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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Handlung selbst ist wieder nichts als ein poetisirendes Gerippe zur dialektischen
Entwicklung des Jordanschen Gedankensystems, nichts als der immer wieder
unterbrochene romanhafte Faden zum Anknüpfen der abgebrochenen Abhand¬
lungen. Diese gelehrten Exkurse liegen Jordan so recht am Herzen; seine
übrigens in der That bewundernswerteu Kenntnisse auf den verschiedensten Ge¬
bieten der Naturwissenschaften, der Physik und Astronomie, und der technischen
Behandlung der jeweiligen wissenschaftlichen Hilfsmittel, seine Kenntnis des
Darwinismus, und dann der Philologie, der Geschichte, der Religionsgeschichte,
ja des Hebräischen -- alle diese Kenntnisse mit einer weit über die Grenzen
des Romans hinausgehenden Pedanterie zu bekunden, scheint eigentlich fein wich¬
tigster Zweck gewesen zu sein. Einer Eneyklopädie im kleinen ähneln "Die
Sebalds" mehr als einem "Epos"! "Der Epiker" schlechtweg hat sich über
all seinen gelehrten Interessen entgehen lassen, daß er einen dankbaren Lustspiel¬
stoff nicht recht ausbeutet, das kaum angeschlagene Motiv unausgeführt wieder
fallen läßt. Mit billigen Operneffekten setzt "der Epiker" dort ein, wo er
rühren will oder soll. Seine ganze Sprache und ihr Stil sind vom Poetischen
und Epischen so entfernt wie nur möglich; sie wäre ein vortreffliches Instru¬
ment für einen wissenschaftlichen Autor, in ihrer Schürfe der Begriffe und in
der Präzision der Beschreibungen. Zum dichterischen Medium fehlt es ihr um
Sinnlichkeit und Plastik. Jordans Anschaulichkeit ist die des Naturhistorikers
und nicht die des Dichters. Auch die wortschöpferische Art großer Dichter
imitirt er; aber Ausdrücke wie "erkunstete" (I, 229) oder ein "verblecktcs"
Daguerrvthp (I, 68) oder "anfgetreibhäuselt" (II, 109) oder "vergleichuißtc"
(II, 135) oder "es aufgängeltc was im Gesicht" (II, 265) und dergleichen mehr
werden schwerlich als willkommene Bereicherungen des deutschen Sprachschatzes
betrachtet werden.

Kurz: mit der höchsten Bildung und eiugeweihtestcn Kenntnis des dichte¬
rischen Handwerks vermag Jordan auch nicht den Schein eines echten Dichters
hervorzurufen; seiner Bildung fehlt es an an Unmittelbarkeit, seiner naturwissen¬
schaftlich geschulten Art zu schauen an der Unbefangenheit des künstlerischen
Anges. Ein geistvoller, aber prosaischer Kopf.

Dennoch sind wir weit davon entfernt, diesem Werke Jordans seinen ihm
eigentümlichen Wert abzusprechen, uur einen spezifisch dichterischen lehnen wir
auf seine Herausforderung energisch ab. Der didaktische Roman, der sich heut¬
zutage als archäologischer und historischer breit macht, übernimmt nachgerade
jene Rolle, welche im vorigen Jahrhundert die Pvpularphilosophie in Deutsch¬
land gespielt hat. Wie diese keinen wissenschaftlichen Maßstab verträgt und
gleichwohl als wirksames Bildungsferment ihren Wert hatte, wie sie in den
breiteren Massen des Volkes, trotz aller Unklarheit und Unfertigkeit, auf¬
klärend und heilsam wirkte, so wird vou einem mehr kulturhistorischen Stand-
Punkte einem Roman wie den "Sebalds" von Jordan ein gewisser Wert nicht


Handlung selbst ist wieder nichts als ein poetisirendes Gerippe zur dialektischen
Entwicklung des Jordanschen Gedankensystems, nichts als der immer wieder
unterbrochene romanhafte Faden zum Anknüpfen der abgebrochenen Abhand¬
lungen. Diese gelehrten Exkurse liegen Jordan so recht am Herzen; seine
übrigens in der That bewundernswerteu Kenntnisse auf den verschiedensten Ge¬
bieten der Naturwissenschaften, der Physik und Astronomie, und der technischen
Behandlung der jeweiligen wissenschaftlichen Hilfsmittel, seine Kenntnis des
Darwinismus, und dann der Philologie, der Geschichte, der Religionsgeschichte,
ja des Hebräischen — alle diese Kenntnisse mit einer weit über die Grenzen
des Romans hinausgehenden Pedanterie zu bekunden, scheint eigentlich fein wich¬
tigster Zweck gewesen zu sein. Einer Eneyklopädie im kleinen ähneln „Die
Sebalds" mehr als einem „Epos"! „Der Epiker" schlechtweg hat sich über
all seinen gelehrten Interessen entgehen lassen, daß er einen dankbaren Lustspiel¬
stoff nicht recht ausbeutet, das kaum angeschlagene Motiv unausgeführt wieder
fallen läßt. Mit billigen Operneffekten setzt „der Epiker" dort ein, wo er
rühren will oder soll. Seine ganze Sprache und ihr Stil sind vom Poetischen
und Epischen so entfernt wie nur möglich; sie wäre ein vortreffliches Instru¬
ment für einen wissenschaftlichen Autor, in ihrer Schürfe der Begriffe und in
der Präzision der Beschreibungen. Zum dichterischen Medium fehlt es ihr um
Sinnlichkeit und Plastik. Jordans Anschaulichkeit ist die des Naturhistorikers
und nicht die des Dichters. Auch die wortschöpferische Art großer Dichter
imitirt er; aber Ausdrücke wie „erkunstete" (I, 229) oder ein „verblecktcs"
Daguerrvthp (I, 68) oder „anfgetreibhäuselt" (II, 109) oder „vergleichuißtc"
(II, 135) oder „es aufgängeltc was im Gesicht" (II, 265) und dergleichen mehr
werden schwerlich als willkommene Bereicherungen des deutschen Sprachschatzes
betrachtet werden.

Kurz: mit der höchsten Bildung und eiugeweihtestcn Kenntnis des dichte¬
rischen Handwerks vermag Jordan auch nicht den Schein eines echten Dichters
hervorzurufen; seiner Bildung fehlt es an an Unmittelbarkeit, seiner naturwissen¬
schaftlich geschulten Art zu schauen an der Unbefangenheit des künstlerischen
Anges. Ein geistvoller, aber prosaischer Kopf.

Dennoch sind wir weit davon entfernt, diesem Werke Jordans seinen ihm
eigentümlichen Wert abzusprechen, uur einen spezifisch dichterischen lehnen wir
auf seine Herausforderung energisch ab. Der didaktische Roman, der sich heut¬
zutage als archäologischer und historischer breit macht, übernimmt nachgerade
jene Rolle, welche im vorigen Jahrhundert die Pvpularphilosophie in Deutsch¬
land gespielt hat. Wie diese keinen wissenschaftlichen Maßstab verträgt und
gleichwohl als wirksames Bildungsferment ihren Wert hatte, wie sie in den
breiteren Massen des Volkes, trotz aller Unklarheit und Unfertigkeit, auf¬
klärend und heilsam wirkte, so wird vou einem mehr kulturhistorischen Stand-
Punkte einem Roman wie den „Sebalds" von Jordan ein gewisser Wert nicht


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[0036] Handlung selbst ist wieder nichts als ein poetisirendes Gerippe zur dialektischen Entwicklung des Jordanschen Gedankensystems, nichts als der immer wieder unterbrochene romanhafte Faden zum Anknüpfen der abgebrochenen Abhand¬ lungen. Diese gelehrten Exkurse liegen Jordan so recht am Herzen; seine übrigens in der That bewundernswerteu Kenntnisse auf den verschiedensten Ge¬ bieten der Naturwissenschaften, der Physik und Astronomie, und der technischen Behandlung der jeweiligen wissenschaftlichen Hilfsmittel, seine Kenntnis des Darwinismus, und dann der Philologie, der Geschichte, der Religionsgeschichte, ja des Hebräischen — alle diese Kenntnisse mit einer weit über die Grenzen des Romans hinausgehenden Pedanterie zu bekunden, scheint eigentlich fein wich¬ tigster Zweck gewesen zu sein. Einer Eneyklopädie im kleinen ähneln „Die Sebalds" mehr als einem „Epos"! „Der Epiker" schlechtweg hat sich über all seinen gelehrten Interessen entgehen lassen, daß er einen dankbaren Lustspiel¬ stoff nicht recht ausbeutet, das kaum angeschlagene Motiv unausgeführt wieder fallen läßt. Mit billigen Operneffekten setzt „der Epiker" dort ein, wo er rühren will oder soll. Seine ganze Sprache und ihr Stil sind vom Poetischen und Epischen so entfernt wie nur möglich; sie wäre ein vortreffliches Instru¬ ment für einen wissenschaftlichen Autor, in ihrer Schürfe der Begriffe und in der Präzision der Beschreibungen. Zum dichterischen Medium fehlt es ihr um Sinnlichkeit und Plastik. Jordans Anschaulichkeit ist die des Naturhistorikers und nicht die des Dichters. Auch die wortschöpferische Art großer Dichter imitirt er; aber Ausdrücke wie „erkunstete" (I, 229) oder ein „verblecktcs" Daguerrvthp (I, 68) oder „anfgetreibhäuselt" (II, 109) oder „vergleichuißtc" (II, 135) oder „es aufgängeltc was im Gesicht" (II, 265) und dergleichen mehr werden schwerlich als willkommene Bereicherungen des deutschen Sprachschatzes betrachtet werden. Kurz: mit der höchsten Bildung und eiugeweihtestcn Kenntnis des dichte¬ rischen Handwerks vermag Jordan auch nicht den Schein eines echten Dichters hervorzurufen; seiner Bildung fehlt es an an Unmittelbarkeit, seiner naturwissen¬ schaftlich geschulten Art zu schauen an der Unbefangenheit des künstlerischen Anges. Ein geistvoller, aber prosaischer Kopf. Dennoch sind wir weit davon entfernt, diesem Werke Jordans seinen ihm eigentümlichen Wert abzusprechen, uur einen spezifisch dichterischen lehnen wir auf seine Herausforderung energisch ab. Der didaktische Roman, der sich heut¬ zutage als archäologischer und historischer breit macht, übernimmt nachgerade jene Rolle, welche im vorigen Jahrhundert die Pvpularphilosophie in Deutsch¬ land gespielt hat. Wie diese keinen wissenschaftlichen Maßstab verträgt und gleichwohl als wirksames Bildungsferment ihren Wert hatte, wie sie in den breiteren Massen des Volkes, trotz aller Unklarheit und Unfertigkeit, auf¬ klärend und heilsam wirkte, so wird vou einem mehr kulturhistorischen Stand- Punkte einem Roman wie den „Sebalds" von Jordan ein gewisser Wert nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/36>, abgerufen am 22.07.2024.