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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Briefe an die Familie Polonski bringen regelmäßig Berichte über Gesundheit
oder Krankheit. Mit überflüssiger Ängstlichkeit erkundigt sich namentlich Madame
Pvlonskaja beständig nach des Dichters Befinden; Turgenjew selber schreibt ihr
einmal mit gewissem Vorwurf: "Ich denke immer nur dann an meine Krankheit,
an Kuriren u. s. w., wenn ich von Ihnen Briefe bekomme." Der obenerwähnte
Tadel, daß die Briefe sich wie ein Krankenbericht lesen, trifft sonach weniger
den Dichter, als seine Korrespondenten und die Herausgeber, die geschickter ge¬
handelt hätten, wenn sie das eine oder andre aufdringlichere Detail aus¬
gemerzt hätten.

Im übrigen spielt ja das körperliche Befinden im Leben des schaffenden
Künstlers eine wichtigere Rolle, als man gewöhnlich annimmt. Der subjektiv
angelegte Heine schuf auf dem Krankenlager seine unerquickliche Matratzenpoesie;
der objektiv gestaltende Turgenjew lag brach, so lange der Schmerz in seinen
Gliedern bohrte. Turgenjew liebte Ruhe, Behaglichkeit und ein gutes Leben.
Obwohl seine Auffassung der Dinge im Grunde stark pessimistisch war, ging er
doch nicht so sehr in seinem Weltschmerz auf, daß er über demselben die
tückischen Kobolde in seinen Gliedern vergessen hätte. Körperlicher Schmerz
paßte nicht in Turgenjews Programm, er hängte sich wie ein Hemmschuh in
seinen poetischen Schwung. "Ich kenne nur einen triftigen Grund, der vom
Arbeiten abhalten darf: Krankheit" -- sagt er in einem Briefe an Polonski,
der seine poetische Unthätigkeit mit Zweifeln an sich selbst und innerer Zer¬
rissenheit entschuldigt. Turgenjews Art zu schaffen mußte in der That durch
körperliche Leiden schwer beeinträchtigt werden; sie bedurfte der Stimmung und
konnte nur in Stunden tiefster Sammlung zutage treten, wenn die Sinnen¬
thätigkeit gleichsam gebunden war und die Phantasie, vom Anßenzwang befreit,
ungetrübt arbeitete. Turgenjew schrieb niemals auch nur eine Zeile, die nicht
organisch aus dem Marke seines dichterischen Wesens herausgewachsen wäre.
Unter solchen Umständen ist es wohl erklärlich, daß er seinen leidenden Zustand
schwer empfand und jedesmal mit Ungeduld die Genesung herbeiwünschte, die
ihm von neuem zu schaffen erlaubte.

Turgenjews Krankheit war eine Neuralgie mit chronischem Charakter. Ihre
ersten Anzeichen traten schon bei dem Dreißigjährigen in einem Blasenleiden zu
tage, das immer wieder von neuem auftrat und dein Dichter arg zusetzte.
Mehrere Jahre später entdeckte der Heidelberger Professor Friedreich in ihm eine
Herzkrankheit. "Ich werde so sterben wie Pcmcijew,") schrieb Turgenjew damals
um Pvlvnski; eine schwarze Wolke zieht über meinen Horizont herauf und wirft
bereits ihre Schatten voraus. Glücklicherweise stellt sich die Diagnose Friedreichs
als unzutreffend heraus. Dagegen beginnen den Dichter um jene Zeit heftige
Podagrische Schmerzen zu Plagen, die er bis zu seinem Tode nicht loswürde.



") Russischer Journalist der sechziger Jahre.
Grenzboten 11, 1885.45
Iwan Turgenjew in seinen Briefen.

Briefe an die Familie Polonski bringen regelmäßig Berichte über Gesundheit
oder Krankheit. Mit überflüssiger Ängstlichkeit erkundigt sich namentlich Madame
Pvlonskaja beständig nach des Dichters Befinden; Turgenjew selber schreibt ihr
einmal mit gewissem Vorwurf: „Ich denke immer nur dann an meine Krankheit,
an Kuriren u. s. w., wenn ich von Ihnen Briefe bekomme." Der obenerwähnte
Tadel, daß die Briefe sich wie ein Krankenbericht lesen, trifft sonach weniger
den Dichter, als seine Korrespondenten und die Herausgeber, die geschickter ge¬
handelt hätten, wenn sie das eine oder andre aufdringlichere Detail aus¬
gemerzt hätten.

Im übrigen spielt ja das körperliche Befinden im Leben des schaffenden
Künstlers eine wichtigere Rolle, als man gewöhnlich annimmt. Der subjektiv
angelegte Heine schuf auf dem Krankenlager seine unerquickliche Matratzenpoesie;
der objektiv gestaltende Turgenjew lag brach, so lange der Schmerz in seinen
Gliedern bohrte. Turgenjew liebte Ruhe, Behaglichkeit und ein gutes Leben.
Obwohl seine Auffassung der Dinge im Grunde stark pessimistisch war, ging er
doch nicht so sehr in seinem Weltschmerz auf, daß er über demselben die
tückischen Kobolde in seinen Gliedern vergessen hätte. Körperlicher Schmerz
paßte nicht in Turgenjews Programm, er hängte sich wie ein Hemmschuh in
seinen poetischen Schwung. „Ich kenne nur einen triftigen Grund, der vom
Arbeiten abhalten darf: Krankheit" — sagt er in einem Briefe an Polonski,
der seine poetische Unthätigkeit mit Zweifeln an sich selbst und innerer Zer¬
rissenheit entschuldigt. Turgenjews Art zu schaffen mußte in der That durch
körperliche Leiden schwer beeinträchtigt werden; sie bedurfte der Stimmung und
konnte nur in Stunden tiefster Sammlung zutage treten, wenn die Sinnen¬
thätigkeit gleichsam gebunden war und die Phantasie, vom Anßenzwang befreit,
ungetrübt arbeitete. Turgenjew schrieb niemals auch nur eine Zeile, die nicht
organisch aus dem Marke seines dichterischen Wesens herausgewachsen wäre.
Unter solchen Umständen ist es wohl erklärlich, daß er seinen leidenden Zustand
schwer empfand und jedesmal mit Ungeduld die Genesung herbeiwünschte, die
ihm von neuem zu schaffen erlaubte.

Turgenjews Krankheit war eine Neuralgie mit chronischem Charakter. Ihre
ersten Anzeichen traten schon bei dem Dreißigjährigen in einem Blasenleiden zu
tage, das immer wieder von neuem auftrat und dein Dichter arg zusetzte.
Mehrere Jahre später entdeckte der Heidelberger Professor Friedreich in ihm eine
Herzkrankheit. „Ich werde so sterben wie Pcmcijew,") schrieb Turgenjew damals
um Pvlvnski; eine schwarze Wolke zieht über meinen Horizont herauf und wirft
bereits ihre Schatten voraus. Glücklicherweise stellt sich die Diagnose Friedreichs
als unzutreffend heraus. Dagegen beginnen den Dichter um jene Zeit heftige
Podagrische Schmerzen zu Plagen, die er bis zu seinem Tode nicht loswürde.



") Russischer Journalist der sechziger Jahre.
Grenzboten 11, 1885.45
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[0358] Iwan Turgenjew in seinen Briefen. Briefe an die Familie Polonski bringen regelmäßig Berichte über Gesundheit oder Krankheit. Mit überflüssiger Ängstlichkeit erkundigt sich namentlich Madame Pvlonskaja beständig nach des Dichters Befinden; Turgenjew selber schreibt ihr einmal mit gewissem Vorwurf: „Ich denke immer nur dann an meine Krankheit, an Kuriren u. s. w., wenn ich von Ihnen Briefe bekomme." Der obenerwähnte Tadel, daß die Briefe sich wie ein Krankenbericht lesen, trifft sonach weniger den Dichter, als seine Korrespondenten und die Herausgeber, die geschickter ge¬ handelt hätten, wenn sie das eine oder andre aufdringlichere Detail aus¬ gemerzt hätten. Im übrigen spielt ja das körperliche Befinden im Leben des schaffenden Künstlers eine wichtigere Rolle, als man gewöhnlich annimmt. Der subjektiv angelegte Heine schuf auf dem Krankenlager seine unerquickliche Matratzenpoesie; der objektiv gestaltende Turgenjew lag brach, so lange der Schmerz in seinen Gliedern bohrte. Turgenjew liebte Ruhe, Behaglichkeit und ein gutes Leben. Obwohl seine Auffassung der Dinge im Grunde stark pessimistisch war, ging er doch nicht so sehr in seinem Weltschmerz auf, daß er über demselben die tückischen Kobolde in seinen Gliedern vergessen hätte. Körperlicher Schmerz paßte nicht in Turgenjews Programm, er hängte sich wie ein Hemmschuh in seinen poetischen Schwung. „Ich kenne nur einen triftigen Grund, der vom Arbeiten abhalten darf: Krankheit" — sagt er in einem Briefe an Polonski, der seine poetische Unthätigkeit mit Zweifeln an sich selbst und innerer Zer¬ rissenheit entschuldigt. Turgenjews Art zu schaffen mußte in der That durch körperliche Leiden schwer beeinträchtigt werden; sie bedurfte der Stimmung und konnte nur in Stunden tiefster Sammlung zutage treten, wenn die Sinnen¬ thätigkeit gleichsam gebunden war und die Phantasie, vom Anßenzwang befreit, ungetrübt arbeitete. Turgenjew schrieb niemals auch nur eine Zeile, die nicht organisch aus dem Marke seines dichterischen Wesens herausgewachsen wäre. Unter solchen Umständen ist es wohl erklärlich, daß er seinen leidenden Zustand schwer empfand und jedesmal mit Ungeduld die Genesung herbeiwünschte, die ihm von neuem zu schaffen erlaubte. Turgenjews Krankheit war eine Neuralgie mit chronischem Charakter. Ihre ersten Anzeichen traten schon bei dem Dreißigjährigen in einem Blasenleiden zu tage, das immer wieder von neuem auftrat und dein Dichter arg zusetzte. Mehrere Jahre später entdeckte der Heidelberger Professor Friedreich in ihm eine Herzkrankheit. „Ich werde so sterben wie Pcmcijew,") schrieb Turgenjew damals um Pvlvnski; eine schwarze Wolke zieht über meinen Horizont herauf und wirft bereits ihre Schatten voraus. Glücklicherweise stellt sich die Diagnose Friedreichs als unzutreffend heraus. Dagegen beginnen den Dichter um jene Zeit heftige Podagrische Schmerzen zu Plagen, die er bis zu seinem Tode nicht loswürde. ") Russischer Journalist der sechziger Jahre. Grenzboten 11, 1885.45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/358>, abgerufen am 25.08.2024.