in der Frage der Bauernemanzipation widerlegt am besten den Vorwurf des Renegatentums, der dem Dichter bald vonseiten der radikalen Jugend, bald von den Slawophilen gemacht wurde. Das „Tagebuch eiues Jägers" war ein Hauptschlag, der die Leibeigenschaft ins Mark traf. Wie sich Turgenjew persönlich zu seinen Bauern verhielt, ist aus einem Briefe zu ersehen, den er auf eine Anfrage über diesen Punkt an den Petersburger Publizisten Wengervw schrieb. „Als meine Mutter, heißt es dort, im Jahre 1850 starb, schenkte ich sogleich dem ganzen Hof¬ gesinde die Freiheit, entließ alle Bauern, welche es verlangten, auf Zins, arbeitete mit alle» Kräften auf die Förderung der Emanzipationssache hin, erließ den Emanzipirten später beim Loskauf den fünften Teil des Lösegeldes und nahm keine Entschädigung für deu Grund und Boden, auf welchem sich ihre An- siedlungen befanden, was eine nicht unbedeutende Summe ausmachte. Ein andrer hätte vielleicht an meiner Stelle mehr gethan und schneller gehandelt, als ich. Ich versprach Ihnen jedoch, die Wahrheit zu sagen, und sage sie ganz so, wie sie ist. Zum Prahlen bietet dieser Thatbestand freilich wenig Anlaß: aber ich hoffe, daß er mir auch uicht gerade Schande bereiten wird." Auch durch Errichtung vou Krankenhäusern, Schulen und andern nützliche» Instituten suchte Turgenjew das Wohl seiner Bauern zu heben. Interessant ist ein Schreiben, das er genau ein Jahr vor seinem Tode aus Bvugival an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/361>, abgerufen am 22.07.2024.