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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstproußische Skizzen.

denen schlechten Zeit schwerlich mehr als die eine Fabrik zu Rastenburg aufrecht¬
erhalten können; immerhin hat es sich gezeigt, daß Klima und Boden diesen
Anbau sehr gut zulassen, ja sogar begünstigen, und die allgemeine Bodenkultur
hat gleichfalls ihre Förderung hierdurch erfahren. Von größter Bedeutung ist
aber die Entwicklung des (jetzt freilich gleichfalls sehr darniederliegenden) Bren¬
nereigewerbes bez. des Kartoffelbaues gewesen. "Wer Spiritusbreuuerei sagt,
der sagt Erzeugung von Viehfutter," und so hat sich denn die Viehhaltung
seitdem gewaltig ausgedehnt und verbessert. An guten Wiesen ist die Provinz
nicht eben reich; das Rindvieh war also ehedem großenteils ans Waldweide
und auf die schlechten, moosdurchwachsenen "Hutweiden" angewiesen, und dabei
konnte Züchtung und Milchwirtschaft freilich nicht gedeihen. Heute hingegen
ist der Viehstand ein wenn auch der Menge nach noch zurückstehender, doch
qualitativ vorzüglicher gewordcu; der Anbau guter Futterkräuter nimmt stetig
zu, die schlechten Weiden werden (zum Teil uuter Anwendung transportabler
Feldbahnen) durch Unterdrückung des Mooswuchses meliorirt, Kraftfutter und
künstlicher Dünger kommen in großem Umfange zur Anwendung. Das Resultat
ist, daß Butter und Käse Artikel ostpreußischer Massenproduktion geworden
sind. Hochfeine Butter aus dein Ermlande und den angrenzenden Kreisen,
geringere aus der Niederung, vorzügliche milde Käse aus der Tilsiter und El-
bingcr Gegend gehen heute in alle Welt und bringen viel Geld ins Land.
Ebenso sind ostpreußisches Mast- und Zugvieh wichtige Handelsartikel geworden.
Leider ist dagegen die Schafzucht, die doch nach Beschaffenheit des darzubie¬
tenden Weidebvdcns und der sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Provinz
in hohem Grade passend für dieselbe erscheint, infolge der Konkurrenz süd¬
russischer und australischer Wollen und der im Drange der Abwehr ergriffenen
irrationeller, freilich durch die Schutzlosigkeit der einheimischen Wollen auf¬
genötigten Züchtungsmaßregeln, sehr ins Hintertreffen geraten. Die Pferdezucht
der Provinz, besonders Lithauens, ist wiederum weltberühmt, und fortwährend
wird an ihrer weiteren Verbesserung gearbeitet. Die Hauptfaktoren derselben
sind die vorzüglichen, ebenen Pferdeweiden Littauens, die unvergleichliche Be¬
fähigung des Littauers zur Pferdewcirtuug ("jeder Littauer wird mit einem
Zaum in der Hand geboren") und das trefflich eingerichtete, auf den vorzüg¬
lichsten Traditionen unausgesetzt fortbaueude Gestüt Trakehnen. Unzählige kleine
und große Besitzer, auch der westlichen Landesteile, ziehen aus dem Verkauf
junger Pferde zur Remonte und zu audern Zwecken den besten Teil ihrer Ein¬
nahmen.

Bei alledem sind und bleiben die reinen Einnahmen der meisten großen
wie kleinen Besitzer gering, weil die Verschuldung groß ist. Die Landschaft
genügt mit ihrem billigen, dafür aber auch vorsichtig (wiewohl immer koulant
genug) gegebenen Gelde nicht; Hypothekenbanken hat die Provinz keine; so ist
sie denn für das ungedeckte Kreditbedürfnis auf Stiftungsgelder, Privatkapita-


GrenzbotenH. 18SS. 44
Gstproußische Skizzen.

denen schlechten Zeit schwerlich mehr als die eine Fabrik zu Rastenburg aufrecht¬
erhalten können; immerhin hat es sich gezeigt, daß Klima und Boden diesen
Anbau sehr gut zulassen, ja sogar begünstigen, und die allgemeine Bodenkultur
hat gleichfalls ihre Förderung hierdurch erfahren. Von größter Bedeutung ist
aber die Entwicklung des (jetzt freilich gleichfalls sehr darniederliegenden) Bren¬
nereigewerbes bez. des Kartoffelbaues gewesen. „Wer Spiritusbreuuerei sagt,
der sagt Erzeugung von Viehfutter," und so hat sich denn die Viehhaltung
seitdem gewaltig ausgedehnt und verbessert. An guten Wiesen ist die Provinz
nicht eben reich; das Rindvieh war also ehedem großenteils ans Waldweide
und auf die schlechten, moosdurchwachsenen „Hutweiden" angewiesen, und dabei
konnte Züchtung und Milchwirtschaft freilich nicht gedeihen. Heute hingegen
ist der Viehstand ein wenn auch der Menge nach noch zurückstehender, doch
qualitativ vorzüglicher gewordcu; der Anbau guter Futterkräuter nimmt stetig
zu, die schlechten Weiden werden (zum Teil uuter Anwendung transportabler
Feldbahnen) durch Unterdrückung des Mooswuchses meliorirt, Kraftfutter und
künstlicher Dünger kommen in großem Umfange zur Anwendung. Das Resultat
ist, daß Butter und Käse Artikel ostpreußischer Massenproduktion geworden
sind. Hochfeine Butter aus dein Ermlande und den angrenzenden Kreisen,
geringere aus der Niederung, vorzügliche milde Käse aus der Tilsiter und El-
bingcr Gegend gehen heute in alle Welt und bringen viel Geld ins Land.
Ebenso sind ostpreußisches Mast- und Zugvieh wichtige Handelsartikel geworden.
Leider ist dagegen die Schafzucht, die doch nach Beschaffenheit des darzubie¬
tenden Weidebvdcns und der sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Provinz
in hohem Grade passend für dieselbe erscheint, infolge der Konkurrenz süd¬
russischer und australischer Wollen und der im Drange der Abwehr ergriffenen
irrationeller, freilich durch die Schutzlosigkeit der einheimischen Wollen auf¬
genötigten Züchtungsmaßregeln, sehr ins Hintertreffen geraten. Die Pferdezucht
der Provinz, besonders Lithauens, ist wiederum weltberühmt, und fortwährend
wird an ihrer weiteren Verbesserung gearbeitet. Die Hauptfaktoren derselben
sind die vorzüglichen, ebenen Pferdeweiden Littauens, die unvergleichliche Be¬
fähigung des Littauers zur Pferdewcirtuug („jeder Littauer wird mit einem
Zaum in der Hand geboren") und das trefflich eingerichtete, auf den vorzüg¬
lichsten Traditionen unausgesetzt fortbaueude Gestüt Trakehnen. Unzählige kleine
und große Besitzer, auch der westlichen Landesteile, ziehen aus dem Verkauf
junger Pferde zur Remonte und zu audern Zwecken den besten Teil ihrer Ein¬
nahmen.

Bei alledem sind und bleiben die reinen Einnahmen der meisten großen
wie kleinen Besitzer gering, weil die Verschuldung groß ist. Die Landschaft
genügt mit ihrem billigen, dafür aber auch vorsichtig (wiewohl immer koulant
genug) gegebenen Gelde nicht; Hypothekenbanken hat die Provinz keine; so ist
sie denn für das ungedeckte Kreditbedürfnis auf Stiftungsgelder, Privatkapita-


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[0350] Gstproußische Skizzen. denen schlechten Zeit schwerlich mehr als die eine Fabrik zu Rastenburg aufrecht¬ erhalten können; immerhin hat es sich gezeigt, daß Klima und Boden diesen Anbau sehr gut zulassen, ja sogar begünstigen, und die allgemeine Bodenkultur hat gleichfalls ihre Förderung hierdurch erfahren. Von größter Bedeutung ist aber die Entwicklung des (jetzt freilich gleichfalls sehr darniederliegenden) Bren¬ nereigewerbes bez. des Kartoffelbaues gewesen. „Wer Spiritusbreuuerei sagt, der sagt Erzeugung von Viehfutter," und so hat sich denn die Viehhaltung seitdem gewaltig ausgedehnt und verbessert. An guten Wiesen ist die Provinz nicht eben reich; das Rindvieh war also ehedem großenteils ans Waldweide und auf die schlechten, moosdurchwachsenen „Hutweiden" angewiesen, und dabei konnte Züchtung und Milchwirtschaft freilich nicht gedeihen. Heute hingegen ist der Viehstand ein wenn auch der Menge nach noch zurückstehender, doch qualitativ vorzüglicher gewordcu; der Anbau guter Futterkräuter nimmt stetig zu, die schlechten Weiden werden (zum Teil uuter Anwendung transportabler Feldbahnen) durch Unterdrückung des Mooswuchses meliorirt, Kraftfutter und künstlicher Dünger kommen in großem Umfange zur Anwendung. Das Resultat ist, daß Butter und Käse Artikel ostpreußischer Massenproduktion geworden sind. Hochfeine Butter aus dein Ermlande und den angrenzenden Kreisen, geringere aus der Niederung, vorzügliche milde Käse aus der Tilsiter und El- bingcr Gegend gehen heute in alle Welt und bringen viel Geld ins Land. Ebenso sind ostpreußisches Mast- und Zugvieh wichtige Handelsartikel geworden. Leider ist dagegen die Schafzucht, die doch nach Beschaffenheit des darzubie¬ tenden Weidebvdcns und der sonstigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Provinz in hohem Grade passend für dieselbe erscheint, infolge der Konkurrenz süd¬ russischer und australischer Wollen und der im Drange der Abwehr ergriffenen irrationeller, freilich durch die Schutzlosigkeit der einheimischen Wollen auf¬ genötigten Züchtungsmaßregeln, sehr ins Hintertreffen geraten. Die Pferdezucht der Provinz, besonders Lithauens, ist wiederum weltberühmt, und fortwährend wird an ihrer weiteren Verbesserung gearbeitet. Die Hauptfaktoren derselben sind die vorzüglichen, ebenen Pferdeweiden Littauens, die unvergleichliche Be¬ fähigung des Littauers zur Pferdewcirtuug („jeder Littauer wird mit einem Zaum in der Hand geboren") und das trefflich eingerichtete, auf den vorzüg¬ lichsten Traditionen unausgesetzt fortbaueude Gestüt Trakehnen. Unzählige kleine und große Besitzer, auch der westlichen Landesteile, ziehen aus dem Verkauf junger Pferde zur Remonte und zu audern Zwecken den besten Teil ihrer Ein¬ nahmen. Bei alledem sind und bleiben die reinen Einnahmen der meisten großen wie kleinen Besitzer gering, weil die Verschuldung groß ist. Die Landschaft genügt mit ihrem billigen, dafür aber auch vorsichtig (wiewohl immer koulant genug) gegebenen Gelde nicht; Hypothekenbanken hat die Provinz keine; so ist sie denn für das ungedeckte Kreditbedürfnis auf Stiftungsgelder, Privatkapita- GrenzbotenH. 18SS. 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/350>, abgerufen am 22.07.2024.