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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal.

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ihnen die Sache eben auch nnr dnrch Dritte so erzählt worden. Nach diesen
Berichten verhielt sichs wie folgt. Das sonst immer verschlossene Gitterthor
des alten buschigen Gartens stand halb offen. Zwischen den Gebüschen ließ sich
trotz der Dunkelheit hie und da eine vermummte Gestalt wahrnehmen. Nun
klang die Ballouthür. Gleich darauf hörte man einen dumpfen Ton, als werde
etwas Schweres auf den darunter befindlichen Rcisenhiigel hinabgeworfen. In
demselben Augenblicke eilten jene Vermummter herbei. Bei Fackellicht sah man
sie eine entseelte Masse aufheben, das jugendliche, rotbärtige Haupt des Er¬
schlagenen hurtig mit Tüchern bedecken und mit dem Sterbenden oder Toten
in der Richtung des herzoglichen Schlosses verschwinden.

Eine Stunde später wurde der alte Buoncieolsi verhaftet und, mit schweren
Ketten belastet, im Geheimen, also auf der Seite des Gartens, fortgeführt.

Wer der von dem Balkon Hinabgestürzte gewesen war, wußte niemand zu
sage", auch selbst uicht die soweit in die Einzelheiten des Vorgangs Eingedrnn-
gcnen. Man kam nicht über Vermutungen hinaus. Ein Gonzaga mußte es
gewesen sein, warum wäre er sonst in das herzogliche Schloß gebracht worden?
Aber er hatte keinem der in Mantua bekannten Blutsverwandten des Herzogs
geglichen. Man riet vergebens hin und her. Dann auf einmal wollten poli¬
tische Kannegießer wissen, Florenz habe die Leiche zurückgefordert, es sei also
ein Medici gewesen. Und auch diese Auskunft fand eine längere Zeit Glauben.

Als endlich der wirkliche Thatbestand ans Licht kam, geriet von neuem
ganz Mantua in Aufregung. Ein Bnoimcolsi hatte nnn doch einen Gonzaga
erschlagen! Der alte Hader der feindlichen Geschlechter stand plötzlich wieder
in hellen Flammen!

Der Greis war gleich anfangs in eins der unterirdischen Gemächer des
festen Castello ti Corte gebracht worden; jetzt mußte sein Prozeß in der
Schwebe sein.

Daß er das Leben verwirkt hatte, war, wenigstens für die herzoglich Ge¬
sinnten, unzweifelhaft. Längst hätte es keinen Buouaeolsi mehr geben sollen.

Marcello machte einstweilen dnrch Andrea Primaticcio, den einzigen Rechts¬
kundigen, der ihn zu verteidigen wagte, einen Paragraphen des alten Mantuaner
Kriminalkvdex geltend, nach welchem der Vater, der Binder oder anch der Vetter
einer Jungfrau an dem Entführer derselben ans der Stelle ungestraft den be¬
gangenen oder versuchten Gewaltakt rächen durfte.

Aber war die Entführung eine gewaltsame gewesen? Sobald Floridas
erschütterte Gesundheit sich soweit gekräftigt hatte, daß ein Verhör mit ihr vor¬
genommen werden konnte, wurde sie bei ihrem Eide darüber inquirirt. Sie
hatte, wie sich zeigte, den .Kelch ihrer Leiden erst zur Hälfte geleert, ihr Ge¬
liebter war tot, ihr Vater schmachtete im Kerker, aber jetzt sollte sie auch noch
meineidig werden, sollte den für sie in den Tod Gegangenen noch ver¬
leumden !


ihnen die Sache eben auch nnr dnrch Dritte so erzählt worden. Nach diesen
Berichten verhielt sichs wie folgt. Das sonst immer verschlossene Gitterthor
des alten buschigen Gartens stand halb offen. Zwischen den Gebüschen ließ sich
trotz der Dunkelheit hie und da eine vermummte Gestalt wahrnehmen. Nun
klang die Ballouthür. Gleich darauf hörte man einen dumpfen Ton, als werde
etwas Schweres auf den darunter befindlichen Rcisenhiigel hinabgeworfen. In
demselben Augenblicke eilten jene Vermummter herbei. Bei Fackellicht sah man
sie eine entseelte Masse aufheben, das jugendliche, rotbärtige Haupt des Er¬
schlagenen hurtig mit Tüchern bedecken und mit dem Sterbenden oder Toten
in der Richtung des herzoglichen Schlosses verschwinden.

Eine Stunde später wurde der alte Buoncieolsi verhaftet und, mit schweren
Ketten belastet, im Geheimen, also auf der Seite des Gartens, fortgeführt.

Wer der von dem Balkon Hinabgestürzte gewesen war, wußte niemand zu
sage«, auch selbst uicht die soweit in die Einzelheiten des Vorgangs Eingedrnn-
gcnen. Man kam nicht über Vermutungen hinaus. Ein Gonzaga mußte es
gewesen sein, warum wäre er sonst in das herzogliche Schloß gebracht worden?
Aber er hatte keinem der in Mantua bekannten Blutsverwandten des Herzogs
geglichen. Man riet vergebens hin und her. Dann auf einmal wollten poli¬
tische Kannegießer wissen, Florenz habe die Leiche zurückgefordert, es sei also
ein Medici gewesen. Und auch diese Auskunft fand eine längere Zeit Glauben.

Als endlich der wirkliche Thatbestand ans Licht kam, geriet von neuem
ganz Mantua in Aufregung. Ein Bnoimcolsi hatte nnn doch einen Gonzaga
erschlagen! Der alte Hader der feindlichen Geschlechter stand plötzlich wieder
in hellen Flammen!

Der Greis war gleich anfangs in eins der unterirdischen Gemächer des
festen Castello ti Corte gebracht worden; jetzt mußte sein Prozeß in der
Schwebe sein.

Daß er das Leben verwirkt hatte, war, wenigstens für die herzoglich Ge¬
sinnten, unzweifelhaft. Längst hätte es keinen Buouaeolsi mehr geben sollen.

Marcello machte einstweilen dnrch Andrea Primaticcio, den einzigen Rechts¬
kundigen, der ihn zu verteidigen wagte, einen Paragraphen des alten Mantuaner
Kriminalkvdex geltend, nach welchem der Vater, der Binder oder anch der Vetter
einer Jungfrau an dem Entführer derselben ans der Stelle ungestraft den be¬
gangenen oder versuchten Gewaltakt rächen durfte.

Aber war die Entführung eine gewaltsame gewesen? Sobald Floridas
erschütterte Gesundheit sich soweit gekräftigt hatte, daß ein Verhör mit ihr vor¬
genommen werden konnte, wurde sie bei ihrem Eide darüber inquirirt. Sie
hatte, wie sich zeigte, den .Kelch ihrer Leiden erst zur Hälfte geleert, ihr Ge¬
liebter war tot, ihr Vater schmachtete im Kerker, aber jetzt sollte sie auch noch
meineidig werden, sollte den für sie in den Tod Gegangenen noch ver¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_195390/328>, abgerufen am 22.07.2024.