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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Gstpreußische Skizzen.

genau kennt, bei Hofe des jungen Grafen und feiner Gemahlin ansichtig wird,
so fragt er letztere mit scherzhaft-ängstlichem Tone: "Hat er schon gefrühstückt?"
Von den altprussischeu Familien, welche während der Eroberung mit "Mithings-
recht" ausgerüstet wurden (einer Art Standesherrlichen Rechtes, welches seinen
Namen von den Withingen, dem aus dem Norden eingewanderten weißhäutigeu
und blondlockigen Adel des Samlcmdes, hernahm), ist keine mehr übrig. Man
hatte diese Familien durch außerordentliche Rechtsvvrteile an die Eroberer ketten
wollen, erreichte den Zweck aber nicht; gerade die Withiugsfamilien blieben an
der Spitze aller Verschwörungen und Aufstände.

Die oben aufgezählte stattliche Reihe aristokratischer Namen veranlaßt nun
wohl manchen zu der Meinung, daß da von einer Zurückdrängung des Adels
doch entschieden noch keine Rede sein könne, sondern derselbe im ritterschaftlichen
Grundbesitz offenbar noch immer prädvminire. Aber Ostpreußen ist gar gewaltig
groß, und es haben viele Rittergüter in ihm Platz. Giebt es doch Kreise,
welche deren über hundert zählen; die sieben mittleren Kreise: Königsberg Land,
Fischhausen, Preußisch - Eylein, Friedland, Gerdauen, Heiligenbeil und Nasten-
burg, zählen zusammen weit über fünfhundert. Da bleibt also noch reichlich
Platz sür den bürgerlichen Großgrundbesitz, und derselbe ist in der That im
größten Umfange vorhanden. Selbst die ganz großen Güter sind nicht aus¬
schließlich in adelichen Händen; die Besitzungen der Küswurm, Gutzeit, Becker,
Rose, Weisermel, Regenbvrn, Fernow, Reich, Andersch, Brandes, Bon u. a.
steheu höchstens hinter den allergrößten gräflichen Besitzungen zurück, gehören
aber sonst entschieden in die allererste Reihe. Die große Masse der kleinen Ritter¬
güter ist längst in bürgerliche Hände übergegangen, pflegt aber allerdings den
Besitzer sehr rasch zu wechseln. Die Zahl der bürgerlichen Familien, welche
sich auf ihrem Gut einleben und dasselbe auf Sohn und Enkel vererben, ist
nur klein.

Außer seineu Rittergutsbesitzern und Majvratsherren hat Ostpreußen noch
seine in gesellschaftlicher Stellung diesen Herren ziemlich gleichgeachteten Domänen¬
pächter, zum Teil preußischer Staats-, zum Teil herzoglich anhaltischer u. s-w.
Domänen. Den größeren dieser Pächter pflegt der Staat nach einiger Zeit den
Titel "Oberamtmann" zu verleihen, der sich bei noch gestiegener Würdigkeit in
den "Amtsrat" verwandelt. Manche derselben sind ganz vortrefflich seduire,
und fast durchgehends gelten sie als treffliche, ebenso energische wie erfahrene
Landwirte. Zur Übernahme einer solchen Pacht gehört allerdings ein stattliches
Vermögen, selbst bei den kleinern nicht unter 30- bis 40000 Thaler.

Ungeheuer sind die Fortschritte, welche die Provinz seit einem Menschen-
alter in landwirtschaftlicher Hinsicht gemacht hat. Ausgedehnte Striche sind
drainirt und damit der Kultur erst gewonnen worden; neuerdings bilden sich für
diesen Zweck eigne Genossenschaften. Zwar mit dem Anbau der Zuckerrübe ist
Ostpreußen ein wenig nachgehinkt und wird in der für diese Branche eingetre-


Gstpreußische Skizzen.

genau kennt, bei Hofe des jungen Grafen und feiner Gemahlin ansichtig wird,
so fragt er letztere mit scherzhaft-ängstlichem Tone: „Hat er schon gefrühstückt?"
Von den altprussischeu Familien, welche während der Eroberung mit „Mithings-
recht" ausgerüstet wurden (einer Art Standesherrlichen Rechtes, welches seinen
Namen von den Withingen, dem aus dem Norden eingewanderten weißhäutigeu
und blondlockigen Adel des Samlcmdes, hernahm), ist keine mehr übrig. Man
hatte diese Familien durch außerordentliche Rechtsvvrteile an die Eroberer ketten
wollen, erreichte den Zweck aber nicht; gerade die Withiugsfamilien blieben an
der Spitze aller Verschwörungen und Aufstände.

Die oben aufgezählte stattliche Reihe aristokratischer Namen veranlaßt nun
wohl manchen zu der Meinung, daß da von einer Zurückdrängung des Adels
doch entschieden noch keine Rede sein könne, sondern derselbe im ritterschaftlichen
Grundbesitz offenbar noch immer prädvminire. Aber Ostpreußen ist gar gewaltig
groß, und es haben viele Rittergüter in ihm Platz. Giebt es doch Kreise,
welche deren über hundert zählen; die sieben mittleren Kreise: Königsberg Land,
Fischhausen, Preußisch - Eylein, Friedland, Gerdauen, Heiligenbeil und Nasten-
burg, zählen zusammen weit über fünfhundert. Da bleibt also noch reichlich
Platz sür den bürgerlichen Großgrundbesitz, und derselbe ist in der That im
größten Umfange vorhanden. Selbst die ganz großen Güter sind nicht aus¬
schließlich in adelichen Händen; die Besitzungen der Küswurm, Gutzeit, Becker,
Rose, Weisermel, Regenbvrn, Fernow, Reich, Andersch, Brandes, Bon u. a.
steheu höchstens hinter den allergrößten gräflichen Besitzungen zurück, gehören
aber sonst entschieden in die allererste Reihe. Die große Masse der kleinen Ritter¬
güter ist längst in bürgerliche Hände übergegangen, pflegt aber allerdings den
Besitzer sehr rasch zu wechseln. Die Zahl der bürgerlichen Familien, welche
sich auf ihrem Gut einleben und dasselbe auf Sohn und Enkel vererben, ist
nur klein.

Außer seineu Rittergutsbesitzern und Majvratsherren hat Ostpreußen noch
seine in gesellschaftlicher Stellung diesen Herren ziemlich gleichgeachteten Domänen¬
pächter, zum Teil preußischer Staats-, zum Teil herzoglich anhaltischer u. s-w.
Domänen. Den größeren dieser Pächter pflegt der Staat nach einiger Zeit den
Titel „Oberamtmann" zu verleihen, der sich bei noch gestiegener Würdigkeit in
den „Amtsrat" verwandelt. Manche derselben sind ganz vortrefflich seduire,
und fast durchgehends gelten sie als treffliche, ebenso energische wie erfahrene
Landwirte. Zur Übernahme einer solchen Pacht gehört allerdings ein stattliches
Vermögen, selbst bei den kleinern nicht unter 30- bis 40000 Thaler.

Ungeheuer sind die Fortschritte, welche die Provinz seit einem Menschen-
alter in landwirtschaftlicher Hinsicht gemacht hat. Ausgedehnte Striche sind
drainirt und damit der Kultur erst gewonnen worden; neuerdings bilden sich für
diesen Zweck eigne Genossenschaften. Zwar mit dem Anbau der Zuckerrübe ist
Ostpreußen ein wenig nachgehinkt und wird in der für diese Branche eingetre-


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[0349] Gstpreußische Skizzen. genau kennt, bei Hofe des jungen Grafen und feiner Gemahlin ansichtig wird, so fragt er letztere mit scherzhaft-ängstlichem Tone: „Hat er schon gefrühstückt?" Von den altprussischeu Familien, welche während der Eroberung mit „Mithings- recht" ausgerüstet wurden (einer Art Standesherrlichen Rechtes, welches seinen Namen von den Withingen, dem aus dem Norden eingewanderten weißhäutigeu und blondlockigen Adel des Samlcmdes, hernahm), ist keine mehr übrig. Man hatte diese Familien durch außerordentliche Rechtsvvrteile an die Eroberer ketten wollen, erreichte den Zweck aber nicht; gerade die Withiugsfamilien blieben an der Spitze aller Verschwörungen und Aufstände. Die oben aufgezählte stattliche Reihe aristokratischer Namen veranlaßt nun wohl manchen zu der Meinung, daß da von einer Zurückdrängung des Adels doch entschieden noch keine Rede sein könne, sondern derselbe im ritterschaftlichen Grundbesitz offenbar noch immer prädvminire. Aber Ostpreußen ist gar gewaltig groß, und es haben viele Rittergüter in ihm Platz. Giebt es doch Kreise, welche deren über hundert zählen; die sieben mittleren Kreise: Königsberg Land, Fischhausen, Preußisch - Eylein, Friedland, Gerdauen, Heiligenbeil und Nasten- burg, zählen zusammen weit über fünfhundert. Da bleibt also noch reichlich Platz sür den bürgerlichen Großgrundbesitz, und derselbe ist in der That im größten Umfange vorhanden. Selbst die ganz großen Güter sind nicht aus¬ schließlich in adelichen Händen; die Besitzungen der Küswurm, Gutzeit, Becker, Rose, Weisermel, Regenbvrn, Fernow, Reich, Andersch, Brandes, Bon u. a. steheu höchstens hinter den allergrößten gräflichen Besitzungen zurück, gehören aber sonst entschieden in die allererste Reihe. Die große Masse der kleinen Ritter¬ güter ist längst in bürgerliche Hände übergegangen, pflegt aber allerdings den Besitzer sehr rasch zu wechseln. Die Zahl der bürgerlichen Familien, welche sich auf ihrem Gut einleben und dasselbe auf Sohn und Enkel vererben, ist nur klein. Außer seineu Rittergutsbesitzern und Majvratsherren hat Ostpreußen noch seine in gesellschaftlicher Stellung diesen Herren ziemlich gleichgeachteten Domänen¬ pächter, zum Teil preußischer Staats-, zum Teil herzoglich anhaltischer u. s-w. Domänen. Den größeren dieser Pächter pflegt der Staat nach einiger Zeit den Titel „Oberamtmann" zu verleihen, der sich bei noch gestiegener Würdigkeit in den „Amtsrat" verwandelt. Manche derselben sind ganz vortrefflich seduire, und fast durchgehends gelten sie als treffliche, ebenso energische wie erfahrene Landwirte. Zur Übernahme einer solchen Pacht gehört allerdings ein stattliches Vermögen, selbst bei den kleinern nicht unter 30- bis 40000 Thaler. Ungeheuer sind die Fortschritte, welche die Provinz seit einem Menschen- alter in landwirtschaftlicher Hinsicht gemacht hat. Ausgedehnte Striche sind drainirt und damit der Kultur erst gewonnen worden; neuerdings bilden sich für diesen Zweck eigne Genossenschaften. Zwar mit dem Anbau der Zuckerrübe ist Ostpreußen ein wenig nachgehinkt und wird in der für diese Branche eingetre-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/349>, abgerufen am 22.07.2024.