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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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Die Herren Mörder.

des Strafgesetzbuches eingeführten Novelle zu diesem, welche eine Erhöhung der
Strafminima eingeführt hat.

Die zu milde Praxis der Strafrechtspflege verstößt übrigens nicht nur gegen
das positive Recht, sondern sie wirkt geradezu begünstigend auf das Anwachsen
der zu mild bestraften Übelthaten; denn wenn solche Vergehen in einem engeren
oder weiteren Kreise eine derartige laxe Beurteilung finden, so wird dadurch
die allgemeine Anschauung notwendig in der Richtung beeinflußt, daß die Ver¬
werflichkeit dieser Handlungen als geringer betrachtet wird; diese Anschauung
gewinnt dann ihrerseits wieder Einfluß auf die Richter solcher strafbaren Hand¬
lungen, insbesondre auf die Laien, und veranlaßt diese wiederum zu einer mil¬
deren Beurteilung, ein Kreislauf, welcher, wie wir an den obenangeführten
französischen Geschwornenurteilen sehen, schließlich zu einer vollständigen Auf¬
hebung der Strafrechtspflege führt.

Nachdem im Laufe dieses Jahrhunderts gegenüber den absoluten Straf¬
rechtstheorien Kants und Hegels (Negation des das Recht negirenden Unrechts
durch die Strafe) und den Theorien der Abschreckung, der Androhung und der
Prcivention der Besserungszweck bei der Straffestsetzung ungebührlich in den
Vordergrund gestellt und demzufolge milde Bestrafung als allein zweckentsprechend
gepredigt worden war, hat man sich neuerdings der bessern Einsicht nicht länger
zu verschließen vermocht, daß doch die Abschreckungstheorie einen guten Kern
birgt, daß die Abschreckung im Bewußtsein des Volkes der unzweifelhafteste
Strafzweck ist, und daß demnach neben den verschiednen andern Strafzwecken
auch dieser Strafzweck in der Festsetzung der angedrohten Strafen feinen Aus¬
druck finden muß. Diese Erwägung hat auch bei der Beratung und Er-
lassung unsers Strafgesetzbuches Geltung erlangt, und es steht deshalb nicht
im Einklange mit dem Geiste und der Tendenz des Gesetzes, wenn dem
Besserungszwecke ein einseitiger Vorzug vor den übrigen Zwecken desselben ein¬
geräumt wird. Die Strafe soll einerseits eine Sühne des verletzten Rechtes,
eine Vergeltung des begangenen Unrechtes, andrerseits eine Abschreckung sowohl
andrer als des Verbrechers selbst gegen die Neigung zu Verübung ähnlicher
und weiterer derartiger Handlungen sein, und es ist ganz widersinnig, wenn
von den Gegnern der Abschreckungstheorie zur Widerlegung derselben angeführt
wird, die Unwirksamkeit derselben ergebe sich schon daraus, daß auch bei An¬
drohung noch so harter Strafen die Verbrechen nicht aufhören. Wie viele zu
Begehung eiuer Übelthat geneigte Personen in Wirklichkeit sich durch die in
Aussicht stehende Strafe von der Begehung haben abhalten lassen, das wissen
die Gegner der Abschreckungstheorie garnicht, denn die zum Verbrechen ge¬
neigten Personen Pflegen sich nicht zu melden, um etwa behufs der Förderung
der richtigen Strafrechtstheorie kundzuthun, daß sie dieses oder jenes Verbrechen
begangen hätten, wenn sie nicht doch wegen der soundsovielen Jahre Zucht¬
haus, die sie im Falle der Begehung zu riskiren haben, es vorgezogen hätten,


Die Herren Mörder.

des Strafgesetzbuches eingeführten Novelle zu diesem, welche eine Erhöhung der
Strafminima eingeführt hat.

Die zu milde Praxis der Strafrechtspflege verstößt übrigens nicht nur gegen
das positive Recht, sondern sie wirkt geradezu begünstigend auf das Anwachsen
der zu mild bestraften Übelthaten; denn wenn solche Vergehen in einem engeren
oder weiteren Kreise eine derartige laxe Beurteilung finden, so wird dadurch
die allgemeine Anschauung notwendig in der Richtung beeinflußt, daß die Ver¬
werflichkeit dieser Handlungen als geringer betrachtet wird; diese Anschauung
gewinnt dann ihrerseits wieder Einfluß auf die Richter solcher strafbaren Hand¬
lungen, insbesondre auf die Laien, und veranlaßt diese wiederum zu einer mil¬
deren Beurteilung, ein Kreislauf, welcher, wie wir an den obenangeführten
französischen Geschwornenurteilen sehen, schließlich zu einer vollständigen Auf¬
hebung der Strafrechtspflege führt.

Nachdem im Laufe dieses Jahrhunderts gegenüber den absoluten Straf¬
rechtstheorien Kants und Hegels (Negation des das Recht negirenden Unrechts
durch die Strafe) und den Theorien der Abschreckung, der Androhung und der
Prcivention der Besserungszweck bei der Straffestsetzung ungebührlich in den
Vordergrund gestellt und demzufolge milde Bestrafung als allein zweckentsprechend
gepredigt worden war, hat man sich neuerdings der bessern Einsicht nicht länger
zu verschließen vermocht, daß doch die Abschreckungstheorie einen guten Kern
birgt, daß die Abschreckung im Bewußtsein des Volkes der unzweifelhafteste
Strafzweck ist, und daß demnach neben den verschiednen andern Strafzwecken
auch dieser Strafzweck in der Festsetzung der angedrohten Strafen feinen Aus¬
druck finden muß. Diese Erwägung hat auch bei der Beratung und Er-
lassung unsers Strafgesetzbuches Geltung erlangt, und es steht deshalb nicht
im Einklange mit dem Geiste und der Tendenz des Gesetzes, wenn dem
Besserungszwecke ein einseitiger Vorzug vor den übrigen Zwecken desselben ein¬
geräumt wird. Die Strafe soll einerseits eine Sühne des verletzten Rechtes,
eine Vergeltung des begangenen Unrechtes, andrerseits eine Abschreckung sowohl
andrer als des Verbrechers selbst gegen die Neigung zu Verübung ähnlicher
und weiterer derartiger Handlungen sein, und es ist ganz widersinnig, wenn
von den Gegnern der Abschreckungstheorie zur Widerlegung derselben angeführt
wird, die Unwirksamkeit derselben ergebe sich schon daraus, daß auch bei An¬
drohung noch so harter Strafen die Verbrechen nicht aufhören. Wie viele zu
Begehung eiuer Übelthat geneigte Personen in Wirklichkeit sich durch die in
Aussicht stehende Strafe von der Begehung haben abhalten lassen, das wissen
die Gegner der Abschreckungstheorie garnicht, denn die zum Verbrechen ge¬
neigten Personen Pflegen sich nicht zu melden, um etwa behufs der Förderung
der richtigen Strafrechtstheorie kundzuthun, daß sie dieses oder jenes Verbrechen
begangen hätten, wenn sie nicht doch wegen der soundsovielen Jahre Zucht¬
haus, die sie im Falle der Begehung zu riskiren haben, es vorgezogen hätten,


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[0337] Die Herren Mörder. des Strafgesetzbuches eingeführten Novelle zu diesem, welche eine Erhöhung der Strafminima eingeführt hat. Die zu milde Praxis der Strafrechtspflege verstößt übrigens nicht nur gegen das positive Recht, sondern sie wirkt geradezu begünstigend auf das Anwachsen der zu mild bestraften Übelthaten; denn wenn solche Vergehen in einem engeren oder weiteren Kreise eine derartige laxe Beurteilung finden, so wird dadurch die allgemeine Anschauung notwendig in der Richtung beeinflußt, daß die Ver¬ werflichkeit dieser Handlungen als geringer betrachtet wird; diese Anschauung gewinnt dann ihrerseits wieder Einfluß auf die Richter solcher strafbaren Hand¬ lungen, insbesondre auf die Laien, und veranlaßt diese wiederum zu einer mil¬ deren Beurteilung, ein Kreislauf, welcher, wie wir an den obenangeführten französischen Geschwornenurteilen sehen, schließlich zu einer vollständigen Auf¬ hebung der Strafrechtspflege führt. Nachdem im Laufe dieses Jahrhunderts gegenüber den absoluten Straf¬ rechtstheorien Kants und Hegels (Negation des das Recht negirenden Unrechts durch die Strafe) und den Theorien der Abschreckung, der Androhung und der Prcivention der Besserungszweck bei der Straffestsetzung ungebührlich in den Vordergrund gestellt und demzufolge milde Bestrafung als allein zweckentsprechend gepredigt worden war, hat man sich neuerdings der bessern Einsicht nicht länger zu verschließen vermocht, daß doch die Abschreckungstheorie einen guten Kern birgt, daß die Abschreckung im Bewußtsein des Volkes der unzweifelhafteste Strafzweck ist, und daß demnach neben den verschiednen andern Strafzwecken auch dieser Strafzweck in der Festsetzung der angedrohten Strafen feinen Aus¬ druck finden muß. Diese Erwägung hat auch bei der Beratung und Er- lassung unsers Strafgesetzbuches Geltung erlangt, und es steht deshalb nicht im Einklange mit dem Geiste und der Tendenz des Gesetzes, wenn dem Besserungszwecke ein einseitiger Vorzug vor den übrigen Zwecken desselben ein¬ geräumt wird. Die Strafe soll einerseits eine Sühne des verletzten Rechtes, eine Vergeltung des begangenen Unrechtes, andrerseits eine Abschreckung sowohl andrer als des Verbrechers selbst gegen die Neigung zu Verübung ähnlicher und weiterer derartiger Handlungen sein, und es ist ganz widersinnig, wenn von den Gegnern der Abschreckungstheorie zur Widerlegung derselben angeführt wird, die Unwirksamkeit derselben ergebe sich schon daraus, daß auch bei An¬ drohung noch so harter Strafen die Verbrechen nicht aufhören. Wie viele zu Begehung eiuer Übelthat geneigte Personen in Wirklichkeit sich durch die in Aussicht stehende Strafe von der Begehung haben abhalten lassen, das wissen die Gegner der Abschreckungstheorie garnicht, denn die zum Verbrechen ge¬ neigten Personen Pflegen sich nicht zu melden, um etwa behufs der Förderung der richtigen Strafrechtstheorie kundzuthun, daß sie dieses oder jenes Verbrechen begangen hätten, wenn sie nicht doch wegen der soundsovielen Jahre Zucht¬ haus, die sie im Falle der Begehung zu riskiren haben, es vorgezogen hätten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/337>, abgerufen am 22.07.2024.