Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

es an freiem Boden keineswegs. Man kann auch nicht einmal sagen, daß der
ostpreußische Kleinbauer durchgehends auf größerm Terrain wirtschafte als der
mitteldeutsche; Besitzungen von 15 bis 20 Morgen sind durchaus keine Seltenheit,
und es kommen auch noch kleinere vor. Allerdings sind diese Leute gern auf
gelegentlichen Nebenerwerb bedacht, finden einen solchen aber durchaus nicht
immer. Es dürfte nicht überschätzt sein, wenn die Menge des eigentlich bäuer¬
lichen Besitzes in Ostpreußen, mit Einschluß der Kölner, ziemlich auf die Hälfte
des gesamten Flüchenraumes der Provinz angeschlagen wird. Ein Viertel mag
durch Domänen, Wälder, Seen und Sümpfe u. s. w., dann mittlere Besitzungen,
endlich durch die städtischen Ortschaften beansprucht werden; es bliebe also ein
Viertel für die eigentlichen Rittergüter und auf gleichem Fuße stehenden Be¬
sitzungen übrig.

Hierin liegt schon von selbst, daß es der Provinz auch an Dorfschaften,
und zwar an solchen streng bäuerlichen Charakters, durchaus nicht fehlt.
Allerdings giebt es zahlreiche Dörfer, die in Wahrheit nichts sind als die
Wohnstätten der Gutsleute, andre, die der großen Mehrzahl nach nur von
Tagelöhnern für benachbarte Güter bewohnt werden, noch andre, in denen einige
größere Besitzer fast die alleinigen Eigentümer sind. Aber es existiren auch
wirkliche Bauerndörfer, und sogar sehr gute und wohlhabende, wenn anch ihre
Zahl allerdings nur in wenigen Landesteilen groß und ihre Größe meist nur
eine bescheidene ist. Sogar die halb städtisch aussehenden Ortschaften, die im
Rheinland so zahlreich sind, fehlen nicht ganz; an verkehrsreichen Straßen in
der Nähe wohlhabender Landstädtchen finden auch sie sich hie und dn. Freilich,
einen Reiz West-- und mitteldeutscher Dörfer besitzen nur vergleichsweise wenige
ostpreußische: Kirche und Pfarrhaus. Nichts füllt dem das Land durchstreifenden
Fremden mehr auf als die geringe Zahl der Kirchdörfer. Mit Ausnahme der
westlichsten Kreise, in denen es etwas, aber auch nicht viel besser ist, zählen die
Kreise im allgemeinen nicht mehr als sechs oder sieben Pfarreien nebst einer
kleinen Anzahl von Filialkirchen, und zwar mit Einschluß der Städte. Da nun
die Kreise eine durchschnittliche Größe von etwa zwanzig Quadratmeilen haben
(freilich in der Regel nicht viel mehr als 40000 Einwohner), so kann man
sich denken, von welchem Gewicht hier der Begriff eines Kirchspieles ist. Kreis
und Kirchspiel -- das sind die Einheiten, die in Ostpreußen jedem Kinde be¬
kannt sind, weil sich an beide eine Menge von jedem geläufigen und jeden
nahe berührenden Interessen knüpfen. Der Einfluß des Geistlichen kann unter
diesen Umständen natürlich ein sehr bedeutender, wenn auch freilich nicht so
kvuzentrirter sein als in kleinern Kirchspielen. Im ganzen sind jedoch die in
dieser Hinsicht in Ostpreußen vorliegenden Erfahrungen nicht sonderlich erfreulich.
Die größern Güter lieben es, ihre eignen Kirchen (freilich meist bloß Filial-
kirchen) zu haben. Da kommen denn auch wohl recht bescheidne, in Fachwerk
errichtete gottesdienstliche Gebäude vor. Sonst sind aber auch recht stattliche


es an freiem Boden keineswegs. Man kann auch nicht einmal sagen, daß der
ostpreußische Kleinbauer durchgehends auf größerm Terrain wirtschafte als der
mitteldeutsche; Besitzungen von 15 bis 20 Morgen sind durchaus keine Seltenheit,
und es kommen auch noch kleinere vor. Allerdings sind diese Leute gern auf
gelegentlichen Nebenerwerb bedacht, finden einen solchen aber durchaus nicht
immer. Es dürfte nicht überschätzt sein, wenn die Menge des eigentlich bäuer¬
lichen Besitzes in Ostpreußen, mit Einschluß der Kölner, ziemlich auf die Hälfte
des gesamten Flüchenraumes der Provinz angeschlagen wird. Ein Viertel mag
durch Domänen, Wälder, Seen und Sümpfe u. s. w., dann mittlere Besitzungen,
endlich durch die städtischen Ortschaften beansprucht werden; es bliebe also ein
Viertel für die eigentlichen Rittergüter und auf gleichem Fuße stehenden Be¬
sitzungen übrig.

Hierin liegt schon von selbst, daß es der Provinz auch an Dorfschaften,
und zwar an solchen streng bäuerlichen Charakters, durchaus nicht fehlt.
Allerdings giebt es zahlreiche Dörfer, die in Wahrheit nichts sind als die
Wohnstätten der Gutsleute, andre, die der großen Mehrzahl nach nur von
Tagelöhnern für benachbarte Güter bewohnt werden, noch andre, in denen einige
größere Besitzer fast die alleinigen Eigentümer sind. Aber es existiren auch
wirkliche Bauerndörfer, und sogar sehr gute und wohlhabende, wenn anch ihre
Zahl allerdings nur in wenigen Landesteilen groß und ihre Größe meist nur
eine bescheidene ist. Sogar die halb städtisch aussehenden Ortschaften, die im
Rheinland so zahlreich sind, fehlen nicht ganz; an verkehrsreichen Straßen in
der Nähe wohlhabender Landstädtchen finden auch sie sich hie und dn. Freilich,
einen Reiz West-- und mitteldeutscher Dörfer besitzen nur vergleichsweise wenige
ostpreußische: Kirche und Pfarrhaus. Nichts füllt dem das Land durchstreifenden
Fremden mehr auf als die geringe Zahl der Kirchdörfer. Mit Ausnahme der
westlichsten Kreise, in denen es etwas, aber auch nicht viel besser ist, zählen die
Kreise im allgemeinen nicht mehr als sechs oder sieben Pfarreien nebst einer
kleinen Anzahl von Filialkirchen, und zwar mit Einschluß der Städte. Da nun
die Kreise eine durchschnittliche Größe von etwa zwanzig Quadratmeilen haben
(freilich in der Regel nicht viel mehr als 40000 Einwohner), so kann man
sich denken, von welchem Gewicht hier der Begriff eines Kirchspieles ist. Kreis
und Kirchspiel — das sind die Einheiten, die in Ostpreußen jedem Kinde be¬
kannt sind, weil sich an beide eine Menge von jedem geläufigen und jeden
nahe berührenden Interessen knüpfen. Der Einfluß des Geistlichen kann unter
diesen Umständen natürlich ein sehr bedeutender, wenn auch freilich nicht so
kvuzentrirter sein als in kleinern Kirchspielen. Im ganzen sind jedoch die in
dieser Hinsicht in Ostpreußen vorliegenden Erfahrungen nicht sonderlich erfreulich.
Die größern Güter lieben es, ihre eignen Kirchen (freilich meist bloß Filial-
kirchen) zu haben. Da kommen denn auch wohl recht bescheidne, in Fachwerk
errichtete gottesdienstliche Gebäude vor. Sonst sind aber auch recht stattliche


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0344" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195733"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1192" prev="#ID_1191"> es an freiem Boden keineswegs. Man kann auch nicht einmal sagen, daß der<lb/>
ostpreußische Kleinbauer durchgehends auf größerm Terrain wirtschafte als der<lb/>
mitteldeutsche; Besitzungen von 15 bis 20 Morgen sind durchaus keine Seltenheit,<lb/>
und es kommen auch noch kleinere vor. Allerdings sind diese Leute gern auf<lb/>
gelegentlichen Nebenerwerb bedacht, finden einen solchen aber durchaus nicht<lb/>
immer. Es dürfte nicht überschätzt sein, wenn die Menge des eigentlich bäuer¬<lb/>
lichen Besitzes in Ostpreußen, mit Einschluß der Kölner, ziemlich auf die Hälfte<lb/>
des gesamten Flüchenraumes der Provinz angeschlagen wird. Ein Viertel mag<lb/>
durch Domänen, Wälder, Seen und Sümpfe u. s. w., dann mittlere Besitzungen,<lb/>
endlich durch die städtischen Ortschaften beansprucht werden; es bliebe also ein<lb/>
Viertel für die eigentlichen Rittergüter und auf gleichem Fuße stehenden Be¬<lb/>
sitzungen übrig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1193" next="#ID_1194"> Hierin liegt schon von selbst, daß es der Provinz auch an Dorfschaften,<lb/>
und zwar an solchen streng bäuerlichen Charakters, durchaus nicht fehlt.<lb/>
Allerdings giebt es zahlreiche Dörfer, die in Wahrheit nichts sind als die<lb/>
Wohnstätten der Gutsleute, andre, die der großen Mehrzahl nach nur von<lb/>
Tagelöhnern für benachbarte Güter bewohnt werden, noch andre, in denen einige<lb/>
größere Besitzer fast die alleinigen Eigentümer sind. Aber es existiren auch<lb/>
wirkliche Bauerndörfer, und sogar sehr gute und wohlhabende, wenn anch ihre<lb/>
Zahl allerdings nur in wenigen Landesteilen groß und ihre Größe meist nur<lb/>
eine bescheidene ist. Sogar die halb städtisch aussehenden Ortschaften, die im<lb/>
Rheinland so zahlreich sind, fehlen nicht ganz; an verkehrsreichen Straßen in<lb/>
der Nähe wohlhabender Landstädtchen finden auch sie sich hie und dn. Freilich,<lb/>
einen Reiz West-- und mitteldeutscher Dörfer besitzen nur vergleichsweise wenige<lb/>
ostpreußische: Kirche und Pfarrhaus. Nichts füllt dem das Land durchstreifenden<lb/>
Fremden mehr auf als die geringe Zahl der Kirchdörfer. Mit Ausnahme der<lb/>
westlichsten Kreise, in denen es etwas, aber auch nicht viel besser ist, zählen die<lb/>
Kreise im allgemeinen nicht mehr als sechs oder sieben Pfarreien nebst einer<lb/>
kleinen Anzahl von Filialkirchen, und zwar mit Einschluß der Städte. Da nun<lb/>
die Kreise eine durchschnittliche Größe von etwa zwanzig Quadratmeilen haben<lb/>
(freilich in der Regel nicht viel mehr als 40000 Einwohner), so kann man<lb/>
sich denken, von welchem Gewicht hier der Begriff eines Kirchspieles ist. Kreis<lb/>
und Kirchspiel &#x2014; das sind die Einheiten, die in Ostpreußen jedem Kinde be¬<lb/>
kannt sind, weil sich an beide eine Menge von jedem geläufigen und jeden<lb/>
nahe berührenden Interessen knüpfen. Der Einfluß des Geistlichen kann unter<lb/>
diesen Umständen natürlich ein sehr bedeutender, wenn auch freilich nicht so<lb/>
kvuzentrirter sein als in kleinern Kirchspielen. Im ganzen sind jedoch die in<lb/>
dieser Hinsicht in Ostpreußen vorliegenden Erfahrungen nicht sonderlich erfreulich.<lb/>
Die größern Güter lieben es, ihre eignen Kirchen (freilich meist bloß Filial-<lb/>
kirchen) zu haben. Da kommen denn auch wohl recht bescheidne, in Fachwerk<lb/>
errichtete gottesdienstliche Gebäude vor.  Sonst sind aber auch recht stattliche</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344] es an freiem Boden keineswegs. Man kann auch nicht einmal sagen, daß der ostpreußische Kleinbauer durchgehends auf größerm Terrain wirtschafte als der mitteldeutsche; Besitzungen von 15 bis 20 Morgen sind durchaus keine Seltenheit, und es kommen auch noch kleinere vor. Allerdings sind diese Leute gern auf gelegentlichen Nebenerwerb bedacht, finden einen solchen aber durchaus nicht immer. Es dürfte nicht überschätzt sein, wenn die Menge des eigentlich bäuer¬ lichen Besitzes in Ostpreußen, mit Einschluß der Kölner, ziemlich auf die Hälfte des gesamten Flüchenraumes der Provinz angeschlagen wird. Ein Viertel mag durch Domänen, Wälder, Seen und Sümpfe u. s. w., dann mittlere Besitzungen, endlich durch die städtischen Ortschaften beansprucht werden; es bliebe also ein Viertel für die eigentlichen Rittergüter und auf gleichem Fuße stehenden Be¬ sitzungen übrig. Hierin liegt schon von selbst, daß es der Provinz auch an Dorfschaften, und zwar an solchen streng bäuerlichen Charakters, durchaus nicht fehlt. Allerdings giebt es zahlreiche Dörfer, die in Wahrheit nichts sind als die Wohnstätten der Gutsleute, andre, die der großen Mehrzahl nach nur von Tagelöhnern für benachbarte Güter bewohnt werden, noch andre, in denen einige größere Besitzer fast die alleinigen Eigentümer sind. Aber es existiren auch wirkliche Bauerndörfer, und sogar sehr gute und wohlhabende, wenn anch ihre Zahl allerdings nur in wenigen Landesteilen groß und ihre Größe meist nur eine bescheidene ist. Sogar die halb städtisch aussehenden Ortschaften, die im Rheinland so zahlreich sind, fehlen nicht ganz; an verkehrsreichen Straßen in der Nähe wohlhabender Landstädtchen finden auch sie sich hie und dn. Freilich, einen Reiz West-- und mitteldeutscher Dörfer besitzen nur vergleichsweise wenige ostpreußische: Kirche und Pfarrhaus. Nichts füllt dem das Land durchstreifenden Fremden mehr auf als die geringe Zahl der Kirchdörfer. Mit Ausnahme der westlichsten Kreise, in denen es etwas, aber auch nicht viel besser ist, zählen die Kreise im allgemeinen nicht mehr als sechs oder sieben Pfarreien nebst einer kleinen Anzahl von Filialkirchen, und zwar mit Einschluß der Städte. Da nun die Kreise eine durchschnittliche Größe von etwa zwanzig Quadratmeilen haben (freilich in der Regel nicht viel mehr als 40000 Einwohner), so kann man sich denken, von welchem Gewicht hier der Begriff eines Kirchspieles ist. Kreis und Kirchspiel — das sind die Einheiten, die in Ostpreußen jedem Kinde be¬ kannt sind, weil sich an beide eine Menge von jedem geläufigen und jeden nahe berührenden Interessen knüpfen. Der Einfluß des Geistlichen kann unter diesen Umständen natürlich ein sehr bedeutender, wenn auch freilich nicht so kvuzentrirter sein als in kleinern Kirchspielen. Im ganzen sind jedoch die in dieser Hinsicht in Ostpreußen vorliegenden Erfahrungen nicht sonderlich erfreulich. Die größern Güter lieben es, ihre eignen Kirchen (freilich meist bloß Filial- kirchen) zu haben. Da kommen denn auch wohl recht bescheidne, in Fachwerk errichtete gottesdienstliche Gebäude vor. Sonst sind aber auch recht stattliche

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/344
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/344>, abgerufen am 22.07.2024.